Rette sich, wer kann!. Ekkehard Wolf

Rette sich, wer kann! - Ekkehard Wolf


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Hund noch tiefer zwischen den hochgezogenen Schultern verschwinden zu lassen, fuhr ihn seine Mitarbeiterin in einem Ton an, den er von Untergebenen so bisher wirklich nicht gewohnt war. „Was bilden Sie sich eigentlich ein, wer Sie sind Herr Rogge? Wir versuchen Ihnen hier so behutsam wie möglich näher zu bringen, dass es ein wenig peinlich für Sie werden könnte, wenn die Aussage, die Sie verlangen, hier in aller Öffentlichkeit ausgebreitet wird, und Sie haben nichts besseres zu tun, als sich wieder einmal über alles lustig zu machen.“

      Die schöne Luise, wie Rogge sich angewöhnt hatte, die Profilerin für sich zu nennen, machte eine Pause und Rogge holte tief Luft. „Peinlich für mich?“, erkundigte er sich papageienartig bei seiner Mitarbeiterin.

      „Wie darf ich das verstehen?“

      Dass er sich damit endgültig selbst den Weg verbaut hatte, die seltsame Neuigkeit zunächst einmal unter vier oder sechs Augen mitgeteilt zu bekommen, begriff er zu spät, denn jetzt platzte der Estin der Kragen.

      „Das waren doch Sie,“ brach es aus ihr heraus. Gleich darauf zog sie jedoch wieder den Kopf ein, als sie die verständnislosen Blicke der im Raum versammelten Beamten auf sich konzentriert sah.

      „Ich war was?“ Der Kriminaloberrat spürte, wie die fragenden Blicke seiner estnischen Kollegen auf ihn gerichtet waren. Das trug nicht gerade dazu bei, seinen Verstehensprozess zu beschleunigen.

      Immer noch begriffsstutzig starrte nun er wechselweise zunächst auf die estnische Studentin und dann auf seine Profilerin.

      Keine von beiden war jedoch bereit ihm den Gefallen zu tun und ihm auf die Sprünge zu helfen - im Gegenteil. Dem Anschein nach fand die deutsche Polizistin sogar Gefallen an der Situation und tat ihr bestes, es dem ‚Kotzbrocken’ heimzuzahlen.

      „Da müssen Sie nun schon selber drauf kommen, Herr Oberrat,“ säuselte sie ihm spitz zu und bot ihm mit mitleidsgetränkter Stimme an, ihn beim ostfriesischen Schnelldenkerwettbewerb anzumelden. „Da machen Sie bestimmt eine tolle Figur, Herr Oberrat, wirklich.“

      Rogge wusste nicht wirklich, wie ihm geschah. Eine solche Respektlosigkeit von Seiten einer jungen Untergebenen war ihm in seinen vielen Dienstjahren noch nicht untergekommen. Ratlos sah er seine „zweite große Stütze“, den ebenfalls mitgereisten Polizeioberkommissar Thomas Enders in der Erwartung an, dass dem etwas Geeignetes einfiele. Doch der machte keinerlei Anstalten, sich hier einzumischen, zumal er ebenso wenig mit der Feststellung der Estin anfangen konnte, wie alle übrigen im Raum versammelten Personen. Für einen unendlich langen Moment herrschte Schweigen.

      Einer der Uniformierten räusperte sich, sonst geschah nichts. Nur ganz allmählich gelang es Rogge währenddessen, die Worte der Estin dort einzuordnen, wohin sie gehörten. Als er die Botschaft schließlich begriffen hatte, erhob er sich geradezu im Zeitlupentempo von seinem Stuhl, beugte sich vor zu der Estin und sah sie mit offenem Mund einen kurzen Moment lang an.

      „Sagen Sie das noch einmal,“ waren die einzigen Worte, die er schließlich über die Lippen brachte.

      Die Estin hatte sich inzwischen anscheinend wieder gefangen und war erkennbar entschlossen, sich hier nicht weiter unterbuttern zu lassen. Mit wild funkelnden Augen sprang sie nun ihrerseits auf und tat dem „Kommissar aus Deutschland“ den erbetenen Gefallen.

      „Sie waren das,“ fauchte sie Rogge mit einer Aggressivität an, die er ihr gar nicht zugetraut hätte, und fügte ohne Luft zu holen hinzu, dass sie sich ganz sicher sei und er doch aufhören solle, sich hier zu verstellen. Damit war ihr Potential an Aufmüpfigkeit aber auch bereits wieder erschöpft und sie kauerte sich wie zuvor mit hochgezogenen Schultern auf ihren Stuhl.

      Der Beamte aus Deutschland konnte förmlich körperlich spüren, wie die Atmosphäre im Raum begann frostig zu werden. Sein Verstand sagte ihm, dass er jetzt damit zu rechnen hatte, von den estnischen Kollegen festgenommen zu werden. Zu klar war die Aussage der jungen Frau und zu eindeutig schien auch deren Motivlage zu sein.

      „Du kleines Luder spielst uns hier das Hascherl vor und schaffst es dabei ganz nebenbei, den Spieß umzudrehen.“ Während ihm dieser Gedanke durch den Kopf ging, suchte er zugleich fieberhaft nach einer eleganten Lösung, um hier nicht zum Schluss ganz schlecht auszusehen. Er fühlte, in die Falle getappt zu sein, und er registrierte verblüfft, wie selbst seine beiden neben ihm sitzenden Kollegen begannen körperlich von ihm abzurücken. Je länger es dauerte, bis ihm eine Lösung einfiel, desto peinlicher wurde es für ihn. Natürlich war die Vorstellung absurd, zugleich aber begann das Absurde reale Formen anzunehmen. So begann das Undenkbare denkbar zu werden, je länger sich der Kopf daran gewöhnte, in den ungewohnten Bahnen zu denken. Rogge war klar, dass es unklug war, den versammelten Polizistenköpfen diese Zeit zu geben; denn er wusste aus Erfahrung, dass sich die Phantasie der Ermittler gegen den Häftling zu richten begann, wenn es ihm nicht rechtzeitig gelang, ihre Hirne von der Sinnlosigkeit der ausufernden Phantasie zu überzeugen. Ausgerechnet sein ranggleicher estnischer Kollege, der eigens seinen Urlaub unterbrochen hatte, um den Kollegen aus Deutschland seine Referenz zu erweisen, sprach die erlösenden Worte, die Rogge in seinem Panikanfall nicht in den Kopf gekommen waren.

      „Was redest du da? Wann soll das gewesen sein? Der Kollege aus Deutschland ist vor wenigen Stunden hier eingetroffen. Wie kann er dir da vor Tagen bereits diese merkwürdigen Unterlagen gegeben haben?“

      Aufmerksam registrierte Rogge, wie sein Kollege der kleinen Studentin versuchte, den Schneid abzukaufen. Doch die junge Frau saß in der Falle. Wenn sie jetzt einknicken sollte, musste sie damit rechnen, wegen Verleumdung eines Polizisten und dazu noch eines Polizisten aus einem befreundeten Land zur Rechenschaft gezogen zu werden. So etwas konnte übel ausgehen, nicht nur in Estland. Daher war man stets besser beraten, es sich vorher dreimal zu überlegen, ob die gegen einen Polizisten vorzubringenden Anschuldigungen auch belastbar waren, bevor man sie öffentlich machte. Doch dieser Schritt lag hinter der Studentin. Jetzt nicht einzuknicken war daher die einzige Möglichkeit, der drohenden Sanktion aus dem Weg zu gehen. Aber dazu waren nun eben belastbare Fakten von Nöten und genau diese zu präsentieren zögerte die junge Frau noch einen kurzen Augenblick. Gerade lang genug, um sich dem nahe liegenden Verdacht nicht noch stärker auszusetzen, all das, was jetzt kommen würde, vorab auswendig gelernt und vielleicht sogar geprobt zu haben, gerade kurz genug, um den Ermittlern nicht das Gefühl zu geben, in Wirklichkeit keine belastbare Antwort auf die Frage bereit zu haben.

      „Das wissen Sie doch selbst ganz genau,“ erklärte die Studentin an Rogge gewandt mit fast weinerlicher Stimme. Sie blickte kurz auf, senkte dann den Blick erneut und gab das genaue Datum an. Selbst die ungefähre Uhrzeit fehlte nicht.

      „Das war fast auf den Tag genau vor zwei Wochen,“ gab die junge Frau zu Protokoll, „so ungefähr um 14.30 Uhr. Ich bin gerade vom Mittagessen zurückgekommen, da stand er vor meiner Tür. Wir haben dann so etwa zwei Stunden gebraucht, um die Details durchzugehen. Ich erinnere mich deshalb so genau, weil ich um 17.00 Uhr bereits wieder zum Tanzkurs musste und daher rechtzeitig los musste.“

      Das war konkret, sehr konkret sogar, wie sich Rogge eingestehen musste.

      „Zum Tanzkurs! Ach wie niedlich.“

      Rogge sprühte vor Sarkasmus, versuchte sich aber zu bremsen.

      „Um die Sache rund zu machen, wäre jetzt eigentlich noch eine Handvoll Zeugen schön, die bestätigen können, dass du mich an diesem Tag tatsächlich getroffen hast.“

      Rogge hatte seinen Sarkasmus noch keineswegs beiseite gelegt. Zugleich zermarterte er sein Gehirn nach der Antwort auf die jetzt unausweichliche Frage. Doch sein Erinnerungsvermögen spielte ihm einen Streich. Er konnte sich partout nicht besinnen, was er an diesem Tag gemacht hatte. Allein, dass er nicht in Estland gewesen war, schien ihm sonnenklar. Während er weiter überlegte, verschaffte ihm die junge Übersetzerin eine kurze Denkpause. Sie war noch nicht fertig mit ihren Ausführungen und legte ein Beweismittel nach. Das war zwar nicht die Handvoll Zeugen, aber immerhin noch zwei und zwar Kommilitonen, die sie zum Tanz angeholt hatten. Selbstverständlich konnte sie deren Namen und Adressen angeben und ebenso selbstverständlich würde es sich hierbei nicht um fiktive Adressen handeln.

      Soviel hatte Rogge inzwischen


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