Eternumity. Stephan Schöneberg

Eternumity - Stephan Schöneberg


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Kultur. Ähnlich sah es im asiatischen Raum aus: Chinesisch, Indisch, Japanisch und so weiter und so weiter. Und dann gab es auch noch weitere Unterarten wie Hindu, Bayrisch oder Cockney - um nur mal drei Beispiele zu nennen. Kein Wunder, dass die Menschheit lange Zeit nicht so wirklich vorankam und es sogar so weit gekommen war, dass Kriege nur entstanden, weil irgendjemand nur etwas falsch verstanden hatte. 'Sprachen' waren ein Hobby von Jochen. Oder besser gesagt, es war ein lustiger Zeitvertreib, den er mit Christian teilte.

      „Guten Morgen, Herr Dr. Schuppien“ erklang es aus fünfzehn Kehlen und mehreren Lautsprecher-Paaren. Die Schüler in der Klasse des „Doc“ - wie er von allen seinen Schülern respektvoll genannt wurde, konnten von außen betrachtet in dieser Klasse fast nicht unterschiedlicher sein. Das es dazu gekommen war, hatte vor allem mit seiner Ausbildung und seiner speziellen Qualifikation zu tun.

      Der Doc hatte seinen Werdegang zum Lehrer für ALLE Kinder mit Auszeichnung abgeschlossen. ALLE Kinder konnte und sollte man hier durchaus wörtlich nehmen. Es betraf die Kinder der ersten Welt, der zweiten Welt, behinderte Kinder und schwierigere Kinder. Als schwierige Kinder galten Kinder ohne Eltern. Obwohl dies eigentlich überhaupt nicht mehr üblich war, wurde ihm bei der letzten von zahlreichen Prüfungen und Lehrgängen mitgeteilt, dass er es nicht hätte besser machen können. Dies führte unter anderem dazu, dass er auch zukünftige Lehrer für alle Schüler betreute und ausbildete.

      Nun … heute, in dieser Stunde, stand zunächst einmal das Fach 'Kommunikation' auf dem Stundenplan. Früher wurde dieses Thema überhaupt nicht unterrichtet. Inzwischen ist es eines der wichtigsten Fächer in fast jeder Schulform. Es wurde notwendig, um die Kinder früh aneinander zu gewöhnen. Die unterschiedlichen Gruppen profitierten sehr davon. Natürlich war dies auch immer wieder eine Gelegenheit, etwas mehr auf die sozialen Aspekte zwischen den Kindern einzugehen.

      Während die 'normalen' Kinder lokal sehr gebunden waren, besaßen die 'virtuellen' Kinder die Möglichkeit, an viele Orte auf der Welt innerhalb von Sekunden zu wechseln. Dies war eines der Vorteile in ihrem Leben, es gab ja schon genug Nachteile. Zu jeder Kommunikationsstunde gehörte daher ein kurzer Bericht mindestens eines Schülers, was er oder sie gestern getan oder erlebt hatte.

      Per Zufallsgenerator wurde heute als Erstes Senol ausgewählt. Es war nicht so, dass jedes Mal das Zufallsprinzip gewählt wurde. Manchmal wählte der Lehrer auch ein Kind aus. Jochen hatte ein recht feines Gespür dafür, wann ein Kind das Vorrecht bekommen sollte vor allen Kindern zu sprechen. Einige Kinder sprachen gerne, einige weniger gerne. Aber es war wichtig für das Selbstbewusstsein des Kindes, dass es gelegentlich einmal einfach nur frei etwas erzählen konnte. Senol war heute der erste, er war ein virtuelles Kind.

      „Hallo Senol“, begann Jochen. „Na, wie fühlst du Dich heute? Bist du gesund?“

      Der Witz war zwar inzwischen ziemlich aufgebraucht, jedoch diente er immer noch sehr gut, um den Start in den Unterricht ein wenig aufzulockern, ja - man konnte es durchaus als „running Gag“ bezeichnen. Zudem konnte er ihn variieren, indem er zum Beispiel danach fragte, ob ein virtuelles Kind ausgeschlafen hätte.

      Auf der riesigen Videowand, die heutzutage statt der ganz früher üblichen Tafeln angebracht war, erschien ein ehemals türkisch-stämmiges Kind im Alter von ca. 11 Jahren in etwa so, als würde ein echtes Kind in Lebensgröße vor der Klasse sprechen. Das Kind lächelte:

      „Oh - soweit gut, Herr Dr. Schuppien. Danke der Nachfrage, bin kerngesund“. Das letzte Wort betonte er mit einem belustigten Unterton.

      Denn wie auch Christian, konnte Senol natürlich nicht krank werden. Für ihn gab' es keine körperlichen Schmerzen mehr. Dies hatte er hinter sich gelassen.

      „Dann erzähl mal...“ munterte Jochen ihn zum Sprechen auf.

      „Ich war gestern in Indien. Dort gibt es einen … ich glaube man nennt es Tempel … er heißt, wie war das noch ...Tech Mahal? Mein Vater meinte, ich sollte das unbedingt einmal gesehen haben.“

      „Ah, du meinst das Taj Mahal“, warf Jochen ein.

      „Ja, stimmt - so hieß das ...“, erwiderte Senol fröhlich. Das Kind lächelte noch ein wenig mehr.

      „Tempel war übrigens sehr nahe dran, aber es ist in Wirklichkeit ein Grabmal. Die damaligen Inder sagten auch Mausoleum dazu. Dort liegt ein ehemaliger Maharadscha begraben“, führte Jochen weiter aus. „Das Grabmal ist sehr, sehr alt und wurde schon viele Male wieder restauriert, ein Maharadscha ist ein alter indischer Adelstitel, soweit ich weiß.“

      Johanna drückte den Knopf für eine Frage. Senol konnte dies sehen und erlauben, dass Fragen gestellt wurden. Ansonsten durfte nur Herr Schuppien den Sprecher unterbrechen. Dies war eine sehr wichtige Regel in der Kommunikationsstunde. Die heutigen Kinder lernten sehr, sehr früh miteinander geordnet zu reden. Ein 'Dazwischenplappern' war ebenso wenig erwünscht, wie ein Ignorieren des Gegenübers.

      „Ja, Johanna?“, nur Senol, als derjenige der gerade das Rederecht hatte, durfte, außer dem Lehrer, nun das Stellen einer Frage erlauben.

      „Lebt dieser Mah... Maharra … wie auch immer, noch?“, fragte Johanna neugierig.

      „Nein“ antworteten Jochen und Senol fast gleichzeitig. Jochen sah ihn kurz an und fuhr fort: „Er ist schon vor langer Zeit gestorben. Lange noch bevor die zweite Welt entstanden ist. Man kennt seine Gedanken nur ansatzweise, man sagt dazu auch ‚rudimentär‘. Ich weiß nicht genau, wie er hieß, wir können es sehr gerne später einmal genauer nachsehen.“ führte Jochen weiter aus. „James, bitte merke dir 'Taj Mahal' und 'Maharadscha im Taj Mahal'“. Im Monitor neben Senol erschienen die beiden Anmerkungen vom Doc.

      James war der Name für den Klassencomputer.

      „Lassen wir doch Senol mal weitererzählen“

      Damit übergab er das Wort wieder an Senol.

      Senol nahm die Erzählung wieder auf: „Ich glaube, sie liegen leicht daneben, Herr Doktor. Der alte Herrscher hatte das Gebäude für seine Frau oder Geliebte erbauen lassen. Viele, viele Menschen haben jahrelang gearbeitet, damit es entstehen konnte.“ Er machte eine kurze Pause, überlegte und fuhr dann mit seiner Erzählung fort: „Was ist das eigentlich, eine Geliebte? Darf ich dieses Wort auf die Merkliste setzen?“

      „Oh ha“, dachte Jochen. „Das wird heute 'etwas' schwieriger“.

      „Aber sicher, Senol“, bestätigte er. „James, füge bitte noch 'Maharani und Geliebte' hinzu.“ Jede Klasse hatte so einen digitalen Unterrichtsbegleiter und jede Klasse gab' ihm, oder ihr seinen eigenen Namen.

      „Maharani?“ fragte Senol.

      „Die Frau eines Maharadschas und im Idealfall auch seine Geliebte“, erklärte Jochen.

      „Lassen wir dies für den Moment erst einmal so stehen.“

      Jochen machte eine kurze Pause und fragte dann: „Hattest du die Möglichkeit einen 'Bot' zu benutzen und das Grabmal auf eigene Faust zu erkunden?“

      „Eigene Faust?“ Der Junge auf dem Monitor blickte seine Hand an.

      Jochen lachte: „Ein altes Sprichwort, es bedeutet so viel wie: Etwas selbständig unternehmen und erforschen.“

      „Ah, … OK … und ne, leider nicht!“, antwortete Senol.

      „Alle 'Bots' waren ausgebucht. Aber ich glaube, rund um das Gebäude gibt es sowieso nix, was nicht sowieso per Kamera besucht werden kann und drinnen ist das wohl auch so.“

      Nach einer kurzen nachdenklichen Pause nahm Senol die Erzählung mit einem leicht vorwurfsvollen Unterton wieder auf: „Ich hatte bloß den einen Nachmittag. Für einen Bot hätte ich mich früher anmelden müssen. Mama und Papa konnten ja schließlich nicht mit.“

      „Oh, das soll kein Vorwurf sein, Senol.“, beruhigte Jochen, „Ich war einfach nur neugierig“.

      Für die Entwicklung der Kinder der zweiten Welt war es unglaublich wichtig, dass sie eigene Erfahrungen sammelten. Die Bewegungsfreiheit ist mit einem sogenannten 'Bot' viel größer und vor allem individueller.


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