Sandburgen & Luftschlösser - Band 1. Karl Michael Görlitz

Sandburgen & Luftschlösser - Band 1 - Karl Michael Görlitz


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und akzeptierte kaum etwas. Es gab nicht einen Laden, der sie zum Kaufen gereizt hätte. Und die hiesige Bevölkerung erinnerte sie an ungebildete Eingeborene eines anderen Planeten.

      Auch wir Kinder wurden ihrem Modediktat unterworfen. Sie legte großen Wert darauf, Peter und mich hochmodern und im gleichen Outfit anzuziehen. So verbrachten wir endlose Stunden beim taubstummen Schneider, der uns praktischerweise gleich auf seinen Arbeitstisch stellte, um bequem an uns herumfummeln zu können. Wir fuhren in halbfertige Hosen mit pickenden Stecknadeln, und fassten uns seufzend in Geduld, wenn wieder mal ein Jackettärmel eingesetzt wurde und die kritische Kundin ihre Einwände vorbrachte.

      So stolzierten wir sonn- und feiertags in blauen Schneideranzügen mit passenden Krawatten oder im Trachtenstil mit handgefertigten Schuhen durch die Gegend, was jedesmal für nicht geringes Aufsehen sorgte. Wir Brüder galten als die Dorfprinzen und leider erregten wir einigen Neid. Uns gefiel das ganz und gar nicht, als optische Attraktion im Partner-Look durchs Städtle zu rennen, doch auf der anderen Seite erfüllte uns ein törichter Stolz auf unsere schöne Mutter.

      Und Mutter war nun einmal die Hauptperson unseres jungen Lebens. Sie stammte aus einfachen Verhältnissen und redete nur ganz selten über ihre Jugend, aber eines war ganz klar:

      Sie arbeitete wie besessen an ihrem Äußeren, um trotz der knappen Mittel eine anziehende Erscheinung zu werden. Wenn sie, was selten genug vorkam, einmal von ihrer Schwester redete, so sprach sie höchstens von den Seidenstrümpfen, die diese der Schwerarbeitenden entwendet und heimlich getragen hatte, oder dem geliehenen Frühjahrskostüm, aus welchem sie die Unbotmäßige förmlich herausgeprügelt hatte. Ich hatte nur ein einziges Mal das Vergnügen, diese Tante kennenzulernen, und das auch nur kurz.

      Ihren Bruder unterschlug Mutter uns völlig.

      Das Bemühen der Ehrgeizigen um die Aufmerksamkeit der Männerwelt war erfolgreich. Zumal Mutter nicht nur hübsch, sondern auch noch ausgesprochen charmant und witzig war. Fast ein wenig zu erfolgreich, möchte man sagen, denn nach ungewohntem Alkoholgenuss erwachte sie eines Morgens schwanger. Ein rechtes Wunschkind war Jutta wohl nicht.

      Zudem das Kind auch noch eine etwas transusige Art hatte, und obendrein zu einer gewissen Wehleidigkeit neigte. Wenn sich unsere Mutter über ihr Töchterlein ausließ, geschah das zumeist in abfälligem Ton - doch über wen äußerte sie sich nicht abfällig.

      Der einzige, der von ihrer Kritik verschont blieb, war mein Vater. Den hatte sie flugs als Säulenheiligen auf ein Podest in der Kirche ihres Herzens gestellt, vor dem sie in frommer Anbetung verharrte.

      Sein früher Tod ließ ihn vollends zu einem Mythos werden, dem sie liebestrunkene und in späteren Jahren eher alkoholisierte Verehrung zuteil werden ließ. Der Mann ohne Fehl und Tadel mit der klassischen Nase, die ich leider auch nicht geerbt hatte.

      Die Geburt des Bruders nahm ein wenig von der Aufmerksamkeit, die bislang allein mir gegolten hatte. Ich fand mich achselzuckend damit ab, blieben Oma und Opa Popig doch weiterhin meine erklärten Fans. Außerdem gab es noch die Schwester in Leipzig, deren ungeteilte Zuneigung ich zu besitzen vermeinte. Im Nachhinein denke ich, dass das eine der größten Fehlinterpretationen meines Lebens wurde. Doch wie auch immer; meine Liebe besaß sie jedenfalls, und folgerichtig machte ich mich im zarten Alter von vier Jahren auf den Weg nach Leipzig, um gleich meiner Schwester ebenfalls Ballerina zu werden.

      Wie enttäuscht war ich doch, als sie mich eines Tages beiseite nahm und mir erklärte, dass sei kein richtiger Beruf für Jungen. Wieso eigentlich? Es gab doch auch Tänzer in ihrem Ballett.

      Ich hatte mich schon wochenlang auf den künftigen Beruf vorbereitet. Ein tägliches Training ließ mich in stundenlanger Selbstvergessenheit graziöse Pirouetten vor Omas großem Spiegel drehen, während die Ärmchen dazu dramatisch herumfuchtelten. So in etwa stellte ich mir Ballett vor.

      Oft wurde ich dabei heimlich durch den Türspalt beobachtet, zur Erheiterung der Mutter und ihrer Busenfreundin, der Sommern, die nicht müde wurden, das schwer arbeitende Kind zu belächeln.

      Auch aus dem spontan geplanten Umzug des Vier-jährigen nach Leipzig wurde nichts. Ein Suchtrupp griff mich noch am Bahnhof auf, wo ich mich schon durch die Fahrkartenkontrolle gemogelt hatte.

      Ich war wohl oft ein wenig widerspenstig der geliebten Mutter gegenüber und rettete mich stets zu Oma und Opa Popig, wenn sie die strafende Hand gegen mich erheben wollte. Da saß ich dann in Sicherheit, denn Mutter wagte keine Vergeltungsmaßnahmen gegen den Willen der Altvorderen.

      Zu meinen ältesten bewussten Erinnerungen gehört so auch der passive Widerstand, den ich auf einem Maskenfest des Kindergartens der Mutter entgegensetzte. Mutter hatte wieder einmal alle Register ihrer Kunst gezogen, um mich als Fliegenpilz auszustaffieren. Angetan mit weißem Schlafanzug und weißen Schuhen stand ich in der vergnügten Kinderschar und konnte mich kaum rühren. Eine reich gefältelte Halskrause, so hoch, dass ich kaum den Kopf bewegen konnte, umspannte den zarten Nacken. Heftige Kopfbewegungen waren auch ganz und gar nicht erwünscht, brachten sie doch den riesengroßen Hut ins Rutschen, der mein Haupt zierte. Sie hatte sich solche Mühe gegeben, die Form aus Pappe mit roter Farbe und weißen Filzpunkten auf meinen Kopf zu fixieren.

      Keine Frage! Es sah gut aus, doch es isolierte mich vollkommen von den tobenden Kindern. Ich riss mir bald den farbintensiven Hut vom Kopf und befreite mich von der strangulierenden Halskrause. Alles Zureden und alle Strafandrohungen nutzten nichts, ich war nicht mehr zu bewegen, die hindernde Kostümierung wieder anzulegen. Während Mutter zeterte, tanzte ich vergnügt mit den kleinen Mädchen Ballett. Oder was ich dafür hielt. - Ein stures Kind!

      Mit gewissem Vergnügen erinnere ich mich auch noch an eine andere kleine Begebenheit. Einmal im Jahr gab es einen großen Laternenumzug. Es war der Tag, an welchem die Kinder auch an sämtlichen Türen klingelten, um nach Süßigkeiten zu betteln. Ein hoher Festtag für uns Steppkes und ich lag krank im Bett.

      Mutter hatte leichtsinnigerweise versprochen, nach erfolgreicher Genesung den Laternenumzug mit mir allein vorzunehmen, und ich bestand auf Einhaltung des Versprechens. So fand sie sich eines Abends mit ihrem vor Freude krähenden Sprössling wieder, der jauchzend das Lied von der Laterne intonierte. Es muss wohl ein rechtes Spießrutenlaufen für die elegante Städterin gewesen sein, doch das störte mich wenig. Im Gegenteil: Je verlegener sie wurde, desto lauter sang ich alle Kinderlieder, die ich kannte. Die wenigen Passanten blickten amüsiert auf die hoch verlegene Dame mit dem offensichtlich verrückten Kind, das seine Laterne begeistert durch die kühle Frühjahrsluft schwenkte. Kannte uns doch jeder.

      Schon im Kinderwagen, zur hellen Freude der Popigschen Großmutter, die begeistert den Wagen schob, pflegte das Kleinkind sämtliche Einwohner stets auf das herzlichste zu begrüßen. Huldvoll hatte ich im Sportwägelchen gesessen, wie Königin Elisabeth, die diese Geste sicherlich bei mir abgeschaut hat, und meinen Untertanen zugewinkt. Ich galt als freundliches Kind.

      Vollends zur Pein für Mama wurde der unzeitgemäße Umzug, der eigentlich in der frühen Dunkelheit des Herbstes stattzufinden hatte, als das allgemein als überaus freundlich geltende Kind plötzlich widerspenstig wurde und auch noch begann, an den Haustüren zu klingeln, um den bekannten Bettelvers vorzutragen, der zumeist mit Bonbons belohnt wurde. Doch Mutter hielt ziemlich lange durch und ich liebte sie dafür noch ein wenig mehr. Schließlich lieben Kinder ihre Mütter.

      Auch zärtlich konnte sie sein. Sie schmuste viel mit uns und sonntagmorgens wechselten wir begeistert in die Betten der Eltern, um uns unsere Streicheleinheiten abzuholen. Es war eine schöne Zeit, trotz der trübseligen Nachkriegsstimmung. Auch will mir in der Rückschau scheinen, dass der Stiefvater ein ganz anderer Mensch war, als später nach der Flucht. Er war ein liebevoller Mann, aufgelegt zu allerlei Späßen,

      Sogar in Urlaub fuhren wir in diesen Jahren, obwohl es immer schwieriger wurde, ein Privatquartier zu erhalten. Meist fuhren wir an die Ostsee, doch auch in Thüringen waren wir in der Sommerfrische.

      Vater Popig kam selten die ganze Verweildauer mit, Geschäfte hielten ihn unter der Woche fern. Sein Urlaub fand eher an den Wochenenden statt, doch wenn er kam, gab es immer etwas Besonderes.

      Für uns Kinder war es immer am Schönsten an der See.


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