Rette sich, wer kann!. Ekkehard Wolf
Willen nicht, was er dazu nun sagen sollte.
In einem Anfall aufkommender Panik erinnerte er sich daran, dass sein eigenes Handwerkszeug, nach seinem letzten Besuch bei dem Uhrmacher spurlos aus seinem Wagen verschwunden war.
Er entschloss sich daher dazu, auf diese Behauptung nicht mit der spontanen Eingebung zu reagieren, auf die er sich Sekunden zuvor noch hatte einlassen wollen und musste zu seiner nicht geringen Überraschung erleben, dass dies andere für ihn genau umgekehrt entschieden hatten. Ausgerechnet Woronin war es, der ihn in eine Lage brachte, die ihm keinen Ausweg ließ.
Mit unüberhörbarer Verärgerung in der Stimme verwahrte sich der Este mit Nachdruck gegen den Schwachsinn, den sich diese Dame da ausgedacht hatte.
Wieder fiel Rogge auf, dass selbst dieser Gefühlsausbruch so dosiert verabreicht wurde, dass die Übersetzerin keine Mühe hatte, ihm zu folgen.
Und dann kam das, was aus Rogges Sicht unter diesen Umständen wohl eher übel enden musste.
An den Sprengstoffexperten gewandt erkundigte sich der Leitende Beamte sodann danach, wo „das Zeug“ derzeit aufbewahrt wurde und ordnete an, die Sachen daraufhin zu untersuchen, ob da „auch nur eine Spur von Fingerabdrücken des Kollegen aus Deutschland“ zu finden sei.
„Ich nehme doch an, dass Sie nichts dagegen haben,“ wandte sich Woronin danach in geradezu kollegialem Ton an seinen Mitstreiter aus dem Lande im Herzen Europas.
Rogge wurde das Gefühl nicht los, dass seinem Gegenüber das schwere Schlucken, das ihn bei dieser Aufforderung überkam, nicht nur auffiel, sondern genau so gefiel, wie einem etwas gefällt, der erlebt, wie die eigene Rechnung aufgeht.
Der Oberrat öffnete die ihm zur Verfügung gestellte Teekanne, schenkte sich eine Tasse ein und zwang sich dazu, in aller Ruhe das Glas zu leeren.
Danach hatte er seine Entscheidung getroffen.
Rogge entschloss sich zu einem Befreiungsschlag, war sich aber zugleich auch bewusst, dass dieser Schuss nach hinten losgehen konnte, sofern der Este mit falschen Karten spielen sollte.
„Hören Sie,“ erklärte er so gedehnt, als ob er der Übersetzerin alle Zeit der Welt geben wollte, um seinen Worten das ihnen gebührende Gewicht zu verleihen. „Hören Sie, ich denke wir sollten das genau so machen, wie Sie gerade vorgeschlagen haben. Aber ich mache Sie darauf aufmerksam, dass die Überprüfung positiv ausfallen dürfte, wenn das stimmt, was ich jetzt inzwischen vermute.“
Die verständnislosen Blicke seiner Zuhörer beiderlei Nationalität zeigten ihm, dass es besser sein dürfte, diese Vermutung jetzt doch etwas gründlicher zu erläutern. Während die beiden Begleitbeamten seine Fingerabdrücke nahmen, schilderte er seinem staunenden Publikum in nur mühsam bewahrter Ruhe den Vorfall von dem verschwundenen Handwerkszeug und versäumte es auch nicht, darauf hinzuweisen, dass er es nunmehr für dringend erforderlich halte, seine Dienststelle von diesem Gang der Dinge unverzüglich in Kenntnis zu setzen.
Erst, als er geendet hatte wurde ihm bewusst, dass er im Begriff war, seine Glaubwürdigkeit mit seiner Redseligkeit zu verspielen.
Um Zeit zu gewinnen, griff er erneut zu dem ihm angebotenen Tee und registrierte zugleich, wie sein Puls zu rasen begann.
Noch während er fieberhaft nach einem Ausweg suchte, spürte er, wie ihm die Kräfte verließen.
Als er wieder zu Bewusstsein gelangte, befand er sich allein mit Woronin und einer Person in dem Raum, die auf ihn wie ein Arzt wirkte.
Während der seinen Puls maß, beugte sich der Oberstleutnant über ihn und teilte ihm mit besorgter Stimme und Miene mit, dass er einen Schwächeanfall erlitten habe.
„Die anderen habe ich hinausgeschickt. Ich hoffe, das ist ihnen recht,“ erklärte der estnische Polizeioffizier nun auf deutsch.
Rogge gelang es mühsam, sich aufzurichten.
Weniger Mühe hatte er damit, sich zu gegenwärtigen, was sich vor seinem Niedergang zugetragen hatte.
Noch bevor er dazu kam, das Thema aufzugreifen, versuchte der Este beruhigend auf ihn einzuwirken. „Machen Sie sich keine Sorgen, Herr Rogge, ich habe Herrn Enders gebeten, sich mit ihrer Dienststelle in Verbindung zu setzen und den Vorfall dorthin zu berichten, ganz wie Sie das verlangt haben.“
Auch bei dieser Bemerkung konnte sich Rogge das ungute Gefühl nicht verkneifen, hier in etwas hineingeraten zu sein, was sich ganz langsam begann seiner Kontrolle zu entziehen.
Erneut aber machte er sich klar, dass ihm nichts anders übrig blieb, als gute Miene zum bösen Spiel zu machen, denn schließlich hatte er gerade eben genau diese Meldung ja selbst verlangt. Dass er nicht dagegen protestieren konnte, dass diese durch einen Untergebenen abgefasst wurde, hatte mit seinem Zusammenbruch zudem mit seiner eigenen Person im Wortsinne vor Aller Augen gelegen. Erst jetzt konnte er damit beginnen, sich über die Gründe für den Schwächeanfall seine Gedanken zu machen.
Sollte hier jemand nachgeholfen haben? Noch bevor er dazu kam, sich hierüber ernsthaft den Kopf zu zerbrechen, klingelte erneut das Telephon.
Der Este hob den Hörer ab, sagte etwas auf estnisch, wechselte dann in die deutsche Sprache, und reichte das Telephon nach dem Austausch einiger kurzer Höflichkeitsfloskeln mit den Worten an Rogge weiter: „Für Sie, Frau Grafunder.“
Der Polizeioberrat nahm den Hörer entgegen.
„Herr Rogge?“, tönte es ihm entgegen.
„Was ist los bei Ihnen? Gibt es ein Problem?“
Die Dienstvorgesetzte des Beamten hatte auf jegliche Schnörkel verzichtet und erwartete offenkundig einen unverzüglichen Bericht.
Rogge spürte, dass sie in Eile war und ihm war klar, dass es ihr lästig war, ihn hier anrufen zu müssen.
Gleichwohl konnte er es sich nicht verkneifen, sich danach zu erkundigen, woher sie von den Problemen erfahren hatte.
„Enders hat mich angerufen,“ verkündete sie ihm knapp. Der Ton war unwirsch.
Die Frau am anderen Ende der Leitung gab sich keinerlei Mühe, ihre Verärgerung zu verbergen.
Sie wartete.
„Rogge?“
Dem Angesprochenen war klar, dass ihm irgendwelche Ausflüchte hier jetzt nicht weiterhelfen würden.
Er zögerte trotzdem und sah den estnischen Kollegen fragend an.
Doch dieser zuckte nur mit den Schultern.
Rogge räusperte sich: „Es tut mir leid, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass dies hier eine sichere Verbindung darstellt.“
Das Schweigen am anderen Ende der Leitung bewies ihm, dass seine Vorgesetzte einen Augenblick benötigte, um die Bemerkung richtig einzuordnen.
Als sie sich dazu entschlossen hatte, weiter zu sprechen, klang ihre Stimme ungewohnt behutsam: „Ich denke nicht, dass das im Augenblick von großer Bedeutung ist. Sie wissen, wessen Sie beschuldigt werden?“
Rogge konnte die Frage lediglich bejahen.
„Und?“
Wieder wartete die Frau in Deutschland auf eine Antwort ihres Mitarbeiters.
„Na ja, das ist natürlich alles völliger Unsinn. Sie werden doch nicht im Ernst annehmen, dass an der Geschichte von diesem Mädchen etwas dran ist?“
Rogges Stimme hatte ihren gewohnt dunklen Klang verloren und war in eine Mischung aus Aufgeregtheit und Empörung umgeschlagen, die Uneingeweihte vermutlich mit dem Ausdruck hysterisch belegt hätten.
„Ich nehme überhaupt nichts an, sondern erwarte, dass Sie mir jetzt einfach klipp und klar sagen, was da los ist bei Ihnen.“
Andrea Grafunder klang weiterhin völlig ruhig. Sie hatte sich jedoch Mühe gegeben, dem Klang ihrer Stimme noch mehr Bestimmtheit zu verleihen.
Erst jetzt begriff Rogge, dass seine Vorgesetzte ernsthaft