Der verborgene Erbe. Billy Remie

Der verborgene Erbe - Billy Remie


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      Es war Cohen sehr deutlich anzusehen, dass er nicht glauben konnte, was er hörte. Als habe ihn jemand niedergeschlagen, gegen den er sich nicht wehren konnte, ließ er die Schultern hängen.

      Desiderius senkte stumm den Kopf. Er schämte sich, weil er absichtlich verheimlichte, dass Cohen vielleicht gar nicht am Kampf beteiligt sein würde. Nicht, wenn Desiderius nicht sicher war, dass Cohens Magen keine Probleme machte. Doch das stand nun ohnehin alles auf einem anderen Blatt, nicht wahr? Er hob eine Hand und kaute, ganz untypisch für ihn, geradezu ängstlich an seinem Daumennagel, weil er sich daran hindern musste, loszubrüllen. Es stand ihm nicht zu, Cohen anzuflehen, zu bleiben. Außerdem fürchtete er dessen Antwort darauf.

      »Es tut mir leid, mein Freund«, sagte Eagle etwas mitfühlender zu Cohen, »aber bedenke auch, wie lange die Botschaft brauchte, um dich zu erreichen. Rahff wird die Ehe mit deiner Frau längst vollzogen haben. Und wenn nicht, würdest du sie nie erreichen, um es zu verhindern. Es tut mir leid, Cohen, du kannst nichts tun.«

      »Ich gehe!«, sagte Cohen trotzig. Es war das erste Mal, dass Desiderius mitbekam, das Cohen sich gegen die Befehlskette stellte. Für gewöhnlich war es ihm geradezu ein Zwang, Vorgesetzten zu gehorchen.

      Eagle drehte sich ihm gänzlich zu, sein Blick verriet, dass er auf gefährlich ärgerliche Weise empört über Cohens Trotz war. »Wie bitte?«

      »Ich-«

      »Das ist Selbstmord, Cohen.« Desiderius‘ Einmischung erstickte den Streit im Keim, sie schenkten ihm ihre Aufmerksamkeit. Nur Cohen wagte nicht, ihn anzusehen.

      Mit verschränkten Armen lehnte Desiderius an der gegenüberliegenden Wand der Tür, er hatte sich selbst nicht getraut und vermutet, dass er sich, wenn Cohen durch sie hindurchgehen wollte, wie eine Wand davor aufbauen würde. Doch es stand ihm wohl kaum zu, sich zwischen Cohens Pflichten als Ehemann zu stellen. Denn streng genommen war Desiderius das, was er nie hatte sein wollen. Nur eine Liebesaffäre.

      Cohens Frau, diese Sigha, ihr gegenüber besaß Cohen eine einzige Pflicht.

      Und das schmerzte.

      »Du weißt, warum Rahff das tut«, glaubte Desiderius, »er will dich damit zurücklocken. Um dich gefangen zu nehmen. Oder Schlimmeres. Deine Frau schrieb es selbst. Sie warnte dich, nicht zurückzukommen, auch wenn du von der Vermählung hörst. Es wäre dein Tod, Cohen. Es ist nur eine Falle.«

      »Nur ein Trick«, stimmte Eagle zu.

      Cohens Kopf hing herab, sein Blick starrte weiterhin den Boden an. »Und doch muss ich gehen. Ich muss es zumindest versuchen.«

      »Du gehst nicht«, warnte Eagle ihn. »Du hast deine Befehle, Cohen. Ende der Diskussion. Wir werden deine Frau befreien, indem wir Nohva befreien. Dein Alleingang hilft niemanden. Er würde uns nur schaden.«

      »Desiderius kann sich nur dann in der Schlacht verwandeln, wenn du ihn führst«, sprach Bellzazar auf Cohen ein, er stand gebeugt über dem Kartentisch, der aus einer uralten Scheibe einer Esche bestand, die im Durchmesser so groß war wie eine königliche Tafel, und verschob die Figuren ihrer Feinde. Er sah auf und Cohen an. »Der Drache kann nur durch dich Freund und Feind unterscheiden. Wir sind im Krieg, wir müssen Prioritäten setzen. Deine Frau ist nicht so wichtig wie das Leben aller anderen. Du bist wichtiger, wir können dein Leben nicht riskieren.«

      Cohen schüttelte frustriert den Kopf.

      Desiderius hatte das Bedürfnis, zu ihm zu gehen, und ihn zu trösten, doch seine eigenen inneren Gefühle ließen es nicht zu. Er war wie betäubt von der Angst, verlassen zu werden. Cohen zu verlieren. Denn alles, was er jetzt noch hatte, war Cohen.

      »Aber wenn du gehen musst«, hörte er sich plötzlich sagen, »werde ich mit dir gehen.«

      Mit Tränen in den Augen riss Cohen den Kopf hoch. Seine Miene verzog sich, als könne er die Worte unmöglich glauben. Er keuchte kopfschüttelnd: »Das würde ich nie von dir verlangen.«

      »Und doch werde ich es tun«, sagte Desiderius entschlossen, obwohl es ihm das Herz schwermachte, Cohens und sein Leben für eine Frau zu opfern, die er nicht kannte, und dafür Nohva, seine und Wexmells Heimat im Stich zu lassen.

      Bellzazar schloss tief durchatmend die Augen. Es schien, als hätte er bereits damit gerechnet, ärgerte sich aber trotzdem darüber, Recht zu behalten. »Das kannst du nicht tun.«

      »Für Cohen tue ich es.«

      Cohen lächelte tief berührt.

      »Rahff wird dich töten!«, warnte Bellzazar zornig.

      »Ich werde ihn töten.«

      »Du bist noch nicht soweit!«, brüllte Bellzazar derart wütend, wie Desiderius es noch nie erlebt hatte.

      Alle rissen verwundert die Augen auf, nur Desiderius blieb unberührt.

      Die Brüder starrten sich stur in die Augen.

      »Du kannst es noch nicht. Er würde dich mit in den Tod reißen.«

      »Zazar, ich werde ihn besiegen! Ich weiß, ich kann es.«

      »Ich werde dich nicht gehen lassen.« Bellzazar sah entschlossen hinüber zu Cohen. »Und Cohen auch nicht!«

      Verwundert runzelte Desiderius seine Stirn. Es war nicht die Sorge, ihnen könnte etwas zustoßen, die das Gesicht seines Bruders zeichnete, es war panische Angst. Eine so tiefsitzende Furcht, die Bellzazar wie einen verängstigen Jungen dastehen ließ, der vom Vater ausgesetzt und vollkommen hilflos zurückgelassen wurde.

      Aber Desiderius konnte keine Rücksicht auf Bellzazars Angst nehmen, wenn Cohen sich in Gefahr bringen wollte.

      »Du könntest uns helfen, Bruder. Wir wären zurück, ehe die Truppen die Küste erreichen«, schlug Desiderius vor.

      Doch Bellzazar blickte nur grimmig zu Boden. Er murmelte etwas, das klang wie: »Du bist noch nicht soweit.«

      »Ich werde gehen«, sagte Cohens Freund plötzlich. Die ganze Zeit hatte er schweigend auf einer Fensterbank in Eagles Nähe gesessen, nun stand er entschlossen auf.

      Neugierig betrachtete Desiderius den Reiter, den er noch nicht einschätzen konnte. Aber sein Mut war unumstritten, da er der einzige von Cohens Männern gewesen war, der sich getraut hatte, Rahff zu verraten.

      Etwas an ihm hatte sich verändert. Es dauerte einen Moment, bis Desiderius begriff, dass es das glatte Gesicht war, das sich verändert hatte. Der Reiter hatte sich den Bart abrasiert. Die Rasur musste noch frisch sein, denn es waren keinerlei Stoppeln auf der geradezu sagenhaft weichen Haut zu sehen, die derart makellos war, dass man neidisch werden konnte.

      Cohen sah ihn dankbar an, schüttelte jedoch den Kopf. »Sie würden dich noch ehe töten als mich, Arrav. Du bleibst hier.«

      »Ich bin weder ein Blutdrache, noch im Stande einen zu zähmen, so wie du. Ich bin nur ein einfacher Reiter, der mit dem Schwert umgehen kann. Mein Ableben wäre kein Verlust, also werde ich gehen. Ich kenne die Schwarzfelsburg wie meine sprichwörtliche Westentasche. Ich komme ungesehen rein, hole deine Familie, und komme ungesehen zurück.«

      »Nein!« Eagle trat an den Tisch heran und unterbrach sie mit strenger Stimme. »Keiner geht irgendwohin, ehe ich es nicht befehle. Ansonsten nennt man das Fahnenflucht, und auch wenn ich euch alle Freunde nenne, zweifelt nicht daran, dass ich euch verfolgen lassen und zurückholen würde, solltet ihr diese Festung unerlaubt verlassen!«

      Desiderius seufzte leise. Er wusste Eagles Versuch, sie zusammen zu halten, zu schätzen, doch glaubte er nicht, dass leergemeinte Drohungen Cohen davon abhalten würden, seine Familie zu retten. Und wenn Cohen ging, würde Desiderius ihn begleiten. Denn zu gut erinnerte er sich daran, was geschehen war, als er Wexmell nur für einen Augenblick zurückgelassen hatte, um Melecay zu verabschieden.

      Als er zurückkam, war Wexmell tot.

      Und er erinnerte sich auch daran, was das letzte Mal geschah, als er Cohen nur kurz alleine in den Wald gehen gelassen hatte. Nur knapp hatte er ihm das Leben


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