Rette sich, wer kann!. Ekkehard Wolf
klang glaubhaft. Dreihundert Euro stellten für die kleine Studentin sicher keinen Pappenstiel dar. Rogge war sich nach diesen Auskünften keineswegs sicher, wie er nun weitermachen sollte.
Bei Licht besehen dürfte der jungen Dame vielleicht gerade noch ein Phantombild zu entlocken sein. Mit dem Fall an sich hatte sie aber im eigentlichen Sinne offenkundig nichts zu tun.
Alles andere sah nunmehr nach der üblichen Routinearbeit aus: Um herauszufinden, wer der Studentin diesen Auftrag erteilt hatte, würde es notwenig sein, die Passagierlisten der Reisegruppen zur Luft und zur See für den fraglichen Zeitraum zu überprüfen, die Daten der Grenzkontrollstellen abzufragen, bei den Hotels die Gästebücher einzusehen und so den Kreis der infrage kommenden Personen systematisch einzugrenzen.
Rogge war sich im Grunde sicher, dass diese Vorgehensweise vergleichsweise schnell zu dem gewünschten Resultat würde führen müssen und er seiner Dienststelle den Auftraggeber bereits in den nächsten Tagen, spätestens Wochen auf dem silbernen Tablett würde präsentieren können.
Schließlich, so machte sich der Oberrat klar, dürfte die Zahl der aus Deutschland stammenden Touristen mittleren Alters, auf die sich zur fraglichen Zeit die Beschreibung der Studentin anwenden ließ, sehr überschaubar sein.
Es war also kaum damit zu rechnen, dass sich der Übeltäter noch lange den Fragen der Ermittler würde entziehen können.
Der Kriminaler war innerlich bereits im Begriff, erneut die Koffer zu packen. um die Heimreise anzutreten, als ihn eine kleine Ergänzung im Vernehmungsprotokoll stutzig machte, die zu erwähnen die junge Germanistikstudentin bisher nicht für nötig befunden hatte.
Der Mann hatte sich nicht nur in Begleitung ihres Kommilitonen befunden. Im Wagen vor dem Lokal, in dem sie sich getroffen hatten, habe noch eine Frau gesessen, die selbst ansonsten aber nicht weiter in Erscheinung getreten sei. An deren Aussehen konnte sich die Studentin daher auch nicht erinnern. Dafür war ihr bei dem Auto aufgefallen, dass es sich um ein Fahrzeug mit einem einheimischen Kennzeichen gehandelt hatte. Rogge freute sich über die hiermit erreichten Fortschritte im Schweinsgalopp und erkundigte sich bei seinen estnischen Kollegen danach, ob deren Befragungen bezüglich des Fahrzeuges bereits zu irgendwelchen verwertbaren Ergebnissen geführt hatten.
Nachdem er ihnen das Gefühl gegeben hatte, wieder in die Ermittlungen einbezogen zu sein, ließen diese ihn nicht im unklaren darüber, dass es sich bei dem Wagen vermutlich um das Fahrzeug des Deutschen gehandelt haben dürfte, das zur Verschleierung seiner tatsächlichen Herkunft lediglich mit einem estnischen Kennzeichen ausgestattet worden war.
Zu dieser Einsicht waren die Kollegen gelangt, nachdem sie die Fahrzeugdaten, die ihnen der Kommilitone der Studentin im übrigen sehr genau hatte beschreiben können, als Volkswagen identifiziert und diese Angaben dann mit den in Estland gemeldeten Wagen dieses Typs abgeglichen hatten. Ein solcher Wagen war in dieser Farbe im ganzen Land nicht zugelassen.
Spät, aber wie die späteren Ereignisse noch zeigen sollten, nicht zu spät, begann Rogge hellhörig zu werden. Immerhin bedeutete diese Erkenntnis, dass der große Unbekannte neben der ahnungslosen Studentin und deren Kommilitonen weitere Helfer im Land gehabt haben musste und das wiederum ließ die baldige Identifizierung dieses Herrn weniger wahrscheinlich erscheinen. Schließlich war kaum anzunehmen, dass jemand, der es für geboten hält zwar mit dem eigenen Wagen, aber gefälschtem Nummernschild aufzukreuzen ausgerechnet im Hotel seinen richtigen Namen angegeben haben sollte.
Als er versuchte diesen Sachverhalt zu klären, konnten ihn seine einheimischen Kollegen wieder beruhigen.
Es sei aus Sowjetzeiten her üblich, sich im Hotel die Reisepässe der Gäste aushändigen zu lassen, wurde dem Beamten aus Deutschland versichert.
Nicht so sicher waren sich die Kollegen aus Tallin hingegen in der Frage, ob der Gesuchte überhaupt in einem Hotel genächtigt hatte und falls ja, ob er dann dort seinen eigenen Pass vorgelegt haben dürfte. Ausgeschlossen werden konnte das zu diesem Zeitpunkt jedoch auch nicht. Die Überprüfung der einschlägigen Unterkünfte jedenfalls war noch nicht abgeschlossen. Als einzig belastbarer Hoffnungsschimmer verblieb damit vorerst die Begleiterin des Mannes. Wie sich alle beratenden Beamten schnell einig geworden waren, dürfte diese kaum als blinde Passagierin in dem Wagen gesessen haben. Sie müsste folglich in der Lage sein, auch einige Worte zur Identität des Gesuchten zu verlieren.
„Zu dumm nur“, musste sich Rogge eingestehen, dass ausgerechnet die Identität dieser Frau auch nicht bekannt war und in Ermangelung einer brauchbaren Beschreibung wohl so schnell auch nicht in Erfahrung zu bringen sein dürfte.
Für einen Moment blieb Rogge daher ebenso ratlos wie seine Begleiter und auch den Esten ging es offenkundig nicht viel besser.
„Mir fällt da gerade noch etwas ein,“ ließ sich in genau diesem Moment die junge Frau vernehmen.
Sie hatte sich entschieden deutsch zu sprechen, was ihr als Germanistikstudentin auch nicht sonderlich schwer viel, aber die mühselige Übersetzungsarbeit jedenfalls in einer Richtung überflüssig machte.
„Was ist Ihnen noch eingefallen?“, erkundigte sich Rogge wissbegierig. Die junge Frau errötete leicht und blickte dann ein wenig verschämt zu Boden, sagte aber nichts.
Es dauerte noch einen Moment, bis nun auch die estnischen Beamten von dem Gedankenblitz der Studentin in ihrer Sprache erfuhren. Aber auch deren Fragen verweigerte sich die Frau beharrlich.
Was um alles in der Welt konnte so peinlich sein, dass es einer jungen Frau angeblich erst mit stundenlanger Verspätung einfiel, dann aber doch nicht ausgesprochen werden konnte?
„Ist Ihnen der Mann irgendwie zu nahe getreten?“
Rogge versuchte sich dem Thema auf, wie er fand, dezentem Umweg anzunähern, lag aber bereits mit der angedeuteten Vermutung anscheinend völlig falsch. Jedenfalls reagierte die junge Frau mit heftigem Kopfschütteln.
Rogge war ratlos und blickte daher die junge Profilerin hilfesuchend an.
„Sollen wir vielleicht einen Moment nach draußen gehen?“, versuchte diese daraufhin der Studentin eine Brücke zu bauen. Deren zustimmende Reaktion bewies ihr, ins Schwarze getroffen zu haben.
Die Profilerin sah Rogge fragend an, dieser gab den fragenden Blick an seine estnischen Kollegen weiter und nickte schließlich seiner Kollegin zustimmend zu, nachdem auch die Esten gestisch Zustimmung signalisiert hatten.
Beide Frauen verließen daraufhin den Raum. Deren Abwesenheit versuchten die verbliebenen Männer mit Belanglosigkeiten zu überbrücken. Als beide Frauen nach wenig mehr als fünf Minuten bereits wieder in den Raum zurückkehrten, richteten sich alle Augen neugierig auf sie.
Ohne ein Wort nahm die Studentin wieder ihren Platz ein. Der Blick war, wie Rogge ein wenig irritiert feststellen mussten, noch immer gesenkt. Seinen fragenden Blick beantwortete die Profilerin mit hochgezogenen Augenbrauen. Als ihr Chef nicht begriff, stellte sie sich neben ihn und flüsterte ihm ins Ohr: „Sie musste mal für kleine Mädchen.“
Rogge blieb im Wortsinne die Spucke weg. „Und deshalb macht die hier ein solches Theater?“, kam es ihm so trocken über die Lippen., dass er erst einmal nach dem vor ihm stehenden Wasserglas greifen und sich erfrischen musste.
„Das auch, aber da ist natürlich noch was“, gab ihm seine Mitarbeiterin zu verstehen und räusperte sich verlegen. „Jetzt fängt die auch noch an?“ Der Kriminaloberrat zeigte sich verwundert und begann sich ernsthaft dafür zu interessieren, was es spannendes gab. Doch anstatt einer klaren Auskunft druckste die Kollegin herum und wand sich wie ein Wurm.
„Sie erwarten jetzt aber nicht im Ernst, dass ich ebenfalls für einen Moment mit Ihnen vor die Tür gehe, oder?“ Doch kaum hatte Rogge es fertig gebracht, diesen Gedanken auszusprechen, als sowohl die junge Frau, wie auch die Profilerin wie auf Kommando heftig mit dem Kopf zu nicken begannen.
„Falls ihr beiden mal auf die Idee kommen solltet, euch als Synkronspringerinnen für den Sprung vom 10 Meter Brett anzumelden, so kann ich euch bestätigen, dass der Anfang gar nicht so schlecht ist.“ An der Reaktion beider Frauen wurde ihm schnell klar,