Eternumity. Stephan Schöneberg

Eternumity - Stephan Schöneberg


Скачать книгу
les bras se lèventLà où il va il fait un froid mortelSi l'homme ne change de ciel pourtant, j'ai rêvé

       Myléne Farmer - Rêver

      

      „Hochwürden?“, eine unsichere Stimme hallte durch die fast perfekte Stille in der alten katholischen Kirche des kleinen Ortes Altötting am Fuß der bayrischen Alpen. Pastor Lammerz, der wie jeden Abend, fast schon nachts, noch einmal die Reihen seiner uralten Kirche prüfte, hielt in seiner Andacht inne.

      Die Person am Eingang der zweiten Sitzreihe war ein 'Bot'. Ein 'Bot' mit einer weiblichen Stimme. Er hatte ihn zunächst gar nicht bemerkt. Der Bot, wohl mit einem weiblichen Wesen besetzt, war dunkel, fast schwarz, gekleidet. Es kam tatsächlich selten vor, dass so ein 'Roboter' die Kirche betrat. Um diese Uhrzeit hatte er nicht mit der Anwesenheit eines 'Gläubigen' gerechnet, egal ob Mensch oder Virtueller. Es war 22:30 Uhr. Vater Lammerz wollte eigentlich nur noch sein tägliches Nachtgebet sprechen und dann mit Gottes Segen zu Bett gehen. Um diese Uhrzeit war er Besuch nicht gewohnt. Dennoch, das Haus Gottes blieb, wie es traditionell Brauch und Gesetz war, Tag und Nacht geöffnet. Hier in diesem kleinen Dorf war es nicht nötig, die Türen zu verschließen. Vandalismus oder Landstreicherei war hier in der örtlichen Idylle unbekannt. Die Benutzung von Bots war hier ebenfalls äußerst selten.

      Meistens kamen sie nur einmal kurz rein, um die Architektur zu mustern und nachzusehen, wo zum Beispiel die nächste Trauung des Ur- oder noch weiter entfernten Enkels stattfinden sollte, denn Rudolf war etwas traditionell eingestellt und gab die Trauungen tatsächlich nur per Aushang bekannt. Auch für die eigentliche Hochzeit wurden dann selten Bots verwendet. Letzten Endes war hier der Mitschnitt vollkommen ausreichend, denn Bots nehmen sehr viel Platz weg und … sie fallen auf.

      In naher Zukunft stand jedoch keine Trauung, Taufe oder Ähnliches an. Das Wesen mit der Stimme einer Frau hatte sich wieder hingesetzt. Der Bot schien ... zu beten. Rudolf Lammerz verließ das Podest vor dem Altar, und näherte sich mit festen Schritten den vorderen Sitzreihen. Vor der ersten Reihe blieb er stehen und fragte mit ruhiger und freundlicher Stimme: „Guten Abend?“. Das Wesen antwortete ebenso freundlich: „Guten Abend“.

      „Was führt Sie zu dieser späten Stunde noch in dieses heilige Haus, sehr verehrte Dame?“ Aufgrund der Tonlage war die Stimme des Bots für ihn eindeutig einer weiblichen Person zuzuordnen. Er schätzte die Stimme auf Anfang bis Mitte dreißig. Auch wenn Rudolf Lammerz Probleme hatte, diese 'leblosen Dinger gefüllt mit einer ehemaligen Seele' als echte Geschöpfe Gottes anzusehen, gab es für einen Mann Gottes keinen Grund einen Besucher seines Gotteshauses nicht höflich zu empfangen.

      Sie trat aus der Sitzreihe in das Mittelschiff hervor und blieb dann dort stehen, sodass sie einen ähnlichen Abstand einhielt, wie dies wohl auch ein Mensch getan hätte, der auf etwas Distanz bedacht ist, aber dennoch mit seinem Gegenüber gerne sprechen möchte. Der 'Bot' blickte auf und Vater Lammerz sah in Augen, die von Trauer umgeben waren. Er stutzte. Der Pastor hatte nicht erwartet, in einem Bot-Monitor so tiefe Gefühle erkennen zu können.

      Die traurigen Augen weiteten sich ein wenig und die Stimme wurde ein wenig fester und sicherer, jedoch konnte sie ihre Unsicherheit nicht vollständig verbergen: „Vielleicht ist es doch nicht richtig, ...“. Unsicher ging der Bot einen Schritt rückwärts und drehte leicht die Hüfte in einer Art und Weise, wie es ein Mensch nicht tun kann. Das Wesen war im Begriff zu gehen.

      „Jeder ist im Haus Gottes willkommen!“

      Diese Aussage mag einstudiert worden sein, aber Rudolf Lammerz war Pastor aus Leidenschaft. Wenn er dies sagte, so war dies auch seine Überzeugung. Zudem war er zu neugierig, warum ausgerechnet so spät, fast schon in der Nacht, eine dieser Mensch-Maschinen ihn und seine Kirche besuchte. Er war zwar ein Mann Gottes, aber vor allem war er auch Mensch. Rudolf wollte nicht, dass sie ging. Offensichtlich bedrückte sie etwas. Sein Satz hatte Erfolg. Der Bot hielt mitten in der Bewegung inne und blieb stehen.

      „Sie sind doch nicht zu dieser späten Stunde hier eingekehrt, um einfach unverrichteter Dinge wieder zu gehen?“, ergänzte der Pastor, um das Gespräch am Leben zu erhalten. Nach einer Pause von einigen Sekunden antwortete sie: „Nein, eigentlich nicht … aber ich wusste nicht, ob ich hier“, es entstand erneut eine kurze Pause, „willkommen bin.“

      Vater Lammerz änderte die Haltung seiner vor dem Bauch verschränkten Hände indem er die Handflächen einladend nach außen drehte. Es war nicht direkt eine Frage in dieser Geste zu erkennen. Trotzdem entschied sich Rudolf für diese Bewegung, die seit Tausenden von Jahren als eine Willkommensgeste der Kirche bekannt war. Sie bedeutete 'Ich empfange dich mit offenen Armen, du bist hier willkommen.' Jeder Gläubige kennt sie, wird sie der ursprünglichen Bedeutung nach deuten und sollte darauf reagieren: „Ich danke Ihnen.“ sagte der Bot, der seine Geste anscheinend richtig interpretiert hatte.

      Der Pastor legte den Kopf leicht schief, wie er das immer tat, wenn er noch mehr Worte erwartete. Er durchbrach erneut die schon wieder leicht beklemmend werdende Stille und sagte: „Bitte.“ Kurz danach fuhr er fort: „Nun?“

      „Ich hoffe ich störe nicht ...“, begann die Frau. Rudolf musste lächeln, er senkte leicht den Kopf und sah den Monitor mit leicht gesenktem Kopf von unten mit nach oben gerichteten Augen an. Der Bot war groß, zirka 190 Zentimeter. In Ihrem irdischen Leben war sie wohl sicherlich nicht so groß gewesen. Aber eigentlich war sie ja immer noch hier, oder nicht? Ach verdammt, die Situation ist schwierig geworden. Ganz früher - als es noch einen endgültigen Tod gab, war es einfacher.

      „Aber nein, natürlich störe ich um diese Uhrzeit, tut mir leid … ich war immer ein nachtaktiver Mensch, obwohl ich nicht mehr so recht Tag und Nacht unterscheiden kann.“

      Als der Bot antwortete, wurde das Gesicht im Monitor wieder etwas trauriger. Dieses Gesicht zeigte eine Frau - wahrscheinlich in den späten Zwanzigern. Es passte zu dem Alter der Stimme. Der Haaransatz ließ tiefe, dunkelbraune Haare erkennen. Das Gesicht war ausgesprochen hübsch. Sofern es ihr früheres Aussehen war, musste sie eine auffallend schöne Person gewesen sein. Natürlich kann ein „Virtueller“, wie die Bewohner der zweiten Welt gerne wenig respektvoll benannt wurden, seinen Körper nicht mitnehmen.

      Der Frau nahm die Gedanken des Pastors auf:

      „Ja, das war wirklich ich!“, … … …, „Bevor wir gestorben sind!“ Das Gesicht konnte die Tränen nicht mehr zurückhalten.

      Rudolf wusste nicht, wie es möglich war, dass die Bewohner der zweiten Welt Gefühle erleben konnten. Für ihn waren es unvollkommene Seelengeschöpfe, gefangen in einer Art riesigem digitalem Käfig. Es war ihm immer schon ein Rätsel, wie und warum das funktionieren konnte. Allerdings konnte er auch nicht erklären, wie Gefühle bei Menschen funktionieren. Es hatte ihn viel Training und Gespräche gekostet, mit den Gefühlen anderer Menschen umzugehen, sie richtig zu lesen und entsprechend darauf zu reagieren. Bei virtuellen Menschen fehlte es ihm gänzlich an Erfahrung und Empathie. Jedoch, einem weinenden Wesen konnte er sich nicht verschließen.

      „Ich möchte ihnen helfen.“, bemerkte er sichtlich betroffen. „Merken sie es, wenn ich sie in den Arm nehme?“

      Schluchzend erwiderte die Person: „Nein, ich merke dies nicht im körperlichen Sinne, aber ich danke ihnen sehr, dass sie es tun würden.“ Im Bot selbst erklang ein Geräusch, als ob tief Luft geholt wurde. „Wie unglaublich echt doch die Illusion einer wirklichen Person ist“, sinnierte Rudolf in Gedanken. Es war deutlich zu erkennen, dass das Gesicht auf dem Monitor tief Luft holte.

      „Ich weiß es nicht ...“

      „Hmmm?“, der Pastor schien ein wenig verwirrt.

      „.. ob sie mir helfen können“, sprach der Bot weiter.

      Von einem Augenblick zum Nächsten schien die Traurigkeit in der Stimme verflogen. Das Gesicht auf dem Monitor erschien wieder eigenartig 'normal' abgebildet.

      Bei aller Faszination für diese Maschinen - perfekt waren sie noch nicht. Eine 'echte, wirklich lebende' Person hätte den Schmerz und die Traurigkeit nicht in einer solchen Geschwindigkeit wegwischen können.

      „Oh,


Скачать книгу