Der Bund der Katzenfrauen. D. Bess Unger

Der Bund der Katzenfrauen - D. Bess Unger


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den Kopf. ›Innocent, unschuldig? Will der uns verkohlen?‹ Da Mum ihm lächelnd die Hand gab, tat sie es auch, zumal er sympathisch wirkte. ›Ist das etwa Dads Freund, der uns herumkutschieren will?‹ Sie schob die Sonnenbrille in den Ausschnitt ihrer Bluse und blickte dem Mann prüfend in die Augen.

      Eine hellblaue Aura umflammte ihn, eine Farbe, die nach ihrer Erfahrung für Ruhe und Ausgeglichenheit stand. Sie verlor sich in Bildern verwirrender Farben und fremdartiger Töne. Mister Innocent wiegte sich mit nacktem Oberkörper im Rhythmus einer Trommel. Er trug einen knielangen Lendenschurz aus Kalbfell, von den Hüften hingen Schnüre aus gestreiften Tierfellen herab. An den Oberarmen und Kniegelenken baumelten buschige Enden von Kuhschwänzen. Der kitschige Eindruck wurde durch ein Stirnband aus Leopardenfell keinen deut gemildert, es verlieh ihm endgültig das Aussehen eines Schauspielers eines B-Movies. Er führte das hüfthohe, geschwungene Horn einer Kudu-Antilope, auf das er sich bisher gestützt hatte, zum Mund und blies kräftig hinein. Der seltsam klagende Ton berührte Lena. Sie schob ihre Brille auf die Nase.

      »Ach, ihr habt euch schon bekannt gemacht?«, hörte Lena in ihrem Rücken die leicht enttäuschte Stimme ihres Vaters.

      Die Männer gingen aufeinander zu, gaben sich zuerst nach westlicher Art die Hand, sodann umgriffen beide den Daumen des jeweils anderen und blickten sich strahlend an.

      Der kräftige Innocent hob ihren Vater empor und drehte sich mit ihm im Kreis herum. »Sawubona!«, rief er aus. Als Filippos, wie es die Sitte erforderte, mit »Yebo, sawubon!« antwortete, begann er zu strahlen. »Du hast es nicht vergessen!«, schrie er los. »Nach all den vielen Jahren!« Er setzte ihn ab und wandte sich den beiden Frauen zu. »Du hast eine wunderhübsche Frau! Und erst deine Tochter, wow, eine wahre Schönheit!« Er streichelte Lena über die Wange. Sie, die solche vertraulichen Berührungen hasste, konnte nicht anders, geschmeichelt und verlegen lächelte sie Innocent an.

      »Mein Freund! Schön, dass du Zeit hast, uns deine Heimat zu zeigen.«

      Innocent machte eine wegwerfende Gebärde. »Rede keinen Unsinn, Filippos«, lachte er. »Vor zwanzig Jahren wollte ich in deinem Geburtsland eine Ausbildung zum Kaufmann machen. Du hast dir viel Mühe mit mir gegeben, weißt du noch? Es war, na logisch, hoffnungslos.« Er klatschte Filippos eine Riesenpranke auf den Rücken. »Das Rechnen war nie mein Ding!«, brüllte er. Er schnappte sich den Gepäckwagen. »Beeilt euch, mein Auto steht im Parkverbot, die Polizei hier versteht keinen Spaß!« Er rannte los, begleitet von Ava, die sich mit ihm derart angeregt unterhielt, als würde sie ihn schon seit Jahren kennen.

      Filippos wollte ihnen hinterher, aber Lena packte ihn an der Jacke und hielt ihn zurück. »Du, Dad. Innocent. Ist das ein Name? So heißt doch niemand, oder?«

      »Haargenau Innocent«, erwiderte er. »In der Schule haben ihn alle so genannt.«

      »In Ordnung. Wie lautet sein Nachname?«, fragte Lena.

      Filippos schien echt verblüfft. »Das habe ich ihn kein einziges Mal gefragt«, gab er zerknirscht zu.

      ›Du bist mir ein schöner Freund gewesen‹, dachte Lena, ›hast dir in der Schulzeit mit einem Mitbewohner ein Zimmer geteilt und kennst nicht mal den kompletten Namen.‹

      »Los jetzt, wir müssen uns beeilen«, drängte ihr Vater. »Heute Abend wollen wir am Sabie River sein!«

      Sie eilten hinter den beiden her, eine Frage interessierte Lena noch: »Was macht Innocent? Womit verdient er sein Geld?«

      »Viel Kohle wird er nicht machen«, erwiderte ihr Vater leicht geringschätzig. »Im letzten Brief hat er geschrieben, er würde sich für irgendeinen sozialen Kram engagieren. Keine Ahnung, was genau er da treibt.« An der Stimmlage merkte Lena, dass ihn die Arbeit des Freundes schnurzegal war. »Praktischerweise kommt er viel mit dem Auto herum. Ebendrum kann er es sich bequem einrichten, uns zum Kruger National Park und nach Zinkwazi, unserem Urlaubsort am Indischen Ozean, zu fahren.«

      Sie hatten einen Spurt einlegen müssen, kurzatmig stieß er »Nicht zu vergessen, im Hauptberuf ist er Häuptling!« hervor.

      Lena starrte zu ihrem Vater hin. Hatte der nicht alle Tassen im Schrank? »Was? Willst du mich verkohlen?«, fragte sie verdutzt. »Das gibt es hier noch? Häuptlinge?« Amüsiert lachte sie auf.

      »Nur konsequent, rückständig wie dir hier sind«, schnaufte er. »Man nennt das hier Chief oder in der Landessprache Inkosi. Frag ihn, wenn dich das interessiert.«

      ›Das tut es. Chief? Das würde zu den Gedankenbildern passen, die ich gesehen habe. Fehlt nur noch, dass er mehrere Frauen hat!‹

      Die Türen des klapprigen Mercedes, der mit laufendem Motor schon auf sie wartete, waren geöffnet. Lena warf sich auf den Beifahrersitz, ihr Vater zu seiner Frau auf der Rückbank. Sie schmissen die Türen zu, Innocent gab Gas, der Motor heulte auf und mit quietschenden Reifen schoss der Wagen davon.

      Zwei Polizisten drohten ihnen mit Knüppeln wütend hinterher.

      Lena starrte den Fahrer an. »Heißt du tatsächlich Innocent?«, fragte sie wissbegierig. »Oder ist das nur ein Spitzname?«

      Innocent blickte sie von der Seite an. ›Schau an‹, dachte er erfreut, ›das Mädchen will alles genau wissen, in der habe ich mich nicht getäuscht. Ist nicht so oberflächlich wie ihre Eltern.‹ »Hier in Afrika«, klärte er auf, »wird der Vorname nicht nach Klang oder Beliebtheit ausgewählt! Es geht mehr um Bedeutung, Wünsche, Hoffnungen oder Lebenssituationen. Wenn es im Verlauf der Geburt geregnet hat, heißt das Kind unter Umständen Zanemvula, also etwa ’Der mit dem Regen kommt’. Wenn die Mutter zufällig vor der Geburt Arbeit findet, nennt sie ihre Tochter etwa Letshego, was ’Das Mädchen, das Glück hat’ bedeutet. Mein Vater zum Beispiel saß im Gefängnis, als ich zur Welt kam. Unschuldig, wie viele in den Zeiten der Rassentrennung. Demzufolge gab meine Mutter mir den Namen Innocent. Alles klar?«

      Lena war beeindruckt. ›Meine Eltern hätten bei meinem Vornamen ebenfalls mehr Fantasie aufbringen können‹, überlegte sie. ›’Die mit dem Regen kommt’ klingt cooler als so ein x-beliebiger Name.‹

      »Nebenbei bemerkt, Namen erhält man in Afrika nicht nur einmal im Leben«, setzte Innocent seine Erklärungen fort. »Nach überstandener Krankheit oder Schicksalsschlag oder wenn man eine Arbeit antritt, gibt man sich einen zweiten, einen dritten Namen usw.« Er lachte zufrieden. »Umfassende Verhängnisse sind mir in meinem Leben bislang zum Glück erspart geblieben, ebendrum heiße ich noch Innocent.«

      ›Okay, da hast du Glück gehabt‹, dachte Lena. ›Aber ich, ich müsste jetzt schon den dritten oder vierten Vornamen haben! Doch Lena genügt mir. Mich an einen anderen Namen zu gewöhnen, nein, dafür bin ich zu nicht mehr jung genug.

      Straßenschilder wiesen in Richtung Hazyview und Paul Kruger Nationalpark. In der kargen Landschaft setzten blau blühende Jacaranda-Bäume, in Gelb erstrahlende Akazien, rote Flammen-Bäume, vanillefarbene Frangipani, lila Bougainvillea, Hibiskus und Weihnachtssterne wunderschöne Farbtupfer. An einem Flussufer stand ein Pompom-Baum. Er sah aus, wie eine Wolke aus rosa Ballen, die sich auf einem Baumstumpf herabgesenkt hatte. Am Straßenrand war auf eingebeulten Schildern ’Beware of Hippos’ zu lesen.

      »Hippos? Sind damit etwa Flusspferde gemeint? Wieso wird von denen gewarnt, die sehen doch harmlos und putzig aus!«

      »Von wegen harmlos!«, sagte Innocent. »Hippos, wie wir in Südafrika die Flusspferde nennen, sind die gefährlichste Tierart in Afrika!«

      »Machst du Witze? Ein Mensch kann garantiert fixer laufen als ein Hippo«, sagte Lena skeptisch. »Dick und träge wie die aussehen!«

      »Da täuschst du dich gewaltig. Wenn ein Hippo-Baby im Wasser badet, seine Mutter in den Büschen am Flussufer nach Fressen sucht und ein Mensch versehentlich zwischen Mutter und Kind gerät, dann ist er unrettbar verloren! Das Hippo wird schrecklich wütend, greift ohne Warnung an und trampelt den Menschen zu Tode. Das passiert


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