Der Bund der Katzenfrauen. D. Bess Unger

Der Bund der Katzenfrauen - D. Bess Unger


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Hoffnungen wahr gemacht? Oder wartest du noch darauf?«

      Innocent warf ihr einen prüfenden Blick zu, wie um sich zu vergewissern, ob sie tatsächlich eine Antwort erwartete. An ihrer Miene las er sofort ab, dass sie sich mit einer oberflächlichen Auskunft nicht zufriedengeben würde. »Nun, sie ist eine Sangoma und Inyanga«, erwiderte er. Supertoll schien er das nicht zu finden.

      Lena war elektrisiert, das klang geheimnisvoll. »Sangoma?«, fragte sie. »Was ist das?«

      »Das lässt sich einem Weißen nicht leicht erklären«, sagte Innocent betreten. »Weißt du Lena, wir Zulus sind ein verdammt abergläubisches Volk! Wir glauben, dass alle Krankheiten durch Dämonen, die ein Hexenmeister zu dem Zweck extra erschaffen hat, verbreitet werden. Als Folge dessen muss der Sangoma, der Geistheiler, herangezogen werden, um gegen das Übel anzukämpfen!«

      »Ein Hexenmeister erschafft sich Dämonen?«, fragte Lena. Davon hatte sie noch nie gehört. »Was sind das für Wesen?«

      »Wenn es dich nicht erschreckt, erkläre ich es dir«, sagte Innocent zögerlich und schaute zu ihr hin, als prüfe er, wie psychisch belastbar sie sei.

      »Nur zu! Erschreckender, als es in den Sagen meiner griechischen Vorfahren zugeht, können deine Geschichten auch nicht sein«, sagte sie gelassen. »Mum pennt, du kannst loslegen.«

      »Ein Dämon, wir nennen ihn Tokolosh, ist ein, wie soll ich es formulieren, ein Zombie, ein lebender Toter«, sagte er gedämpft. Die Sache schien ihm nicht geheuer zu sein. »Der Hexer beschafft sich eine Leiche, sticht ihr die Augen aus und schneidet ihr die Zunge heraus.«

      Er warf Lena einen kurzen Blick zu, sie nickte ihm beruhigend zu.

      »Er treibt eine glühende Eisenstange durch die Schädeldecke in den Leib der Leiche, worauf der Körper auf die Größe eines Pygmäen zusammenschrumpft. Dann reißt der Hexer die Mundhöhle der Leiche auf und bläst magische Medizin hinein. Der Tokolosh erwacht zu einem furchtbaren Leben. Nun kann der Hexenmeister ihn aussenden, um Krankheit, Wahnsinn und Tod zu verbreiten.«

      »Das glaubt ihr im Ernst?« Lena war fassungslos und versuchte ihre Abscheu zu verbergen.

      »Wir Zulus glauben das«, sagte Innocent. »Nachts verschließen wir unsere Türen. Unsere Frauen legen Ziegelsteine unter ihre Betten, damit sie höher sind und der zwergenhafte Tokolosh nicht hochklettert und sie vergewaltigen kann. Wenn es nachts an unsere Tür klopft, öffnen wir nicht und schweigen. Wer antwortet, verfällt dem Schwachsinn, wer öffnet, erleidet den Tod.«

      »Ihr glaubt, dass alle Krankheiten solche Ursachen haben?«, fragte Lena verblüfft.

      »Selbstverständlich können auch die Geister der Ahnen Ursache von Erkrankungen sein«, gab er zu. »Das passiert, wenn sie sich vernachlässigt fühlen. Bei Geburten, Hochzeiten und Beerdigungen müssen wir ebendarum ausreichende Schlachtopfer bringen, gleichfalls wenn Regen fällt oder die Ernte ertragreich ist.«

      »Was ist mit Vererbung, blöden Zufällen, Schicksalsschlägen, von Gott gesandten Prüfungen?«

      »Lena, so etwas wie ein Schicksal gibt es für uns Zulus nicht! Auch den Gott der Zulus, den Großen Unkulunkulu, kannst du nicht verantwortlich machen, er schert sich einen Dreck um uns Menschen. Von Hexer erschaffene Dämonen bringen das Unglück über uns und der Sangoma muss den Hexer finden und den Dämon auslöschen. Basta.«

      »Der Mensch wird geheilt?«, fragte Lena skeptisch. »Selbst bei AIDS, Krebs und andere schreckliche Sachen?«

      »Na klar«, sagte Innocent. »Vorausgesetzt, der Sangoma beherrscht sein Handwerk.«

      Kaum wagte Lena das Wort auszusprechen, aber sie musste es tun. »Magie?«, fragte sie mit trockenem Mund, »Deine Tochter benutzt Schwarze Magie?«

      »Schwarze Magie? Was ist das?« Doch er schien keine Antwort von Lena zu erwarten. »Nein, uThembani benutzt nur Wurzeln, Kräuter, Baumrinden, Häute von Schlangen, getrocknete Tierteile, Asche und Mineralien, Tierfelle und verschiedene Knochen.«

      Lena war beruhigt. Aber wusste Innocent denn überhaupt die komplette Wahrheit? Aids konnte man mit einem Kräutersud garantiert nicht heilen, egal, was für eine Schlange darin mitgekocht wurde. Sie nahm sich vor, auf der Hut zu sein, sollte sie auf uThembani treffen. »Was macht eine Sangoma außerdem noch?«

      »Oh, eine Menge. Wirft Knochen und enthüllt damit die Vergangenheit und blickt in die Zukunft. Findet verlorene Gegenstände, weiß, wie man die erzürnten Geister der Ahnen besänftigt. Spürt Diebe auf und ruft den Regen herbei. Du siehst, die Frau oder der Mann ist für die Dorfgemeinschaft lebenswichtig!«

      »Wie wird man eine Sangoma?«

      »Sie werden im Kindesalter ausgewählt«, sagte er. »Die Alten erkennen das an irgendwelchen Zeichen sofort, nehmen die Kinder als Lehrling zu sich und bilden sie aus.«

      Eine Ahnung stieg in Lena auf, ihr dämmerte, woran die Sangomas ihre Nachfolger erkannten.

      »Du hast vorhin noch ein Wort erwähnt. Injanka oder so ähnlich. Was treiben die?«

      »Du meinst Inyanga

      Lena nickte.

      »Wenn du Husten oder Magenschmerzen hast, also unerheblichere Wehwehchen, dann musst du einen Inyanga aufsuchen«, sagte Innocent aufgeräumt. Über das Thema schien er eher reden zu wollen, die Welt der Hexer und Dämonen war ihm nicht geheuer.

      »Wie schaffen die Inyangas das?«, fragte Lena und bemühte sich, den Spott in ihrer Stimme zu unterdrücken, weil sie ähnlichen Hokuspokus vermutete.

      »Sie gehen in mondhellen Nächten auf die Suche nach Kräutern, Wurzeln und Rinden. Die mixen und kochen sie zu einer Medizin zusammen.«

      ›Das macht Kaljas Vater als Homöopath ähnlich‹, dachte Lena versöhnt. Die Tätigkeit einer Inyanga erschien ihr nachvollziehbarer und sympathischer als die einer Sangoma.

      »Die medizinische Fürsorge ist nur ein Teilaspekt«, zerstörte Innocent gleich ihre positive Einschätzung. »Sich um Ernten kümmern, einen Liebesbann über jemand legen, das Haus vor Blitzeinschlägen und Dieben schützen, sich um einen besseren Job kümmern gehört auch dazu. Du siehst, hier überschneiden sich die Aufgaben der Sangoma und Inyanga

      »Wie lange dauert die Ausbildung?«

      »Zwischen acht und zehn Jahre. Du musst nicht überrascht schauen, das ist ein angesehener und lebensnotwendiger Beruf, das braucht Zeit zur Ausbildung.« Er machte eine wegwerfende Handbewegung. »Klar, es gibt auch viele Betrüger, man muss schon aufpassen, wen man konsultiert. Die beste Ausbildung erfährt man im Tal der Schamanen, einem heiligen, geheimnisvollen Ort.«

      »Wer hat deine Tochter als künftige Sangoma und Inyanga erkannt? Der Heiler aus deinem Dorf?«

      »Nein«, sagte er. »Eine furchtbare Geschichte war das, ich mag gar nicht daran denken.« Er wischte sich mit einem Taschentuch über die Stirn. »Als meine Kleine acht Jahre zählte, erkrankte sie schwer. Der Inyanga aus dem Dorf konnte ihr nicht mehr helfen und gab sie verloren. Man brachte einen weißen Arzt zu uns. Ohne viel Geld kümmerte er sich um uns Schwarze. Er warf einen Blick auf mein Kind, schüttelte bedauernd den Kopf, gab uns alle die Hand und ging weg.« Die Erinnerung daran schien Innocent mitzunehmen, seine Fröhlichkeit war von ihm abgefallen. »Ich machte einen letzten verzweifelten Versuch, ich holte Nomvolo, den größten männlichen Sangoma, der in unserem Volk lebt.« Er schluckte, bevor er weitersprach. »Als er kam, schickte er uns alle aus der Hütte. Stundenlang saßen wir davor und warteten. Endlich kam er heraus, an der Hand führte er meine Tochter. Kerngesund! Bei dem Anblick spaltete sich mein Herz, die eine Hälfte leuchtete vor Jubel, die andere versank in Schwärze vor Trauer.« Seine Stimme klang bewegt, die Erinnerung setzte ihm zu.

      Lena glitt bei den Worten in ihrer Erinnerung zwei Jahre zurück: Der überdimensionale Skorpion hatte den todbringenden Stachel in ihre linke Hand versenkt. Das Gift begann zu wirken,


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