Sandburgen & Luftschlösser - Band 1. Karl Michael Görlitz

Sandburgen & Luftschlösser - Band 1 - Karl Michael Görlitz


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Leitfigur für mich werden. Ich kasperte gern ein wenig herum. Besonders nachdem ich ein ganzes Kasperletheater samt Handpuppen von den Eltern geschenkt bekommen hatte, zog ich in der Nachbarschaft herum und langweilte mein Publikum mit endlosen Darbietungen. Die Zuschauer wurden nur wach, wenn Kasperle mit Freund Seppel kräftig auf den Räuber eindrosch oder die Hexe verwimste. Noch interessierter wurden sie, wenn das grauenhafte Krokodil mit weit geöffnetem Maul erschien, um das Puppenensemble zu dezimieren und die Pritsche laut und lange auf seinen hässlichen Kopf klatschte. Bei den eher lyrischen Szenen zwischen Prinz und Prinzessin schliefen sie allerdings gern ein wenig, bis der nächste Rumor folgte und der rotgesichtige Teufel eins aufs Dach bekam. Es waren schöne Puppen, in künstlerischer Handarbeit im Erzgebirge geschaffen worden, mit schlenkernden Beinen, die über die Brüstung des Theaterchens (mit auswechselbaren Kulissen!) hingen, und ich hing an ihnen.

      Ich spielte so lange und häufig mit ihnen, bis die prächtigen Kostüme eine Grundreinigung im Waschzuber benötigten, die emsig mit der allerseits beliebten Schmierseife vorgenommen wurde. Es hatte den Puppen offensichtlich nicht so besonders gefallen so sauber zu werden, ihre Gesichtszüge hatten sich schon bei der Reinigungsprozedur schmerzlich verzogen. Vollends empört über die grobe Behandlung waren sie im Laufe der Nacht von der Wäscheleine geflohen, an der sie kopfüber gehangen hatten. Ein treuloses Gesindel und ich grämte mich lautstark über den Verlust.

      Ich grämte mich Tage und Wochen, bis die entnervten Erziehungsberechtigten mit einem neuen Satz Puppen den Kummer beendeten. Diese waren nicht ganz so schön, doch sie erfüllten genau so gut ihren Zweck. Ich zog wieder glücklich durch die nähere Umgebung und quälte die Wohlmeinenden mit ausgedehnten Matinee-Vorstellungen.

      Noch besser fand ich allerdings die Zirkusvorstellungen, die wir beiden Brüder den anderen Kindern gaben.

      Es gab einen Fuhrunternehmer namens Deterling, der seiner Tochter zuliebe gelegentlich die Fahrzeuge zu einer runden Wagenburg zusammenstellen ließ. In deren Kreis entstand eine mit Sägespänen gefüllte Manege, die von zwei Reihen, aus alten Brettern improvisierten Sitzbänken umringt wurde. Hier gab ich gern den Direktor, der mit Zylinder, Peitsche und Zügel die Pferdchen im Kreise laufen ließ. Aber auch den wagemutigen Todessprung über die Köpfe der atemlosen Menge hatte ich mir vorbehalten, während das kleine Brüderchen als Clown das Publikum begeisterte. Unsere Vorstellung war stets ausgebucht, da unser Freundeskreis mittlerweile ziemlich gewachsen war.

      Ich sagte ja schon, dass die reiche Familie im Ort nicht nur Freunde hatte. Eher im Gegenteil, und zu meinen verstörendsten Erinnerungen gehört der Hass, mit dem Einige uns verfolgten. Sogar die Kinder der proletarisch aufgerüsteten Masse des jungen Arbeiter- und Bauernstaates gaben sich voreingenommen und lauerten oft nach dem Schulbesuch dem Bruder und mir auf, um uns zu verprügeln.

      Das machte Freunde, die uns warnten und oft lange Umwege nach Hause, bitter nötig.

      Jedoch die Essenseinladung bei einem glühenden Kommunisten, mit dessen Tochter ich des öfteren gespielt hatte, trug nicht gerade zur klassenlosen Verständigung bei.

      Zu meinem größten Erstaunen hatte es nur trockene, gekochte Spaghetti gegeben, von denen er mich zwang, einen gehäuften Teller voll zu verzehren, während er seine Hasstiraden gegen das kapitalistische Ausbeutersystem als Würze über meinen Kopf und die Nudeln auskippte. Während er so gegen die Ungleichheit und Ungerechtigkeit der Ausbeuterkaste wetterte, verzehrte er genüsslich vor den hungrigen Augen von Mutter und Tochter das stramme Würstchen, mit dem seine gebutterten Teigwaren gekrönt waren.

      Auch der fast kahlgeschorene Schädel, den ich, zum Entsetzen der Mutter, vom Besuch beim falschen Friseur davontrug, festigte den Wunsch nach Freunden ganz erheblich. Und so hatte ich allerhand zu tun, dem Namen Popig ein wenig mehr Glanz beim einfachen Volk zu verschaffen. Was im Laufe der Jahre auch ganz gut gelang.

      In der Rückschau will mir oft scheinen, dass ich die ersten Jahre meines Lebens im ausgehenden 19. Jahrhundert verbrachte, mit all den Mädchen, Kinderfrauen und Kutschern. Besonders als Oma und Opa Popig noch die Zügel des Hauswesens führten. Oma gab nur allzu gern die gnädige Frau, die sich mit preiswertem Personal umgab, das sie in Waisenhäusern und anderen Erziehungseinrichtungen rekrutierte. Die vier oder fünf Dienstmädchen wurden mehr schlecht als recht in den Dachkämmerchen, die nicht mal eine Heizung hatten, untergebracht. Die Frau hatte Bedienstete auch bitter nötig, konnte sie sich doch auf Grund ihrer Fettleibigkeit nicht einmal die Schuhe selbst zuschnüren. Auch hatten sich die Lebensverhältnisse der Landbevölkerung trotz zweier Weltkriege nicht grundlegend verändert und ein Mädchen ohne Bildung und Vermögen ging in Stellung.

      Peter und ich wuchsen glücklicherweise auf der anderen, feudaleren Seite auf, und ich kann nicht verhehlen, dass mir der Stand des Dorfprinzen außerordentlich gut gefiel. Trotz der vielen Anfeindungen. Auch einen gewissen Dünkel hatten wir angenommen, und wir fühlten uns durchaus als etwas Besseres - durch Geburt Privilegierte.

      Den tiefen Respekt der Bevölkerung vor der begüterten Klasse, der damals noch vorherrschte, soll folgende Anekdote illustrieren.

      Wenn der Briefträger zu Großmutter kam, herrschte der oft heute noch in ländlichen Kreisen gepflegte schöne Brauch, dem Manne mit den guten Nachrichten ein Gläschen Schnaps zu offerieren, welches in allertiefster Untertänigkeit und Demut entgegengenommen und meist mit den Worten: »Dann bin ich mal so frei!«, hackenknallend verzehrt wurde.

      Worauf Großmama stets huldvoll zu lächeln pflegte, um dem tapferen Ritter des Briefes noch mit einem zweiten Glas zu beehren, was meist mit den Worten geschah:

      »Na, Herr Schmitt, nehmse mal noch ruhig einen – auf einem Bein kann man doch schlecht stehen!«

      Nur einmal zierte sich der Mann ein wenig, nachdem er den ersten Kurzen, ohne mit der Wimper zu zucken, runtergespült hatte, und es bedurfte einer gewissen Überredungskunst der Gnädigen, bevor der so vehement Ausgezeichnete das zweite Glas hinunterkippte. Misstrauisch

      geworden, ob des unüblichen Zauderns des wackeren Mannes, hatte die Dame des Hauses, nach Abgang des Widerstrebenden, an der Flasche gerochen, aus der kredenzt worden war.

      Essig!! Eine Verwechslung der Küche. Der Mann hatte zwei Glas Essig, ohne eine Miene zu verziehen, runter geschluckt. So tief saß ihm der Respekt im Nacken. Oma lachte noch tagelang.

      An der Verwechslung der Flaschen hatte ich keinen geringen Anteil, steht zu befürchten, hatte mich doch eine unheilige Sympathie für geistige Getränke erfasst. Die Eltern waren schon von tiefer Sorge erfüllt gewesen über das Kleinkind, das kaum des Laufens mächtig, zu rätselhaften epileptischen Anfällen neigte, in denen es laut krähend aufs Gesicht fiel, ohne die schützenden Ärmchen vorzustrecken. Eine plötzliche Ohnmacht!

      Die herbeieilenden Mädchen betteten sofort das kranke Kind zur Ruhe, wo es sich wundersam erholte, während die Erziehungsberechtigten noch den Rausch vom Vorabend ausschliefen. Sonderbarer weise fanden diese kleinen Unfälle immer in den frühen Morgenstunden, nach ausgedehnten Feiern statt und so dauerte es geraume Zeit, bis die Mutter die erschütternde Wahrheit über meine zerrüttete Gesundheit erfuhr. Das Kind hatte sich in aller Herrgottsfrühe, bevor noch die Mädchen aufgeräumt hatten, über die Reste der Party und Neigen der Gläser hergemacht und war jedesmal sternhagelvoll.

      Schon am Vorabend hatte ich bei den Gästen dem unseligen Laster gefrönt. Ich hatte da so meine Tricks und konnte auch nicht eher einschlafen, bis die Runde bei sämtlichen Geladenen gemacht war, gerade auch, um mich zu vergewissern, dass alle mir wohlgesonnen Sympathie entgegenbrachten. Mein großer Auftritt begann stets damit, dass ich die Tür zum Festraum einen Spalt weit öffnete, ein schelmisches Gesicht aufsetzte, und die Versammelten fragte:

      »Ei, ei, wer ist denn da?«, und beantwortete die Frage der Einfachheit halber gleich selbst. »Der Mimi!«

      Nach einigen weiteren Faxen rutschte ich dann von Schoß zu Schoß, um meinen Tribut für die glänzende Unterhaltung in Form eines Schlückchens aus dem jeweiligen Glas zu fordern, was meist lächelnd gewährt wurde und mir manchmal zum ordentlichen Zug geriet. Erst dann trollte ich zufrieden in mein Bettchen neben dem Bruder zurück, der damals noch konsequenter Abstinenzler war und viel lieber friedlich hingestreckt unter der dicken Federdecke,


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