Scrittura Segreta. Roman Odermatt
hört, lässt er das iPhone in der Tasche seiner Medici-Uniform verschwinden.
„Ich habe nichts gesehen, mein Sohn!“, sagt der Papst im Vorübergehen zu dem Hellebardenträger. „Und du hast nichts gehört!“
Was macht eigentlich dieser Schweizergardist hier vor der Bibliothek?, fragt sich der Papst und wendet sich an den Kurienerzbischof, der den Heiligen Vater am Eingang erwartet.
3. Kapitel
Rom
7. Februar 2013
Nach der Klassenzusammenkunft und der Nacht im Hotel mit Lucrezia fühlt sich Giacomo wie eine leere Zigarettenpackung, die der Besen zum Kehricht gefegt hat, nutzlos, seiner Bestimmung beraubt. Im verwilderten Garten einer Villa auf dem Forum Romanum sieht der Vice Commissario das Unkraut blühen. Giacomos Körperhaltung fällt zusammen, er ist einfach nicht er selbst. Er fühlt sich, als habe er einen Stock im Arsch. Eigentlich sucht er heute Morgen nur noch einen ruhigen Platz, um den Rest der ihm zugeteilten Jahre ohne größere Krisen zu überleben.
Dann sieht Giacomo diese Frau in der Nähe der Kirche San Giuseppe dei Falegnami stehen: elegant, schlank, groß gewachsen, sonnengebräunt und mit langem schwarzem Haar. Ihr Gesicht ist atemberaubend schön.
Sie könnte meine Tochter sein, denkt Giacomo.
Er ist vom Anblick der Frau gefesselt und vermutet unter ihrer Jeans und dem eleganten Sakko Blazer die reine Sinnlichkeit. Er zögert und fragt sich, ob sich die Frau ihm gegenüber gleich abwenden wird.
Auch Dr. Antonio Gozzi hat die Frau gesehen. Als sie sich dem Eingang der Kirche zuwendet, stellt sich Gozzi ihr in den Weg.
„Guten Morgen, Maria. Willst du hier durch?“, fragt er mit seinem aufgesetzten Selbstbewusstsein.
„Wenn du mich durchlässt, Antonio“, antwortet die mit Maria angesprochene Frau und erwidert sein Lächeln nicht.
„Du kannst hier nicht durch!“, sagt Gozzi selbstgefällig.
„Und warum nicht?“, fragt Maria und blickt sichtlich gelangweilt an Gozzi vorbei über den Platz.
„Weil du den Wegezoll noch nicht bezahlt hast.“
„Nicht schon wieder, Antonio! Und was verlangen Sie als Wegezoll, Herr Wegelagerer?“, fragt sie, obwohl sie die Antwort bereits kennt.
„Einen Kuss!“, strahlt Gozzi wie ein Honigkuchenpferd.
„Stell mir lieber diesen Herrn vor, Antonio“, wehrt Maria ab und wendet sich Giacomo zu, der zu den beiden tritt. Ihre Stimme klingt sanft; der römische Akzent ist unverkennbar.
„Maria, ich möchte dir meinen neuen Mitarbeiter Giacomo Casanova vorstellen“, kommt Gozzi ihrem Wunsch nach. „Signore Casanova, Capitano Maria Farussi, Arma dei Carabinieri, Abteilung Spurensicherung.“
Giacomo Casanova streckt ihr wie ein Hündchen die Hand entgegen: „Es freut mich, Signora Farussi.“
Maria ergreift Giacomos Hand.
„Gleich zwei Kavaliere von der Polizia di Stato“, sagt Farussi und wendet sich der Kirche zu.
„Wo ist der Leichnam, Maria?“, fragt Gozzi und beeilt sich, seinen Arm um ihre Schultern zu legen.
„Die Leiche liegt im Carcer Tullianus, im unteren Teil der Kirche“, antwortet sie gereizt.
„Würdest du uns hinführen?“, fragt der leitende Polizeidirektor und versucht, mit ihr Schritt zu halten.
„Wenn du deinen Arm von meiner Schulter nimmst, könnte ich das tun“, sagt Maria Farussi und tritt in die kleine Kirche ein.
Als die drei durch eine Tür in ein düsteres, zur Kapelle umgestaltetes Loch hinuntersteigen, spüren sie einen kalten Lufthauch auf der Haut.
Casanova, der als letzter die Treppe hinuntersteigt, stellt sich die Delinquenten vor, die hier in der Antike ihren letzten Gang zum Hinrichtungsplatz machen mussten. Fast kann er das Gewicht der Kirche zwölf Fuß über seinem Kopf spüren.
Für einen Augenblick versetzt die Dunkelheit Giacomo in die Vergangenheit zurück, als er in einem Keller in Castel Gandolfo von seinem Vater eingeschlossen wurde. Er war damals sieben Jahre alt: zehn Stunden erdrückender Schwärze, die ihn bis heute verfolgen.
Er beißt die Zähne zusammen.
In der notdürftig erhellten Grotte unter der Kirche sieht Giacomo zwei Carabinieri. Sein Blick folgt dem ausgestreckten Arm von Maria Farussi. Sie zeigt auf den Leichnam, der zwischen dem Altar und einer Marmorsäule, an die der Apostel Petrus angekettet worden sein soll, auf dem Boden liegt.
Giacomo tritt näher. Die Haut des Toten schimmert weiß. Der Mann liegt auf dem Rücken.
Maria Farussi nähert sich dem Leichnam, um dessen Hals zu betrachten. Eine Quetschwunde ist zu sehen. Casanova kämpft gegen die aufsteigende Übelkeit.
„Die Obduktion in der Rechtsmedizin wird zeigen, was zu seinem Tod geführt hat. Eine Erdrosselung erscheint jedoch wahrscheinlich“, sagt Farussi.
Ein leichtes Frösteln überfällt Giacomo.
„Gib mir später einen genauen Bericht, Maria!“, hört er Gozzi zu Farussi sagen.
Carabinieri der Abteilung Spurensicherung bringen einen Metallsarg in die Grotte und legen den Leichnam hinein. Capitano Maria Farussi verlässt die Grotte.
4. Kapitel
Vatikanstadt
7. Februar 2013
Hinter den Kolonnaden des Petersplatzes, im Palazzo del Sant’Uffizio, dem Sitz der Kongregation für die Glaubenslehre, treffen sich die beiden Padres Kagba und Badadilma. In den Regalen des düsteren mittelalterlichen Raumes stapeln sich die Aktenkonvolute der römischen Inquisition, vatikanische Geheimdokumente, Berichte von Häresien und Denunzianten, Briefe der Inquisitoren, Verhörprotokolle, Gerichtsurteile und Gutachten über die ungezählten Opfer kirchlicher Hetzjagd.
„Wo soll das Geheime Markus-Evangelium aufgetaucht sein?“, fragt Padre Kagba, der in seiner schwarzen Soutane aussieht wie Fleisch, das in eine Wursthaut gepresst wurde.
Er hat das Birett vom Kopf genommen, sodass ein paar Haarsträhnen zu sehen sind, die über sein kahles Haupt verteilt sind.
„Hier im Vatikan“, antwortet der schlankere Padre Badadilma, der sein Scheitelkäppchen, den Pileolus, auf einem Wust von weißen Haaren trägt. „Jemand soll versucht haben, es der Kongregation zu verkaufen.“
„Für wie viel?“, murmelt Kagba in seinen Bart.
„Keine Ahnung“, antwortet Badadilma und zuckt mit den Schultern.
„Wenn das Geheime Markus-Evangelium an die Öffentlichkeit gelangt, dann ist unsere heilige Kirche in Gefahr.“ Kagba lässt den Kopf hängen und sinkt in einen Stuhl.
„Falls es dieses Geheime Markus-Evangelium wirklich gibt, dann wird die Kongregation verhindern, dass es in falsche Hände gerät“, ereifert sich Padre Badadilma.
Stille breitet sich in dem Raum aus.
Als hätte ihn etwas in seinen Hintern gezwickt, stemmt sich der Dicke hastig von seinem Stuhl hoch. Er blickt auf ein Bücherregal, als suche er nach einem lästigen Insekt. Er schwitzt in seiner schwarzen Robe, als er verzweifelt fleht: „Der Schutz der Kirche ist wichtiger als alles andere.“
„Wie äußert sich eigentlich der Heilige Vater dazu?“
Padre Kagba seufzt und geht zum Fenster. Sein Blick schweift über das Gewirr der Dächer.
„Seine