Eternumity. Stephan Schöneberg
benötigt wurden sowieso nur noch spezielle Arbeiten. Die Welt hier im Dorf bestand hauptsächlich aus Austauschteilen und denjenigen, die sie montieren konnten und wollten, wenn dies nicht auch schon Maschinen erledigten. Eine Heizung, wie sie in Deutschland benötigt wurde, hatte ihren genormten Raum in jedem Haus. Wenn sie einmal defekt war, was selten genug vorkam, dann rief sie selbständig die Ersatzteile herbei, die dann automatisch gegebenenfalls den Terminplan mit den Hausbewohnern abstimmten, wenn nicht auch das schon automatisiert war. Daher bekam man so richtig gar nicht mit, wenn mal etwas nicht so funktionierte.
Dies alles hatte für Rudolf mehr als den Hauch von Magie. Für ihn und sein Gotteshaus war es auch nicht ganz so einfach. Die Räume in der Kirche waren schwer in der Norm unterzubringen. Im Grunde war er überhaupt froh, dass er seinen „Beruf“ noch ausüben durfte, denn irgendwie kam er sich auch etwas nutzlos vor. Er stellte nicht etwas her und half auch nicht bei der Weiterentwicklung von Bots, Technik oder neuen Verfahren zur Energieentwicklung. Erst recht nicht half er bei der Programmierung jeglicher Maschinen, Speichercodes oder was es sonst noch so alles an „verrücktem Zeug“ gab.
Seine Arbeit war schwer zu fassen. Er benötigte jedoch nicht viel zum Leben, von daher war es wohl auch kein Problem, ihn einfach 'durchzufüttern'. Wie alle anderen Menschen auch, benutzte er seine Mensch-Maschine-Schnittstelle, die meisten nannten sie IBP, intelligent brain plugin. Auch wenn er sich noch nicht final entschieden hatte, so wollte er am Tag X auch nicht die Möglichkeit verpassen, vielleicht doch weiter zu leben. Zudem war es tief in den Glaubensregeln verwurzelt, dass sich der Mensch nicht selbst richten durfte. Wenn er nun nicht alle Möglichkeiten bediente, käme das nicht einem Selbstmord gleich? Daher tat er das, was jeder Mensch abends tat. Er erzählte seinem persönlichen Archiv was er täglich gemacht hatte, wenn es dies nicht sowieso schon wusste, denn viele Dinge geschahen automatisch, ohne dass man es bewusst steuern musste. Das war wieder so ein Voodoo-Ding für Rudolf. Aber es war wie Max so schön sagte: „Gutes Juju“.
Ob Sylvia das auch noch so sieht?
Inzwischen war es 20:55 Uhr. Er hatte bereits alle Geräte verbunden und alles schon getestet, zumindest so wie ihm Max erklärt hatte. Es würde wohl funktionieren. Rudolf mochte es nicht, zu einem zugesagten Termin zu spät zu kommen, also setzte er sich schon früh genug in seiner Wohnung in sein normalerweise verwaistes Medien- oder Kommunikationszimmer, platzierte den Kommunikator so wie Max es ihm gezeigt hatte, verband ihn, oder besser der Kommunikator hatte sich selbst mit sämtlichen audiovisuellen Geräten verbunden, und sprach:
„Familie Limbach anrufen“.
Schon nach wenigen Sekunden antwortete sein großer Bildschirm und ein junger Mann erschienen auf dem Monitor: „Guten Abend Hochwürden. Mein Name ist Ludwig, Sylvia bat mich, sie sozusagen herein zu lassen. Sie bringt Niklas noch ins Bett.“
„Danke, guten Abend. Sie müssen entschuldigen, ich habe so etwas ehrlich gesagt noch nie gemacht. Ich weiß nicht, ob sie mich zuerst hereinbitten müssen, damit wir reden können?“, Roland tastete sich langsam vorwärts.
„Sie sind doch kein Vampir!“, antwortete Ludwig mit einem leicht amüsierten Unterton.
„Aber lassen Sie uns ernst bleiben, unser Anliegen ist schließlich nicht ganz so einfach.“
„Oh, dazu sind wir bisher noch nicht gekommen, wir haben uns gestern nur kurz vorgestellt - ihre Frau und ich“, erklärte der Pastor.
„Ah, Okay - dann sollten wir warten, bis Niklas ... nunja, schläft.“
„Sollte er nicht am Gespräch teilnehmen, wenn es die Familie betrifft?“, fragte Roland.
„Nein, sollte er nicht - ja, es betrifft die Familie“, sagte Ludwig.
„Er ist zu jung?“, fragte Rudolf.
„Ja, er war und ist zu jung für sehr, sehr vieles“, bemerkte Ludwig.
„Ich muss Ihnen sagen, ich habe ein wenig recherchiert. Es tut mir unendlich leid, was ihnen widerfahren ist“, Roland versuchte einen anderen Weg in das Gespräch zu finden.
„Es ist passiert, was passiert ist“, antwortete sein momentaner Gesprächspartner in einem Tonfall, der Roland so gar nicht gefiel.
„Die Zeit ist zu kurz, mir erscheint es fast irreal, dass ich jetzt sozusagen über einen Menschen spreche, der vor drei Wochen noch ein glücklicher Familienvater war, eine wunderschöne und kluge Frau als Partnerin hatte und die beide noch glücklicher mit ihrem Wunschkind waren“, erzählte Ludwig weiter.
„Wie viel Bitterkeit in dieser Aussage steckt“, dachte Roland für sich.
„Sprechen sie ihre Gedanken ruhig aus, Pastor. Ich bitte sie sogar, wenn ich darf, darum“, sprach Herr Limbach gerade heraus.
„In Ordnung ... sie klingen verbittert“, sagte Rudolf.
„Ist das nicht normal, nach dem was uns widerfahren ist?“, kam die prompte, leicht anklagende Antwort.
„Ja, das glaube ich, Ihnen“, antwortete Roland.
„Oh, Pastor Lammerz, seien sie willkommen in unserem bescheidenem Heim“, Sylvia Limbach hatte sich in das Gespräch eingeschaltet.
Da er sie nicht sah, setzte er die Brille auf und war direkt in ihrem Haus. Als er den Kopf drehte, sah er Sylvia, wie sie wohl einmal ausgesehen haben mochte und nicht als Bot.
„Entschuldigen Sie meine Verspätung, für Niklas ist die Situation noch viel komplizierter als für uns. Er möchte nicht mehr schlafen“, erklärte sie.
„Rein technisch müsste er dies auch nicht“, ergänzte Ludwig.
„Virtuelle Menschen benötigen keine Ruhephase, keine Zeit zur Besinnung?“, fragte Roland.
„Wir wissen es nicht genau“, antwortete Sylvia.
„Drei Wochen sind eine kurze Zeit, um sich daran zu gewöhnen.“
„Das verstehe ich. In Wahrheit verstehe ich ihre Welt überhaupt nicht, fürchte ich“, bemerkte der Priester.
„Es geht uns genauso!“, sagte Ludwig.
„Wir kommen in dieser Welt nicht klar“, ergänzte Sylvia.
„Gibt es keine Hilfe, keine Führung, keine ... Seelsorge?“, fragte Roland.
„Wir haben nach dem ersten Schock viel versucht“, erzählte Sylvia.
„Und wir sind zu einem Entschluss gekommen“, ergänzte Ludwig.
Roland hob leicht die Augenbrauen, dies reichte scheinbar als Aufmunterung für Sylvia, um mit ihrer Erzählung fortzufahren:
„Ich weiß nicht so recht, wie ich anfangen soll?“ Sylvias Stimme stockte ein wenig.
„Dann lass mich es sagen, Schatz“, fuhr Ludwig fort. „Pastor Lammerz, wir benötigen ihren Segen! Wir möchten sterben!“
Rudolf war schlagartig hellwach. Damit hatte er niemals gerechnet.
„Mein Gott!“, rief Roland aus.
„Ich weiß, wir bitten um viel!“, Sylvias Stimme war wieder etwas gefestigter.
Roland schwieg und überlegte fieberhaft: „Das kann doch nicht wahr sein. Oh, Herr - warum ich, das kann ich nicht!“
„Wir alle wissen, dass Selbstmord eine Todsünde ist“, erklärte Ludwig.
„Aber wir sind beide zu dem Entschluss gekommen, dass wir DAS hier nicht mehr sind“, ergänzte Sylvia
„Wir denken, dass es besser gewesen wäre, wenn wir vor drei Wochen gestorben wären.“
„Das hier ist weniger als ein Schatten unserer ehemaligen Existenz.“
Rudolfs Gedanken rasten ...
„Ich kann eine Todsünde nicht vergeben, das kann nur Gott“, erwiderte Roland, fast so als wäre er wie in Trance. „Und … sie beide haben einen Sohn! Ein Kind was sie mehr als jemals