Zeit zum Überleben - Zukunft. Lara Greystone

Zeit zum Überleben - Zukunft - Lara Greystone


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seine Laune.

      »Und ich trenne noch etwas Bauchfleisch heraus, da komme ich gut dran. Das können wir in Stücke schneiden und lange kochen, dann wird es zart. Kochen geht nämlich immer. Und dann müssen wir halt herausfinden, ob und wie lange das gekochte Fleisch ohne Kühlung essbar bleibt.« Frustriert stößt er die Luft aus und lässt seinen Blick über das große Tier gleiten. »Es ist ein Jammer, dass wir keine Möglichkeit haben, die ganze Kuh als Nahrung zu verwerten.«

      »Echt schade«, murmle ich und sage dann lauter: »Aber wenn es Winter wäre, würde das klappen. Berta hat ja gesagt, wir sollen vor dem Winter die Nutztiere wieder einfangen, die sie freigelassen hat, damit sie sich in der Natur selbst Nahrung suchen.«

      Während wir in schweißtreibender Arbeit der Kuh Fleisch abgewinnen, stelle ich mir unwillkürlich vor, wie Marc als Cowboy, das Lasso schwingend, hinter den Rindern her ist.

      »Ich hoffe, du kannst mit dem Lasso umgehen«, sage ich und schmunzle ihm zu.

      »Ich schätze, du würdest mir sogar einen Cowboyhut und ein Pferd besorgen?«

      Als ich grinse, schüttelt er lächelnd den Kopf.

      »Der Cowboyhut wäre noch okay, aber tausch den Hengst bitte gegen meine Bonnie. Ich kann nämlich nicht reiten.«

      Ich ziehe einen Schmollmund.

      »Du zerstörst meine Fantasie.«

      Lachend gibt er zurück: »Du hast zu viel Marlboro-Werbung gesehen, Jessy.« Er wischt sich den Schweiß von der Stirn und ergänzt mit ernster Miene: »Für jede Kuh, die wir fangen, sogar für jedes einzelne Huhn müssen wir auch Winterfutter beschaffen. Das wird die eigentliche Herausforderung für uns. Das heißt mit der Sense mähen, trocknen lassen, womöglich noch wenden und dann einlagern.«

      Das klingt nach einer Plackerei, genau wie das, was wir gerade tun.

      »Um den Winter zu überleben, bleibt uns wohl nichts anderes übrig. Wie gut kannst du mit einer Sense umgehen?« Statt einer Antwort stößt er nur frustriert die Luft aus. »Also genauso gut wie ich.« Nämlich gar nicht.

      Was wir der Kuh schließlich in Schwerstarbeit herausgetrennt haben, ist bei Weitem nicht so hübsch wie beim Metzger. Und wir beide sehen aus, als hätten wir gerade ein Massaker veranstaltet.

      Um unsere ergatterten Schätze auf dem Anhänger nicht einzusauen, wickle ich die Fleischstücke und die Leber in zwei der Regenponchos.

      »Wie gut, dass ich die Regenumhänge mitgenommen habe«, erkläre ich Marc stolz und erwarte eigentlich ein Lob.

      Doch der hebt nur seine Augenbraue und erwidert grinsend: »Hätte auf der Verpackung gestanden, dass es XXL-Frischhaltebeutel für Schlachtvieh sind, hätte ich sie auch eingepackt.«

      Ich boxe ihn – diesmal freundschaftlich – in die Schulter. Immerhin ist unsere gereizte Stimmung verflogen und auch meine Todesangst ist verdrängt worden. Vielleicht muss ich einfach lernen, im Jetzt zu leben. Andernfalls wird mich die Angst noch in den Wahnsinn treiben.

      Als wir uns mit Wasser aus der Plastikflasche notdürftig die Hände waschen, wirft Marc mir von der Seite einen spitzbübischen Blick zu.

      »Seit du mir beim blutigen Zerlegen geholfen hast, sehe ich ein ganz breites Grinsen in deinem Gesicht. Ich hab doch nicht etwa den Serienkiller in dir geweckt?«

      Mit einem genießerischen Lächeln tue ich so, als lecke ich mir einen Blutfleck am Arm weg.

      »Mhmm – jetzt habe ich in der Tat Blut geleckt. Und ich werde von unserem Opfer essen, so wahr ich hier stehe.«

      Wir brechen beide in Gelächter aus. Als wir uns ein bisschen beruhigt haben, sehe ich Marc überglücklich an. »Ich freu mich nur so, dass wir heute und morgen frisches Fleisch zum Essen haben. Ich kann mich nicht mehr erinnern, wann ich das zuletzt hatte.« Von dem Speck in Maries Haus mal abgesehen.

      In meiner Euphorie lege ich die Hände um Marcs Hals und küsse ihn flüchtig. Er hält jedoch meinen Kopf mit seiner Hand fest, seine Zunge dringt in mich ein. Mit einem leisen Stöhnen vergräbt Marc seine Finger in meinem Haar, während sein Arm sich um meine Taille schlingt und er mich begehrend ganz eng an sich zieht.

      Ich lasse mich wortwörtlich von ihm hinreißen, genieße es, wie er mich hält, und küsse ihn leidenschaftlich zurück.

      Als wir den Kuss schließlich etwas außer Atem beenden, flüstert er in mein Ohr: »Ich habe aus der Apotheke auch Kondome mitgenommen.«

      Komm schon, stell dich nicht so an, lass es uns zusammen machen!, hatte mir einst jemand ins Ohr geflüstert und mich dabei gegen meinen Willen festgehalten. Mein erster Impuls ist es, den Mann in der Gegenwart mit aller Kraft wegzustoßen. Aber ich weiß, dass das der bösen Erinnerung entspringt.

      Das ist Marc! Er ist anders!, ermahne ich mich in Gedanken und schließe ihn für einen Moment fester in die Arme. Ich will meine Vergangenheit und was mir Jean-Claude damals in Espoir vor Jahren angetan hat, endlich hinter mir lassen!

      Es ist ein kleines Wunder, aber trotz allem, was wir am heutigen Tag durchgemacht haben, steigen wir gut gelaunt auf die Bonnie und fahren nach Hause. Es ist schön, wieder ein Zuhause zu haben, besonders mit so einem netten Kerl wie Marc. Ich wünschte nur, es wäre nicht dieses verhasste Dorf, in dem ich so viel Schlimmes erlebt habe, dass ich am Tag meines 18. Geburtstages abgehauen bin.

      Cäsar begrüßt uns als Erster im Hof, schwanzwedelnd kommt er auf uns zu. Schon als wir noch vor dem Hoftor standen, hat er als Willkommensgruß geheult und kurze, freundliche Belllaute ausgestoßen. Ich steige ab und kraule ihm rasch das Nackenfell, bin gerührt, dass er sich über unsere Rückkehr so offenkundig freut, und lasse mir sogar einmal übers Gesicht schlecken. Igitt!

      Mensch, ich war echt zu lange ganz allein unterwegs!

      »Nixi! Wir sind zurück!«

      Ich stürme hinein in die Wohnküche und da sitzt sie in ihrem langen Flanellnachthemd mit dem Blümchenmuster und ihren blonden Zöpfen: Ihre Knöchel sind weiß, weil sie die Schrotflinte in der einen Hand und das Fleischmesser in der anderen so krampfhaft umklammert. Schweiß steht ihr auf der Stirn und ihre Wangen sind nass. Als sie mich sieht, fließen nach einem Augenblick neue Tränen.

      »Ich dachte«, stammelt sie leise, »Ich dachte, die Hellhounds hätten euch erwischt und ihr kämt nicht mehr wieder.«

      »Scheiße, das tut mir so leid, Nixi!«

      Ich knie mich vor sie, löse sanft die Waffen aus ihren verkrampften Fingern und lege sie auf den Esstisch. Dann nehme ich ihre beiden Hände in meine.

      »Aber jetzt sind wir zurück und haben tolle Schätze dabei.«

      Das mit den Hellhounds und Jailhounds verschweige ich bewusst. Sie zwinkert, wirkt ein bisschen abwesend. Die Arme hat bestimmt im Kopf die Hölle durchgestanden. Ich versuche, sie wieder ins Jetzt zu bringen.

      »Stell dir vor, wir werden heute grillen, Nixi!«

      Ich brauche mir keine zu Mühe geben, um begeistert zu lächeln, und hoffe, es springt über. Ihre himmelblauen Augen fokussieren sich auf mich und hören auf, so leer zu wirken.

      »Nixi, stell dir vor, wir haben frisches Fleisch! Fleisch, so viel, dass wir essen können, bis wir platzen!«

      »Fleisch«, wiederholt sie.

      Sie wirkt ein bisschen benebelt. Ich schätze, sie hat auch nicht mit Schmerzmitteln gegeizt, aber wer will es ihr verübeln?

      »Wir haben Leber zum Grillen und in Bertas Garten findet sich alles für einen Salat. Außerdem habe wir noch anderes Fleisch, aus dem wir Suppe oder sogar eine Art Gulasch kochen könnten.«

      Gulasch wäre ein Wunschtraum, aber ich würde weiß Gott was erzählen, um Nixi ein Lächeln abzuringen.

      »Grillen mit Salat«, flüstert sie, als wäre es nur eine utopische Fantasie, aber ihr Gesicht hellt sich endlich auf.

      Nixi weist


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