Scrittura Segreta. Roman Odermatt
Herr Kollege?“, beeilt sich der Gendarm zu fragen, als er bemerkt, dass ihn Giacomo nicht mehr ansieht.
„Was genau wollen Sie wissen?“ Giacomo bemüht sich, jeden Anflug von Zittern aus seiner Stimme herauszuhalten und so ruhig wie möglich zu bleiben, während er sich umdreht.
„Was Sie in den Vatikan führt?“
„Tut mir Leid, das darf ich nicht sagen“, antwortet Giacomo kühl.
„Hier Ihre Dienstmarke, Herr Kollege“, zischt der Gendarm, wirft dem Commissario einen bösen Blick zu und gibt ihm die Erkennungsmarke zurück. „Sie wissen ja Bescheid: Die Polizia di Stato ist hier im Vatikan nicht zuständig.“
Giacomo schnalzt missbilligend mit der Zunge und eilt mit unsicheren Schritten in den Palast.
Drinnen geht es lebhaft zu. Auf und ab schwellen die Stimmen der Beamten und Besucher.
„Was ist der Grund Ihres Besuches in der Vatikanstadt?“, erkundigt sich der Gendarm, der gelangweilt hinter seinem Schreibtisch sitzt und Giacomo herablassend fixiert.
„Ich möchte einige Erkundigungen einziehen über einen Schweizer algerischer Herkunft, der vor seiner Ermordung Kontakt mit dem Vatikan aufgenommen hatte.“
„Der Mord im Carcer Tullianus?“ Der Gendarm nimmt seine Brille ab und beugt sich vor. Ohne Brille wirken seine Gesichtszüge kantiger.
„Sie haben von dem Mordfall schon gehört?“, wundert sich Giacomo.
„Ich habe da meine Kontakte“, bestätigt der Gendarm, und seine Miene verdüstert sich, „aber gemäß der Lateranverträge garantiert der italienische Staat die politische und territoriale Souveränität des Vatikans.“
„Mit anderen Worten: Sie wollen mir nicht helfen?“
Der Gendarm zieht eine Visitenkarte aus der Brusttasche seines Hemds und schiebt sie über den Schreibtisch zu Giacomo herüber. „Carlo Goldoni. Er ist der Leiter des Gendarmeriekorps. Vielleicht kann er Ihnen weiterhelfen.“
Giacomo zieht die Visitenkarte zu sich heran. „Carlo Goldoni.“
Der Vice Commissario dreht sich auf dem Absatz um und eilt wütend aus dem Palast.
Auf der Piazza Santa Marta sammeln sich spanische Pilger; sie sind zum großen Appell befohlen. Und vor dem Haus der heiligen Martha treten die italienischen Pilger an. Ein ungeschlachter, riesenhafter Kerl mit grauem verfilztem Haar steckt die beiden Zeigefinger in den Mund und stößt einen grellen Pfiff aus. Drüben am Eingang zum Ospizio di Santa Marta setzt sich eine zweite Pilgerschar in Bewegung.
„Hier gibt es was zu saufen!“, grölt der Riese, und sofort bildet sich ein Kreis um ihn.
Giacomo muss sich durchzwängen und strebt dem Palazzo del Sant’Uffizio zu.
Eben kommt ein Dominikanermönch aus dem Palazzo.
„Wo bleiben Sie denn?“, fragt der Dominikaner.
„Ich bin von den Pilgern aufgehalten worden“, antwortet Giacomo geistesgegenwärtig, da er vermutet, dass der Mann ihn verwechselt, ihm dadurch jedoch eine gute Möglichkeit eröffnet.
„Kommen Sie schon, wir warten auf Sie!“
Giacomo ist gespannt, wer da auf ihn wartet und folgt dem Mönch in den Palazzo del Sant’Uffizio.
Der Dominikaner führt Giacomo durch scheinbar endlose Gänge und Korridore. Der Mönch spricht kein Wort, und die Männer, die ihnen unterwegs begegnen, starren den Uniformierten überrascht an. Der Dominikaner biegt nach links in einen schmalen, hohen Korridor, dessen Wände mit den Porträts der Großinquisitoren, Sekretären des Heiligen Offiziums und Präfekten der Kongregation geschmückt sind. Giacomo verlangsamt seinen Schritt, um die in Goldtäfelchen gravierten Inschriften im Vorübergehen zu lesen:
GIAN PIETRO KARDINAL CARAFA, CAMILLO KARDINAL BORGHESE, JOSEPH KARDINAL RATZINGER.
Der Dominikanermönch weist auf eine Tür, die halb offen steht. Der Vice Commissario tritt ein.
„Da sind sie endlich, Signore!“, sagt Padre Kagba, wendet sich ab und stellt das Buch in seiner Hand wieder ins Regal zurück. „Wir müssen Ihnen eine Erpressung melden.“
„Können Sie mir sagen, wer Sie erpresst?“, fragt Casanova mit völlig ausdrucksloser, leiser Stimme, als habe er sich, noch bevor die Worte seinen Mund verlassen haben, bereits damit abgefunden, dass sie sowieso nichts bewirken würden.
Erst jetzt beginnen die beiden Padres den Uniformierten mit ihren Blicken zu durchbohren.
„Wer sind Sie, Signore?“, fragt Padre Badadilma.
„Mein Name ist Giacomo Casanova, Vice Commissario, Polizia di Stato“, leiert er routiniert herunter.
„Verzeihen Sie, Signore. Ich habe Sie mit einem Vatikanischen Gendarm verwechselt“, sagt Padre Kagba. „Wer hat Sie eigentlich hereingelassen?“
„Einer Ihrer Mönche war so freundlich.“
„Einer unserer Brüder! Aber Sie entschuldigen uns jetzt, Signore“, erklären die Padres hastig und haben es auf einmal furchtbar eilig, den Raum zu verlassen.
7. Kapitel
Rom
7. Februar 2013
Giacomo Casanovas hellblauer Alfa Romeo schießt über den Viale Angelico, vorbei an der Piave-Kaserne, und nach einer kurzen Zeit, die er braucht, um sich zu orientieren, findet der Vice Commissario die Straße, die auf den Monte Mario hinaufführt.
Das Gelände der Gemelli-Klinik auf dem Monte Mario ist wie eine Kleinstadt organisiert: Es besitzt eine eigene Kirche, Forschungslaboratorien, ein Kongresszentrum, eine Bank, eine Bibliothek und einen Hubschrauberlandeplatz.
Casanova steuert auf den Parkplatz des Krankenhauses und steigt aus dem Wagen.
In ihm wächst die Anspannung. Er muss an die SMS denken, die er von der Questura erhalten hat:
Lucrezia Metastasio ins Gemelli-Krankenhaus eingeliefert.
Minuten später betritt Giacomo die Intensivstation, nachdem er sich am Empfang als Commissario ausgewiesen hat.
„Signora Metastasio wurde mit schweren Verletzungen eingewiesen“, klärt ihn eine Krankenschwester auf.
Schweiß perlt auf Lucrezias Stirn. Sie versucht sich aufzurichten, taumelt, sinkt in ihr Kissen zurück.
„Sei nicht böse, Giacomo. Bleib bei mir“, bringt sie mühsam hervor.
Er hält ihre Hand und setzt sich auf den Bettrand.
„Woran denkst du?“, will Lucrezia wissen und erwidert seinen Händedruck.
„Hast du große Schmerzen, Lucrezia?“, erkundigt er sich besorgt.
„Ich kann es aushalten. Sie haben mich mit Schmerzmitteln vollgepumpt.“ Ihr Lächeln wirkt ein wenig verkrampft.
Er küsst Lucrezia auf den Scheitel, dreht ihren Kopf zu sich hin und küsst sie auf die Lippen.
So verharren sie einen Moment.
„Du musst wieder gesund werden“, fordert er mit fester Stimme.
„Ich kann mich nicht erinnern, dass deine Stimme so warm, so fest und tief war. Du riechst auch gut. Ich würde dich gerne in die Arme nehmen. Liebst du mich wirklich?“, fragt sie stotternd.
Giacomo streckt die Hand nach ihr aus, und sie lässt zu, dass er ihr Kinn anhebt, bis sie ihn ansehen muss: „Ja, ich liebe dich wirklich.“
Lucrezia zieht sich am Bettbügel hoch. Sie reckt ihre Brüste und sieht ihn an mit ihren glühenden Augen: „Küss mich bitte.“
Er