Scrittura Segreta. Roman Odermatt

Scrittura Segreta - Roman Odermatt


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es, ich spüre es.“

      Giacomo lächelt verlegen, doch unerwartet erstirbt das Lächeln auf seinem Gesicht, und er senkt den Blick, während er mit einer Schuhspitze gegen den Medikamentenwagen neben dem Bett klopft.

      „Wer hat es getan? Wer hat dich so zugerichtet, Lucrezia?“ Er versucht sich wieder zu beruhigen und strafft sich.

      „Ich weiß nicht — einige Männer — sie trugen Mönchskutten“, stottert Lucrezia.

      „Was für Männer? Männer aus der SM-Szene?“ Giacomo hält einen Moment inne. Wieder klopft er gedankenverloren mit der Schuhspitze gegen den Medikamentenwagen.

      Die Schmerzen ihrer Wunden sind plötzlich nicht mehr auszuhalten, und Lucrezia fällt erschöpft ins Bett zurück.

      „Ich werde dich jetzt nicht mehr mit Fragen quälen, Lucrezia.“ Er küsst sie auf beide Wangen. „Du bist hier in der Gemelli-Klinik in guten Händen.“

      Als eine Krankenschwester ins Zimmer eintritt, flüstert er Lucrezia ins Ohr: „Wir werden die Männer zur Verantwortung ziehen.“

      Giacomo schließt die Tür hinter sich und lehnt sich mit geschlossenen Augen gegen den Türrahmen. Er weint. Er spürt, wie seine Mauer der Zurückhaltung und Beherrschtheit bröckelt und einstürzt. Als er die Augen öffnet, befiehlt ihm ein innerer Schatten, diese Mauer so schnell wie möglich wieder zu errichten.

      Auf dem Korridor kommt einer der Ärzte des Gemelli-Krankenhauses auf den Vice Commissario zu. Giacomo hält ihm die Hand hin und der Arzt schüttelt sie schweigend, ohne dabei aber seinen Gesichtsausdruck oder seine Haltung zu verändern, als hätte er weder Kontrolle darüber noch Interesse daran, was seine Hand da gerade tut.

      „Signore Casanova? Wir haben miteinander telefoniert. Haben Sie Signora Metastasio gesehen?“, fragt er geschäftsmäßig. Der Mann hat eine abgehackte, knappe Art zu sprechen. Sein Tonfall klingt militärisch, seinen Akzent kann Giacomo nicht zuordnen, aber italienisch ist er definitiv nicht.

      „Ja, Dottore. Allerdings habe ich sie nur kurz gesehen. Wie schwer sind ihre Verletzungen?“, fragt er besorgt.

      „Ich gehe davon aus, dass ich als Arzt von der Schweigepflicht entbunden bin, da es sich hier wahrscheinlich um den Straftatbestand der Körperverletzung handelt“, mutmaßt der Arzt mit ausdrucksloser Stimme und blickt mehr aus Gewohnheit als aus Notwendigkeit auf die Patientenakte, die er in der Hand hält.

      „Sie können mir die Krankengeschichte von Signora Metastasio unbesorgt anvertrauen.“ Giacomo wundert sich über die Sicherheit, mit der er die Worte ausspricht.

      „Signora Metastasio hat blutunterlaufene, angeschwollene Streifen am ganzen Körper, die durch Schläge entstanden sind, und Verbrennungen zweiten Grades“, berichtet der Arzt pflichtbewusst und blickt sich um, wobei er darauf achtet, seine Unsicherheit durch die Maske der Fachsprache zu kaschieren.

      „Und die Folgen?“, will Giacomo wissen und beobachtet eine Krankenschwester, die ein Bett auf Rädern von einem Zimmer in ein anderes schiebt.

      „Die Folgen sind noch nicht absehbar.“ Der Arzt blickt achselzuckend auf die Patientenakte, verdreht seufzend die Augen, als hätte ihn Casanova gerade aufgefordert, die Fenster zu putzen. „Bei Signora Metastasio haben wir vegetative Störungen wie Zittern, Schweißausbrüche und hechelnde Atmung festgestellt. Sie leidet auch an Muskelverspannungen, was darauf hindeutet, dass sie gefoltert wurde.“

      Giacomo zieht die Augenbrauen hoch. Er blickt besorgt der Schwester nach, die vorher das Krankenhausbett in ein Zimmer geschoben hat und jetzt mit einem Medikamentenwagen aus dem Zimmer kommt.

      „Muskelverspannungen vor allem an der Nackenmuskulatur“, fährt der Arzt mit völlig ausdrucksloser Stimme fort. „Aber auch der Schulter-Arm-Bereich und der Rücken sind betroffen.“

      „Sie müssen mich entschuldigen“, sagt der Arzt, auch wenn sein Ton dabei gar nicht entschuldigend klingt, reicht Casanova die Hand und eilt über den Korridor zum Ausgang.

      Giacomo Casanova tritt in die Helligkeit des Klinik-Parkplatzes hinaus und begibt sich über die Via della Pineta Sacchetti zum Park des Krankenhauskomplexes. Die Sonne scheint, aber es weht ein frischer Wind; er hat den Regen vom Morgen verweht. Der Vice Commissario beobachtet gedankenverloren die Menschen im Park.

      Am Kiosk kauft er sich eine Zeitung und geht in das Klinik-Restaurant.

      Giacomo Casanova stellt fest, dass der Nachmittag schon weit fortgeschritten ist. Er beobachtet nachdenklich die Spiegelung der untergehenden Sonne auf dem gegenüberliegenden Gebäude.

      Drei schwarze Limousinen folgen der Straße, die auf den Monte Mario hinaufführt. Vor der Einfahrt zur Tiefgarage der Gemelli-Klinik kommen die Wagen zum Stehen.

      Das Tor der Garage öffnet sich.

      Alle drei Wagen tragen das Kfz-Kennzeichen SCV1: Stato della Città del Vaticano. Es sind die Dienstwagen des Papstes.

      Giacomo Casanova geht zu den Aufzügen. Eine der Lifttüren öffnet sich. Für einen kurzen Augenblick kann der Vice Commissario Papst Benedikt XVI. zwischen zwei Leibwächtern im Fahrstuhl erkennen. Die Tür schließt sich und der Lift fährt nach oben.

      „Was ist hier los?“, fragt Casanova eine Krankenschwester, die ihn erstaunt mustert.

      Giacomo zeigt seine Dienstmarke.

      „Der Papst ist soeben eingetroffen“, antwortet die Krankenschwester mit einem verstehenden Lächeln. „Er bezieht die Suite im zehnten Stock.“

      8. Kapitel

       Rom

       8. Februar 2013

      „Wo ist Farussi?“, faucht Gozzi seine Sekretärin an, als Casanova in seinem Büro Platz nimmt.

      Dr. Antonio Gozzi sitzt mit einer Zigarre an seinem Schreibtisch und liest den Il Messaggero: Blick aufs Blatt, Paff, nächste Seite, Paff, Blick aufs Blatt, Paff, nächste Seite, Paff.

      Giacomo spürt, dass sein Chef unter Spannung steht. Normalerweise genießt er seine Zigarre in vollen Zügen.

      „Der Vatikan hat sich mit dem Generaldirektor für Öffentliche Sicherheit in Verbindung gesetzt, Casanova!“, murrt Gozzi, ohne auch nur aufzublicken. „Und Sie wissen, was das heißt!“

      Gozzi wirft dem Vice Commissario über den Rand seiner Lesebrille hinweg einen scharfen Blick zu.

      „Drei Morde in einer Woche im Vatikan, Casanova!“ Der leitende Polizeidirektor legt die Zeitung zur Seite. „Und jetzt dieser Mordfall auf dem Forum Romanum! Die Staatsanwaltschaft und das Bundesamt für die Polizei der Schweizerischen Eidgenossenschaft bitten uns um rasche Aufklärung des Mordfalles. Wo bleibt Farussi?“

      In diesem Moment öffnet sich die Tür und Gozzis Blick saugt sich an irgendetwas fest, das hinter Casanovas Rücken vorzugehen scheint. Bevor er sich umdrehen und nachsehen kann, hört er hinter sich eine Frauenstimme: „Scusatemi, signori!“

      Giacomo erhebt sich von seinem Sitz.

      „Da bist du endlich, Maria“, knurrt Gozzi, stützt sich mit den Unterarmen auf den Schreibtisch und beugt sich vor, den wütenden Chef spielend.

      „Muss ich jetzt wieder Wegezoll bezahlen?“, zaubert Capitano Farussi ihr unwiderstehliches Lächeln auf ihr Gesicht und setzt sich auf Giacomos Stuhl.

      Gozzi zuckt die Achseln, als sei es ihm egal, wirkt aber trotzdem etwas aufgebracht darüber, dass es ihm nicht gelungen ist, Maria aus der Ruhe zu bringen.

      Als Gozzi hinter sich im Regal nach einer Akte sucht, nimmt Maria Blickkontakt mit Giacomo auf, reckt einmal kurz das Kinn hoch, wie es Leute tun, die miteinander vertraut sind. Casanova hat inzwischen einen anderen Stuhl herangetragen und nimmt neben Farussi darauf Platz.

      Nachdem


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