PatchWords. Britta Bendixen

PatchWords - Britta Bendixen


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da unten, da rechts, in dem weißen Haus, da wohnte meine erste Freundin.“

      Barbara lächelte säuerlich. „Etwa die, die wir neulich getroffen haben? Die mit dem dunklen Haaransatz und den drei Scheidungen?“

      „Nein, eine andere“, erwiderte Jochen knapp. „Kennst du nicht.“

      In den nächsten Minuten herrschte atemlose Stille. Die Sonne stieg höher und tauchte den Horizont in leuchtende Farben.

      „Herrlich!“ Herbert konnte sich gar nicht sattsehen.

      Fiete zog Inge am Ärmel. „Ist das nich ne tolle Aussicht? Nu guck doch ma!“

      „Lieber nicht. Ich leide nämlich unter Höhenangst.“

      Herbert drehte sich zu Fiete um und rollte vielsagend mit den Augen. „Tut sie nicht. Keine Bange.“

      „Da! Das Meer!“ Jochen hob seine Videokamera hoch. Sie schwebten langsam auf die Ostsee zu.

      „Da hinten is Dänemark“, erklärte Fiete.

      Barbara nickte begeistert. „Und da - die Ochseninseln!“

      Wenig später sahen sie ein kleines Spiegelbild von sich und dem Ballon auf der Wasseroberfläche.

      Sie waren bereits über eine Stunde unterwegs, als Fiete das Ventil öffnete und der Lärm ausblieb. Besorgt brummelte er vor sich hin und versuchte es erneut.

      Jochen ließ seine Kamera sinken und drehte sich zu ihm um. „Was ist los?“

      Fiete lüftete seine Mütze und kratzte sich den Scheitel. „Tscha, ich sach ma so: Der Wind will nich so wie ich will und die Gasflaschen sind leer.“

      „Was soll das heißen?“ Inge musterte Fiete misstrauisch.

      „Das soll heißen, die Natur is unberechenbar. Ab und zu macht der Wind so ‘n lütten Schlenker, mit dem kein Schwein gerechnet hat.“

      „Nu ma Butter bei die Fische“, forderte Jochen. „Was bedeutet das?“

      „Das bedeutet, wir könnten in der Ostsee landen, wenn der Wind nicht bald aus der richtigen Ecke pustet.“

      Inge sah nervös zu Herbert, der wiederum mit Jochen einen Blick tauschte.

      Fiete besprach sich per Handy mit seinem Kollegen, der ihnen im Auto gefolgt war. Er klang ernst.

      „Guckt mal!“

      Barbaras Stimme klang dünn. Sie hatte sich über die Kante des Korbs gebeugt und sah nach unten. Die anderen folgten ihrem Beispiel, sogar Inge wagte nach kurzem Zögern, einen Blick über den Rand zu werfen. Das Spiegelbild des Ballons war deutlich größer als vorher.

      Inge wich zurück. „Herbert, ich hab Angst“, presste sie hervor.

      Barbaras Kinn zitterte. „OGottogott!! Jochen, tu doch was!“

      Jochen wandte sich an Fiete. „Ich sag Ihnen mal was: Wenn uns was passiert, dann sollten Sie sich warm anziehen. Mein Nachbar ist Anwalt. Eine gesalzene Schadensersatzklage ist Ihnen sowas von sicher, wenn -“

      „Jochen, hör auf!“ Herbert zog seinen Freund am Ärmel zurück.

      Fiete blieb gelassen. „Lass man, mien Jung! Is doch klar, dass dein Kollege nich begeistert ist. Wenn die Berechnungen nich stimmen, dafür kann ich nix. Kann schon sein, dass wir nasse Füße kriegen.“

      „Nasse Füße?!“ Herbert schüttelte zweifelnd den Kopf. „Hier ist das Wasser ein paar Meter tief. Und bis zum Ufer sind es gut und gerne zweihundert Meter. Bei einer Wassertemperatur von höchstens 14 Grad …“

      „Jochen!“ Barbara schrie nun fast. „Ich kann nicht so gut schwimmen, das weißt du. In kaltem Wasser schon gar nicht. Und meine neuen Lederschuhe …“

      „Scheiß auf deine Schuhe!“, brüllte Jochen. „Denk lieber an die Kamera. Die hat fast tausend Euro gekostet!“ Er drehte sich zornig zu Fiete um. „Ihre Firma wird sich dumm und dusselig zahlen, das verspreche ich Ihnen.“

      Barbara sah wieder über die Kante auf die stille Oberfläche, die im Licht der aufgehenden Sonne glitzerte. Das Spiegelbild war noch größer geworden.

      „Wir werden gleich alle ertrinken“, hauchte sie.

      Inge schlug sich die Hände vors Gesicht.

      „Seid ihr nu fertich mit lamentieren?“ Fiete verschränkte die Arme. „Hätt ich gewusst, dass ich es mit vier Bangbüxen zu tun krieg, wär ich gar nich losgefahr’n. Nu reißt euch ma ‘n büschen am Riemen!“

      Die Frauen sahen eingeschüchtert aus, die Männer wirkten beschämt und gleichzeitig entrüstet. Was sich dieser Kerl herausnahm …

      „Tatsache is“, fuhr Fiete fort, „wir können nich viel machen. Mein Kumpel weiß, wo wir sind, aber bis er ein Boot hat, dauert es noch ne Ecke. Also: Ruhe bewahr’n. Panik bringt uns nich weiter, klar?“

      Vier betretene Köpfe nickten stumm.

      Jochen ließ die Kamera schweifen und plötzlich erhellte sich sein Gesicht. „Da hinten ist eine kleine Jolle!“, rief er.

      „Oh, Gott sei Dank!“ Barbara schloss erleichtert die Augen.

      Fiete schirmte seine Augen mit der flachen Hand ab. „Die ist aber noch bannig weit weg.“

      Jochen begann dennoch zu winken. „HAL-LO! HIER-HER!“

      Nichts geschah.

      „Sie hören mich nicht“, kapierte Jochen. „Wir sind zu weit weg.“

      „Wir müssen alle zusammen rufen“, schlug Herbert vor. „Luftgraf Fiete von der Förde, Sie auch.“

      Alle fünf schrien und winkten, so laut und heftig sie konnten. Ihre Bemühungen waren erfolgreich, die zwei Männer auf der Jolle winkten freundlich zurück.

      „Na klasse!“ Jochen verzog das Gesicht. „Sie sind zwar höflich, aber nicht sehr hilfreich.“

      Schließlich schienen die Segler zu kapieren, dass es doch um mehr ging als um den Austausch von Höflichkeiten. Sie steuerten auf den Ballon zu, allerdings im Schneckentempo.

      Es ruckte und Inge schrie auf. „Oh Gott! Wir gehen unter!“

      Jochen verstaute eilig seine Kamera. Herbert sah zu Boden. Wasser sickerte herein, anfangs wenig, doch es wurde schnell mehr. Die Feuchtigkeit drang durch Sohlen und Socken.

      „Verdammt kalt, die Brühe“, murmelte er.

      „Meine Schuhe sind schon ganz nass“, jammerte Barbara. „Die kann ich nur noch wegschmeißen.“

      Fiete stellte sich neben die bleich gewordene Inge. „Mach dir man nich ins Hemd, mien Deern. Ich pass schon auf, dass du nich untergehst. Meine Rettungsschwimmer-Ausbildung is zwar dreißig Jahre her, aber sowas verlernt man nich. Is wie Fahrradfahren.“

      Inge rang sich ein Mini-Lächeln ab.

      Der Ballon neigte sich zur Seite. Er sah aus, als hätte er eine Blitzdiät gemacht. Schlapp und dünn sank er immer weiter, bis er sich auf der Wasseroberfläche ausbreitete wie ein großer bunter Teppich.

      Inge schloss die Augen. Das Wasser stand nun kniehoch. Sie zitterte vor Furcht und vor Kälte. Ihre Finger krallten sich an die Bordwand.

      Als die Ostsee um ihre Hüften schwappte, war die Jolle so nah, dass sie die Segler erkennen konnten.

      „Siehste.“ Fiete lächelte in Inges Richtung. „Nu wird alles gut. Wasser hat manchmal eben doch Balken.“

      Inge sah zu ihm hoch. „J-j-j-ja, jetzt glaube ich d-d-d-das auch“, bibberte sie und erwiderte fröstelnd aber dankbar sein Lächeln.

      Endlich war die Jolle da.

      „Was macht ihr denn für Sachen?“

      Einer der beiden Segler, ein


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