Scrittura Segreta. Roman Odermatt
Menschen in der Halle mit flackerndem Schein beleuchtet. Nach einer Pause, in der man nur das Knacken des brennenden Holzes hört, beginnt der König von Mauretanien mit seiner Erzählung, die seltsam das Herz der Zuhörer anrührt.
„Es ist vielleicht die rechte Stunde“, sagt er, „von meiner Mission in der römischen Provinz im Osten zu sprechen. Ich weiß nicht, ob von euch einer das Land Galiläa kennt. Die Landschaft ist dort freundlicher als im Süden der Provinz. In Galiläa liegt die kleine Stadt Nazareth. Hier wohnte ich einige Jahre mit meinen Eltern, die zuvor das Land Numidien als König und Königin regiert hatten, bis die Situation für beide zu gefährlich wurde und sie aus dem Land fliehen mussten. Später kehrten meine Eltern mit mir und meiner Schwester Drusilla ins Königreich Mauretanien zurück. Vor drei Jahren besuchte ich auf meinen Missionsreisen durch die römischen Provinzen auch das Land meiner Geburt, Judäa, um mich mit den jüdischen Königen und Fürsten zu treffen. Ich merkte bald, dass es heißer Boden war, auf dem ich ging.“
Ptolemaeus legt ein paar frische Scheite auf das niederbrennende Feuer, rückt fröstelnd näher an die Glut heran und fährt in seinem Bericht fort: „Es war um die Zeit, als Tiberius in Misenum starb und Caligula in Rom zum Imperator gekrönt wurde. Der neue Kaiser brachte keinen guten Ruf mit. Bald nachdem er seine Macht in Rom gefestigt hatte, begann Caligula die Juden zu provozieren, indem er den Kaiserkult gewaltsam durchzusetzen versuchte. Ich zog im Land herum und suchte das Gespräch mit den Fürsten und dem einfachen Volk. Wenn ich mit meinem Gefolge in einem Dorf oder einer Stadt ankam, sprach sich das schnell herum, und das Volk strömte aus nah und fern herbei. Es gibt viele unzufriedene Zwischenrufe im Land, allerdings sprechen die Juden nicht mit einer Stimme. Besonders die Zeloten streben einen gewaltsamen Aufstand gegen Rom an, während die Gemäßigten, die einen Ausgleich mit Rom suchen, beständig an Rückhalt verlieren. Auch mich betrachteten die jüdischen Autoritäten und die Römer in Judäa als Unruhestifter. Aber auch die mächtigen Pharisäer sahen in mir, dem Fremden in ihrem Land, den Eindringling in ihre Domäne.“
„Viele deiner Gedanken, Ptolemaeus, die du in Worte gefasst hattest“, unterbricht Philon, „drangen bis nach Alexandria. Die Menschen von Judäa sehen in dir den Messias. Sie hoffen, dass du sie von der römischen Besatzungsmacht befreien wirst.“
Callistus erscheint in der Halle. Er ist umgeben von Prätorianern, die mit ohrenbetäubendem Gegröle hereinstürmen. Callistus übersieht die ehrerbietig grüßenden Juden geflissentlich und gibt den Prätorianern einen Wink, die Ausgänge zu besetzen. So jagt der ganze Schwarm wild durch die Korridore und Gemächer des Prunkbaus. In der Mitte der Halle, die mit spiegelndem Malachit gedeckt ist, bleibt Callistus plötzlich stehen. Die ihn umringenden Prätorianer bilden eine Gasse. Herodes Agrippa betritt die Halle. Er flüstert Callistus zu: „Den ich küssen werde, der ist es, den ergreift und führt ab! Aber sorgt dafür, dass ihm kein Leid geschieht.“
Herodes Agrippa hält Ausschau nach Ptolemaeus, und als er ihn am Feuer sieht, tritt er zu ihm.
„Sei gegrüßt, Ptolemaeus!“, sagt der König der Juden und küsst ihn.
Callistus tritt ebenfalls an Ptolemaeus heran und sagt: „Da bist du also, du Gotteshasser, der die in der ganzen Welt anerkannte Göttlichkeit des Kaisers leugnet!“
„Seid ihr gekommen, um mich wie einen Räuber gefangen zu nehmen?“, fragt Ptolemaeus ruhig.
Philon von Alexandria zwängt sich zwischen Ptolemaeus und Callistus und stammelt ein paar Worte der Rechtfertigung.
„Hört meine Worte, ihr Juden“, ruft Callistus den Versammelten zu. „Verlasst Rom, solange das Herz des göttlichen Kaisers noch milde gestimmt ist!“
Callistus gibt seinen Prätorianern einen Wink, die Ptolemaeus daraufhin in ihre Mitte nehmen und aus der Halle führen.
Die Juden, zu Tode erschrocken, flüchten aus den Garten- und Bauanlagen. In stillem Gebet wenden sie sich an den großen Gott ihrer Väter, damit er das Herz des Imperators zu Milde und Mitleid lenke.
Allein Marcus folgt Ptolemaeus. Als ein Prätorianer den Jüngling an seinem Gewand packt und ihn abführen will, kann Marcus fliehen, indem er den Prätorianer mit seinem zerrissenen Gewand und einem verdutzten Gesicht zurücklässt.
Callistus steht mit Ptolemaeus und zwei Prätorianern vor der schneeweißen Vorhalle des Marcellustheaters; die wuchtigen Giebelfriese überragen die Dächer der benachbarten Gebäude. Welch ein Gegensatz zu den aufgewühlten Straßen Roms! Hier ist eine andere Welt, die unberührt scheint von der Unruhe der Stadt. Stimmen der Schauspieler hallen durch die fast menschenleeren Höfe und Säulengevierte, ungestört von der Hast des Alltags. Wie für die Ewigkeit gebaut scheinen die hohen Mauern und das schwarze Zederngebälk der kassettierten Decken.
Durch lange Korridore, vorüber an den Theatergarderoben, führen die Römer den mauretanischen König zum Saal des Kaisers. Dort sind Regale, Täfelung und Gebälk aus duftendem Edelholz, Mosaiken glitzern am Fußboden, gelbgeäderte, polierte Säulen stützen die gewaltigen Tragbalken der bemalten und vergoldeten Decke.
Ein griechischer Schauspieler studiert mit Caligula gerade eine Rolle ein. Der Kaiser trägt das kurze Röckchen der Balletttänzer. Seine Beine sind von unnatürlicher Länge, der Körper ist übermäßig aufgedunsen. Sein hoher Schädel ist völlig haarlos, die Augen glühen wie im Fieber. Die einst rosige Gesichtsfarbe ist durch Krankheit und ungesunde Ausschweifungen fahl und grau geworden.
„Wen bringst du mir da?“, ruft er Callistus zu.
„Es ist Ptolemaeus, der König von Mauretanien, göttlicher Kaiser“, antwortet Callistus ergeben.
Unvermittelt bricht Caligula in Gelächter aus, tritt zu Ptolemaeus heran und legt ihm die Hand auf die Schulter. „Menschen, die mich nicht für einen Gott halten, sind im Grunde unverständig, nicht aber bösartig oder straffällig! Der Gerichtshof soll sich mit ihm befassen“, befiehlt Caligula irrsinnig kichernd.
Der Tag des Verhandlungsbeginns kommt heran. Der Gerichtshof versammelt sich im Pantheon, dem Tempel aller Götter.
Der jüdische König Herodes Agrippa und der Hohepriester von Jerusalem lassen sich in einer Sänfte von ihrer palatinischen Villa hinabtragen, um als Zeugen am Gerichtsprozess gegen Ptolemaeus teilzunehmen.
Vor dem Pantheon steigen die beiden Juden aus der Sänfte und schreiten die wenigen Stufen zu dem rechteckigen Vorbau empor, dessen flacher Giebel mit einer Spannweite von hundert römischen Fuß den Portikus überdacht. Mächtige Säulen aus blauem Granit mit weißen Akanthuskapitellen tragen das Dach der Vorhalle. In den Nischen thronen die Erzstandbilder des Caligula.
„Welch kühne Konstruktion!“, ruft Herodes hingerissen und deutet auf das Gebälk. „Sieh nur, es sind Balken aus Erz, die das Gestein der Decke tragen!“
„Sie überspannen gewiss mehr als fünfunddreißig Fuß!“, schätzt der Hohepriester.
In diesem Augenblick tritt der römische Prätor Plautius Pulcher aus einer Seitennische und begrüßt ehrerbietig die jüdischen Besucher.
„Die Halle ist genau hundert römische Fuß breit und vierzig Fuß tief“, sagt er stolz. „Diese Dachgebälkkonstruktion aus Erz wiegt beinahe siebenhunderttausend Pfund. Es ist das erste Mal, dass man Gebälk aus Metall in solchem Ausmaß anwendet.“
Der Römer schließt eines der Bronzetore auf, und die Männer betreten die gewaltige, runde Cella. Überwältigt vom ersten Eindruck, verharren sie unter der Pforte. Flimmernd bricht sich das Licht in den Kassetten der Kuppel.
Aus einem riesigen Lichtauge in der Decke strömt gleichmäßige Helligkeit und verleiht dem Inneren des Tempels eine gespenstische Atmosphäre.
In den Nischen der Rotunde reiht sich Altar an Altar, Standbild an Standbild, alle Götter der Römer.
„Hier ist die Herzkammer des römischen Imperiums“, verkündet Plautius feierlich.
Als ihn Herodes fragend anblickt, fährt der Römer fort: „Das Pantheon symbolisiert Gesetz und Ordnung des Reiches. Nach außen zeigt es die Härte seiner Kampfkraft,