Eternumity. Stephan Schöneberg
ab einer gewissen fortgeschrittenen Zeit nicht mehr von Nutzen waren. Dazu kam noch die Limitierung durch die maximal erlaubte Laufstrecke.
Man konnte zwar jeweils drei menschliche Spieler und drei Bots auswechseln, aber es ist verständlich, dass hier auch einmal Schluss mit schnellen Sprints war. Nicht selten war es so, dass die menschlichen Spieler gegen Ende des Spiels mehr und mehr die Kontrolle übernahmen, da die Bots ihr Limit erreicht hatten. Hier galt es halt, die schon angesprochene gute Balance zu finden. Der heutige Fußball war ein hochkomplexer Teamsport geworden, der eine Menge Planung und Vorbereitung erforderte, sowohl bei den rein menschlichen wie auch bei den virtuellen Spielern. Genau dies machte den Erfolg dieses Sports aus. Fußball war nichts für Glücksritter und einzelgängerische Möchtegern-Superstürmer. Es war so gut wie ausgeschlossen, dass ein einzelner guter Spieler allein das Spiel entscheiden konnte.
Christian entschied sich zunächst für die defensive Variante und opferte lieber ein paar aerobe Einheiten, als zu früh die Sprintfähigkeiten des Bot-Sturms einzusetzen. In den bisherigen Spielen agierte die 9b zumeist anfangs recht angriffslustig, um den Gegner aus der Reserve zu locken. Dabei vertrauten sie auch ein wenig auf die hervorragenden Fähigkeiten ihres sehr guten Torwarts Michaela.
„Lass sie doch erst mal sprinten!“, dachte er: „Die werden schon mit der Zeit langsamer werden und wenn wir später zu zweit Michaelas Tor attackieren, dann kann sie noch so gut reagieren oder die Ecke erahnen! Das gesamte Tor abdecken kann sie schließlich auch wieder nicht.“
Wie beim früheren rein menschlichen Fußball nahm auch der Torwart beim aktuellen Fußball eine Sonderposition ein. Falls er ein Bot war, galten für ihn spezielle Regeln, genau wie dies auch bei den Bot-Feldspielern der Fall war. So besaß er zum Beispiel nur ein bestimmtes Kontingent an sogenannten 'Glanzparaden'. Die Sprungkraft war ebenfalls eingeschränkt. Kein Bot konnte von einer Ecke links unten sieben Meter hoch in die rechte obere Ecke springen, um dort einen annähernd perfekt geschossenen Freistoß aus dem Winkel zu kratzen. Zudem konnte man den Torwart sozusagen einschläfern. Wenn er sich nicht genug bewegte, dann konnte er nicht mehr schnell genug reagieren und nicht mehr so weit springen.
Die 9a hatte sich genau dies vorgenommen. Mal sehen wie gut Michaela noch war, wenn sie von jetzt auf gleich zu annähernd hundert Prozent bereit sein musste. Die 9c hatte zwei Tage zuvor den Fehler gemacht, Michaela sprichwörtlich „warm zu schießen“. Sie wurden gnadenlos ausgekontert, nachdem Michaela zahllose, eben nur fast unhaltbare Bälle, gehalten hatte. Danach setzte sie dann über die menschlichen Abwehrspieler die ultraschnellen, bis dahin kaum eingesetzten, Angriffsressourcen der schnellen Angriffsbots ein. Das über 80 Minuten ausgeglichene Spiel kippte in den letzten Minuten meist deutlich zu Gunsten der 9b.
In der Taktikbesprechung eine Stunde vor dem Spiel hatten die virtuellen Strategen jedem Spieler klar gemacht, dass man nicht in die gleiche Falle rennen wollte, wie die 'Strategieschwachmaten' aus der 9'c'haos.
Christian gehörte zum Strategieteam. Dieses Team bestand so gut wie immer aus rein virtuellen Spielern. Spielanalyse war historisch immer schon die Domäne der Menschen aus der zweiten Welt. Umso peinlicher war es, wenn der mehr oder weniger ausgefuchste Plan dann grandios versagte, weil die menschlichen Spieler nicht mehr anständig von den Bots unterstützt wurden. Johann, taktisches Mastermind der 9c, hatte sich schon ziemlich blamiert und seinen Titel 'Superstratege' erst einmal auf unbestimmte Zeit eingebüßt.
Die 9a versuchte durch kontrolliertes Spiel den Ball in den eigenen Reihen zu halten und den Gegner, speziell den maschinellen, möglichst viel Laufen zu lassen. Das funktionierte soweit ganz gut. Allerdings war trotz einem Ballbesitz von annähernd 75 Prozent seitens der 9a bis zur zwanzigsten Minute noch immer kein Tor gefallen. Es kam nicht einmal zu irgendwelchen Abschlüssen. Zu gut waren die Räume auf der einen, wie auf der anderen Seite zugestellt. Die eine Mannschaft konnte scheinbar nicht, die andere wollte nicht. Der Gegner verbrauchte scheinbar grundlos seine Laufmeter mit „hinterherlaufen“.
„Das geht fast zu glatt“, dachte Christian und die schlechte Vorahnung sollte sich bewahrheiten, denn nur wenig später änderte der Gegner die Taktik.
Exakt ab der 21. Minute wechselten fast alle gegnerischen Spieler ihre Position. Die beiden menschlichen Mittelfeld-Spieler Jens und Simon zogen sich in die Abwehr zurück und überließen den eigentlichen Abwehrbots Andreas und Vanessa das Mittelfeld. Das Mittelfeld der 9b bestand nun komplett aus drei Bots! Eigentlich war dies ein taktischer Fehler, denn so konnte die bessere Spielfähigkeit der Menschen im Mittelfeld nicht eingesetzt werden. Die wollten doch das Mittelfeld nicht kampflos abgeben? Menschen waren meist im Sprint gegenüber Bots kurzfristig schneller, sonst wären die Maschinen zu mächtig im Spiel.
Aber Michaela und ihr Team hatten sich einen Plan ausgedacht: Sie überbrückten das Mittelfeld durch weite Pässe in die Spitze und vertrauten auf die nun zusätzlich in den Sturm vorgerückten menschlichen Stürmer. Drei menschliche Stürmer, das war komplett gegen jegliche taktische Logik. Es stand auf der Seite der 9b nun ein Bot-Torwart, einer komplett menschliche Abwehr aus lediglich zwei Spielern, drei Mittelfeld-Bots, und zwei menschliche Stürmern den überraschten Spielern der 9a gegenüber. So konnten doch niemals die Synergie-Effekte aus Bot und Mensch genutzt werden? Und … was machte der eine Bot, der übrig war? Christian konnte dies nicht einschätzen. War er nun Stürmer, Abwehr oder sonst irgendwas? Er sollte es bald erfahren.
Der eine übrige Bot unternahm schnelle Vorstöße in die Spitze, mal auf der rechten, dann wieder auf der linken Seite. Er konnte zwar nicht schneller laufen, dafür aber längere Sprints in gleichbleibendem Tempo durchhalten. Dies führte schnell zu zwei Toren und damit es nicht noch mehr wurden, musste die 9a viel anaerobes Kontingent in ihren Abwehrbots verbrauchen. Zudem wurden die beiden menschlichen Abwehrspieler auch nicht gerade geschont.
Natürlich brannte der eine Flügelbot läuferisch recht schnell aus - aber er wurde einfach nach 15 Minuten aus dem Spiel genommen und gegen einen neuen Bot ausgetauscht, der sich im Mittelfeld einsortierte, während ein weiterer schon länger auf dem Feld befindlicher Bot aus dem Mittelfeld dann in den Flügelsturm wechselte und sich dort auf Kosten von viel, viel Abwehrarbeit der 9a austobte.
„Verdammt … fünf Minuten vor Halbzeit! Wir liegen zwei zu Null zurück! Unsere Gesamtlaufstrecke dürfte ähnlich groß sein, wie die der Michaela-Truppe!“ Diese Nachricht wurde vom menschlichen Trainer Rene quer über den Platz gebrüllt.
Christian verdrehte im Geist seine virtuellen Augen. „Na super“, dachte er: „Den Bots ist es ja egal, was du da so erzählst. Aber die menschlichen Gegner werden sich ein Grinsen nicht verkneifen können. Die bekommen jetzt mit Sicherheit einen Adrenalinschub und rennen dann noch mal mehr. Eine bessere Motivation als sich ärgernde oder panisch werdende Gegner kann man doch gar nicht bekommen!“
„Tja ihr lahmen Enten, dann müsst ihr halt mehr laufen!“, brüllte Christians Bot zurück.
'Enten' war das Stichwort für den ersten Spurt Annas - dem Sturmbot der 9a. Und immerhin - das klappte … die zwei menschlichen Abwehrspieler konnten gerade nicht folgen, da sie zu offensiv ausgerichtet waren, sodass Anna nach einem langgezogenen Sprint mit Ball schließlich allein vor Michaela auftauchte.
„Schieß das Ding bloß nicht vorbei, mach es ihr wenigstens schwer!“, dachte Christian.
Anna schoss in die linke untere Ecke …
Und zur Überraschung fast aller Anwesenden, Zuschauer als auch der Spieler, … hielt Michaela den Schuss … … … nicht.
„Na, hätte auch schlechter laufen können, 1:2 ist noch im Toleranzbereich“, dachte Christian kurz bevor der Halbzeitpfiff ertönte.
Die Sprechzeit in der Halbzeitpause gehörte meist den Virtuellen. Menschen versuchen überwiegend sich zu erholen und ihre natürlichen Tanks wieder aufzufüllen. In diese Tanks gehören Sauerstoff und Flüssigkeit, sowie ein wenig Mineralien.
Bots brauchen so was nicht und können daher die Zeit mit Analysen und taktischen Anweisungen, gerade auch für die ausgepowerten Menschen, nutzen.
Es gab einiges bei der 9a zu besprechen und sie schafften es gerade so innerhalb der fünfzehn Minuten die Taktik anzupassen