Eternumity. Stephan Schöneberg

Eternumity - Stephan Schöneberg


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überfüllten City einer zu schnell gewachsenen deutschen Großstadt. Also tat Sami so, als wäre er wirklich 'infected' von der fabelhaften neuen Idee. Und so machte er die eine oder andere Brainstorming-Session mit. Zugegeben, Sami spielte dabei nicht ganz fair. Statt „open minded“, also offen für alles, zu sein, war Sami eigentlich eher das ziemliche Gegenteil. Er beschloss während des neuen Brainstormings, dass von nun an alle zwei Monate stattfinden sollte, den Gedankensturm ein wenig im Zaum zu halten und ihn - von sich aus gesehen - lieber nicht öffentlich raus zu lassen.

      Anders als viele Mitarbeiter, die die Idee des 'Brainstorming' 'catchy' fanden, wusste er sehr wohl, dass dies wohl eher ein letzter verzweifelter Versuch des neuen Mutterkonzerns war, die kürzlich zugekaufte kleine Softwareschmiede noch mehr zu vergolden und dann schließlich einigermaßen gewinnbringend abzustoßen. 'Eine Kuh melken' sagt ja auch schon alles aus. Dabei hatten sie doch mit dem Zukauf der Lizenzen für einige Softwarepatente schon wirklich ein gutes Geschäft gemacht. Die zweijährige Beschäftigungsgarantie für die knapp sechzig Mitarbeiter war letztendlich wohl doch eher ein bedauerlicher Kostenfaktor, den es halt zu tragen galt. Wenn dies stimmte, dann war es den Bauern auch sicher recht, wenn die Kühe gehen wollten. Er brauchte also noch nicht einmal ein schlechtes Gewissen zu entwickeln.

      Natürlich sagte man dies alles den selbst ernannten Softwaregenies nicht. Man bezeichnete sie lieber als die besten Kühe im Stall und versuchte so diesen dummen Spruch, den einer der hohen Tiere unbedarft auf einem Konzernmeeting fallen gelassen hatte, von einem 'Downer' in einen 'Speeder' zu verwandeln. Es gab auch echte 'Cracks' unter ihnen. Aber deren ausgefeiltes Know-How beschränkte sich eher darauf, Datenbanken zu optimieren, verrückte User Interfaces zu bauen, oder ganz allgemein Schnittstellen anzupassen und zu optimieren.

      Nun, das war nichts was die Kollegen in Singapur nicht auch in ein paar Monaten lernen konnten. Diese Mitarbeiter hatten aber den entscheidenden Vorteil, für einen Bruchteil des Lohnes der deutschen Arbeiter programmieren zu können. Dort war also das Gras für die Kühe billiger und die Kühe waren irgendwie genügsamer bei annähernd gleicher Milchquote. Globalisierung ist eine gute Sache, wenn du auf der richtigen Seite des Globus lebst und vielleicht nicht unbedingt eine Milchkuh bist. Für die andere Seite der Welt ist es eher der Anfang vom baldigen Ende. Diese Weitsicht hat der normale Softwarespezialist normalerweise nicht. Oder wie es Samis Freundin ausdrückte: „Ihr seid Genies, aber für das normale Leben nicht zu gebrauchen.“

      Samis Freundin war, im Gegensatz zu ihm, typisch deutsch: Ziemlich gründlich, ordentlich und eher humorlos. Sami war typisch finnisch: Er war gemütlich, liebte die Ruhe und wunderte sich dann und wann über seine überwiegend hektischen deutschen Kollegen, die ständig irgendwas optimierten und scheinbar die ganze Verantwortung der Welt auf ihren Schultern trugen.

      Irgendwann würde er dieser Hektik seine kalte Schulter zeigen und in das noch kältere, aber irgendwie, zumindest menschlich gesehen, auch wärmere Finnland zurückkehren. Entweder kam Simone dann mit, oder sie ließ es bleiben. Jedoch hoffte er sehr, dass sie sich für ihn entschied.

      Samis Kopf war auf seine eigene Weise ziemlich analytisch. Und er arbeitete augenscheinlich anders als der seiner Mitarbeiter.

      Darum funktionierte er an jenem Tag des dritten Brainstorming-Events auch abermals ein wenig eigenartiger als der seiner deutschen Mit-Brainstormer. Er hatte während dieses 'Events' in der Tat eine gute Idee und sogar nicht bloß eine. Zu seinem Erstaunen wurde tatsächlich ein anderer Einfall des parallelen Brainstorms der Gruppe 'Sentinels' tatsächlich – zunächst - weiter verfolgt und ausgebaut. Der eigentliche „Erfinder“ Stephan wurde aber recht schnell ausgebootet. Es wäre ja auch noch schöner gewesen, wenn am Ende vielleicht wirklich etwas aus dieser Idee geworden wäre und eine Kuh es zu etwas gebracht hätte. Zudem war die ganze Sache tatsächlich nicht ganz einfach. Stephans Idee kratzte das eine oder andere Patent eines anderen sogenannten Patenttrolls an.

      Dann wurde es schwierig. In der Entwicklungswelt lernte man recht schnell, dass es zwar gut ist, einen tollen Einfall zu haben. Aber noch besser ist es, eine einigermaßen krude Idee nur halbwegs gut auszuformulieren, als die richtig gute Idee noch besser umzusetzen. Oder, wie es die Fachleute bezeichneten, zu implementieren. Klare Vorstellungen wie man eine gute Idee wirklich umsetzen, ausführen und durchführen wollte, waren zwar toll, aber es ging, zumindest wenn man im 'Michkuhdenken' sehr bewandert ist, bedeutend besser. Es ist viel toller den Konkurrenten mit Patentklagen bis zum Bankrott zu klagen … oder zumindest so weit zu bringen, dass Millionen oder gar Milliarden an Ausgleichszahlungen geleistet werden müssen, wenn das neue Produkt im Idealfall schon jahrelang auf dem Markt platziert war und man selbst beweisen konnte, dass man die Idee nun einmal zuerst hatte und einem durch das Konkurrenzprodukt Millionen oder gar Milliarden an Einnahmen entgangen sind. Heutzutage hatten die Bauern gute Anwälte …

      Einen echten Erfinder treibt so etwas in den Wahnsinn. Das wusste die globale Firma, welche die kleine Programmierkolchose geschluckt hatte, natürlich auch. Deswegen war es besser, Stephan mit einer hübschen, bunten Urkunde und einer unvorstellbar hohen Sondergratifikation in Höhe von einem halben Monatsgehalt ab zu speisen, beziehungsweise zu 'enlighten'.

      „Na super“, dachte Sami damals. „Nicht mal für ein volles Monatsgehalt hatten sie 'Arsch genug' in der Hose. Jetzt kannst du dir 'nen neuen Rechner kaufen und hast dafür die Idee Deines Lebens verkauft! Du armes für den Moment glückliches Schwein, oder besser … Rindvieh“.

      Da wartete Sami lieber auf das unvermeidliche Ende und die Auflösung der, global gesehen, inzwischen viel zu teuren Aushilfsprogrammierklitsche. Und wenn die nicht innerhalb von einem Jahr absehbar gewesen wäre, dann hätte er halt sehen müssen, ob er woanders finanzkräftige Hilfe für seine Idee bekam, vielleicht sogar in Finnland? Er wusste aber auch, dass Investoren dazu neigten, unverhältnismäßig viel Kontrolle für unverhältnismäßig wenig finanzielle Unterstützung zu fordern. So lief halt das Geschäft: 'Haste nix, dann biste nix.'

      Aber auch hier hatte Herr Hietala Glück. Vierzehn Monate nach dem ersten Gruppen-Brainstorming wurde die Softwarefirma „Softytec4Ever“ ihrem Namen nicht mehr so ganz gerecht. Denn sie wurde für immer geschlossen. Womit der selbsternannte 'Global Player' jedoch nicht gerechnet hatte, war das deutsche Rechtssystem. Die Zauberworte hießen „Betriebsrat“ und „Aufhebungsvertrag“. Und obwohl es Softytec4Ever nun eindeutig nicht ewig geben würde, gab es im Unternehmen durchaus Mitarbeiter, die ganz entgegen dem kurzlebigen Beschäftigungstrend in der globalen wie lokalen Softwarebranche, sozusagen ewig in der Firma beschäftigt waren, nämlich deutlich mehr als 10 oder gar 20 Jahre. Zum Glück für Stephan zahlte sich wenigstens dies für ihn aus. Bei einer Abfindungszahlung in Höhe von Beschäftigungsjahren multipliziert mit dem Monatsgehalt ging er, mit einer soeben sechsstelligen Zahlung, grinsend an seinem letzten Arbeitstag, ohne sich noch einmal umzudrehen, das letzte Mal aus dem Firmengebäude.

      Nahezu bescheiden war da der untere fünfstellige Betrag für Sami, der nicht ganz so lange in der Firma war.

      Noch schlimmer als dabei zuzusehen, wie jemand deine Idee so richtig schön in den Sand setzt, ist es, wenn jemand anderes genau deine Idee kurz nach dir hat und dann auch noch damit so richtig durchstartet. Wenn du einfach nicht genug Kapital hattest, um die Idee als Patent registrieren zu lassen, dann könntest du dir dabei tatsächlich die Haare ausreißen oder sonst wohin beißen. Vielleicht hatten deswegen Computermenschen eher weniger Haare. Man muss laufend Ideen haben und diese dann für etwas einsetzen was dann nachher doch nicht mehr gebraucht wird. Entweder weil es jemand anderes besser macht, es tatsächlich nicht mehr gebraucht wird, oder aus sonst irgendeinem haarsträubenden oder -raubenden Grund doch nicht verwendet wird. All dies traf auf Samis Idee nicht zu, die Glückssträhne hielt an. Niemand hatte seine Idee bisher in die Tat umgesetzt und so erblickte das Unternehmen „After Life“ knapp ein Jahr nach dem Tod seiner ehemaligen endlosen Softwarefirma das Leben.

      Selbst Simone, die inzwischen seine Frau war, hatte nicht so recht an seine Idee geglaubt.

      „Das macht niemals irgendjemand“ war noch eine der harmloseren Kommentare zu dem 'Produkt' der Firma und dem was letztendlich dann verkauft wurde.

      Die meisten hielten Sami schlichtweg für total durchgeknallt, andere nur für morbide. Es war auch nicht leicht zu erklären, was Sami verkaufte.


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