Zeit zum Überleben - Zukunft. Lara Greystone

Zeit zum Überleben - Zukunft - Lara Greystone


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der Lärm der abziehenden Motorräder leiser wird, verharren wir noch eine kleine Weile in der sanften Berührung unserer Lippen und Hände.

      Dann rücke ich ein kleines Stück von ihm ab.

      »Danke«, hauche ich. »Und tut mir leid. Ich weiß, das war nicht angebracht in dieser lebensgefährlichen Situation.«

      »Wir haben das Beste daraus gemacht, findest du nicht?«, flüstert Marc und zwinkert.

      »Danke«, wiederhole ich, weil er meinen Ausbruch so humorvoll nimmt und mich nicht beschämt.

      Ich will schon aufstehen, da legt er eine Hand auf meine Schulter.

      »Bleib hier. Ich schaue erst nach, ob die Luft auch wirklich rein ist. Vielleicht gibt es ja einen Nachzügler.«

      Marc ist wieder mal ganz der Beschützer. Und das liebe ich an ihm. In dieser gefährlichen Zeit ist das für mich kein nerviges Machogehabe mehr, weil es mir tatsächlich mal die Haut retten kann. Aber gleichzeitig habe ich Angst um Marc und halte ihn mit einer Hand am Arm auf.

      »Bitte, nimm wenigstens meinen Baseballschläger mit«, flüstere ich.

      Auch wenn wir uns erst ein paar Tage kennen, möchte ich diesen Überlebenskampf nicht mehr ohne ihn durchstehen müssen.

      Leise greift er nach meinem Schläger auf dem Anhänger, hebt die Plane und schleicht sich raus. Ich lausche angestrengt, bereit, jederzeit aufzuspringen.

      »Alles okay hier draußen! Sie sind weg und ich kann ihre Bikes noch nicht einmal mehr hören«, kommt kurz darauf die Entwarnung.

      Erleichtert schiebe ich die Plane weg, gehe dennoch zögernd und mit wackligen Beinen raus. Die Furcht verschwindet nicht einfach mit der Gefahr – so ist das bei mir eben. Tief in mir drin hat sich die Tatsache festzementiert, dass ich in dieser Zeit an keinem Ort, zu keiner Zeit mehr wirklich sicher bin. Früher lebte man in Mitteleuropa in relativer Sicherheit, wir wussten sie jedoch nie zu schätzen.

      Marc hebt die Metallplatte und schraubt die Füllstutzen zu, die die Kerle gerade eben natürlich offen gelassen haben. Denen ist das egal, sie sind wie Wanderheuschrecken, aber wir wollen hier in Zukunft leben. Deshalb werden wir auch keinen Tropfen Sprit verdunsten lassen, den wir eines Tages noch bitter nötig haben.

      Als das erledigt ist, brechen wir auf. Ich weise Marc den Weg zum Waffengeschäft, denn ich kenne mich hier ja aus. Schließlich wohnte ich früher in dem kleinen Kaff Espoir und das ist der nächste Ort, der den Namen Stadt zumindest ansatzweise verdient.

      Als wir die Bonnie vor dem Laden abgestellt haben, schnappe ich mir meine Brechstange und lege sie mir über die Schulter. Wir schauen uns das mit schweren Gittern gesicherten Geschäft an.

      »Gib mal her«, fordert Marc mich auf und greift nach der Stange aus solidem, schweren Stahl.

      »Das hat keinen Sinn, glaub mir!«, protestiere ich aus Erfahrung, gebe sie ihm aber dennoch.

      Meine Karriere als Einbrecher hat mich gelehrt, was man mit meinem Lieblingswerkzeug vollbringen kann und was nicht. Und wenn echter Hunger einen über Tage quält, schreckt man auch vor brachialer Gewalt nicht zurück, um irgendwo reinzukommen, wo man Nahrungsmittel vermutet. Allerdings bin ich nur in Wohnungen eingebrochen, in denen niemand mehr war, oder besser gesagt: niemand, der noch lebte. Aber selbst das hat seinen Preis. Der Geruch von verwesenden Leichen und der Anblick ihrer madenzerfressenen Überreste hat sich für immer in mein Gedächtnis gebrannt. Auch darum bin ich froh, Marc getroffen zu haben, denn es macht einen fertig, tagtäglich, Woche um Woche, Monat um Monat mit dem alltäglichen Horror ganz allein zu sein und mit niemandem reden zu können.

      Wir umrunden zu Fuß einmal das Waffengeschäft und Marc verausgabt sich dabei mit der Brechstange, obwohl seine Schusswunde am Bauch immer noch ausheilen muss. Am Ende behalte ich recht.

      »Scheiße!«, ruft er frustriert und schlägt meine geliebte Brechstange an die Hauswand.

      Ich spare mir zwar einen bissigen Kommentar, aber die Sorge wegen seiner Schussverletzung hat Ärger in mir aufsteigen lassen. Ich reiße sein T‑Shirt hoch und werfe einen Blick auf seinen Verband.

      »Gott sei Dank sind deine Wunden nicht wieder aufgerissen! Und jetzt gib her, die brauch ich noch!«

      Ich nehme ihm das Brecheisen wieder ab.

      »Wir müssen aber unbedingt Munition beschaffen! Du hast sie doch gehört: Die Jailhounds sind im Anmarsch.«

      Diese Jailhounds sind angeblich Verbrecher, Überlebende aus allen Gefängnissen des Landes, die man in einer Haftanstalt zusammenlegte. Da es irgendwann auch für die weder Essen noch Wärter gab, setzte man sie gezwungenermaßen auf freien Fuß. Falls die wirklich hier auftauchen …

      Ich weigere mich, weiter darüber nachzudenken, sonst bringe ich mich vor lauter Panik noch selbst um. Die Angst ist für mich nämlich das Schlimmste. Also konzentriere ich mich.

      »Tagesaufgabe«, murmele ich mehr zu mir. »Wie kommen wir in dieses Waffengeschäft mit seinen Gittern aus Stahl.«

      »Und das ohne Geräte, die mit Strom laufen«, ergänzt Marc grimmig und ich merke, ihm gehen auch allmählich die Nerven durch.

      »Gib mir ein bisschen Zeit, ich finde schon eine Lösung.«

      Ich drehe mich langsam im Kreis und schaue mich um.

      »Alles, was hier rumsteht, kann ich verwenden«, sage ich mir selbst.

      Die Alarmanlage ist bestimmt durch die EMP-Wellen geschrottet, und falls sie dennoch anspringt, käme eh keine Polizei. Es gibt sie schlicht und ergreifend nicht mehr. Also ist es auch völlig egal, ob ich Lärm verursache oder rohe Gewalt anwende. Alles ist erlaubt …

      Das Geschäft befindet sich an einem Wege‑T. Die abschüssige Straße, auf der man am Ende nach links oder rechts abbiegen muss, endet quasi direkt vor der Eingangstür, wenn man den Gehweg mal außer Betracht lässt. Und da steht ein alter VW-Käfer, der mit Sicherheit schwerer als ein moderner Mittelklassewagen ist.

      Ich sehe Marc an und zwinkere ihm zu.

      »Du darfst mich Wiki nennen.«

      »Wiki?«

      »Kennst du nicht Wiki und die starken Männer? Mir kam nämlich gerade ein genialer Einfall!«

      Mit meiner Brechstange heble ich den Kofferraum hinten auf und finde natürlich den Motor.

      »Typisch Käfer, der Kofferraum ist vorn. Hätte ich wissen sollen.«

      Also gehe ich nach vorn und breche auch da die Haube auf. In dem kleinen Kofferraum ist genau, was ich suche: Neben dem Ersatzrad liegt ein Abschleppseil.

      »Jetzt kann es losgehen, Marc!«

      Ich weihe ihn in meinen Plan ein …

      Kapitel 5

      Es ist ein wenig zeitaufwendig, mein Vorhaben in die Tat umzusetzen, aber hey, keiner von uns muss heute noch ins Büro!

      Marc bindet mühsam den Autoanhänger von der Bonnie los. Dann befestigen wir das eine Ende des Abschleppseils am Motorrad, das andere an der hinteren Stoßstange des VW-Käfers. Anschließend ziehen wir das schwere Volkswagengefährt mit der Triumph die Straße hoch. Oben angekommen, ziehe ich die Handbremse an und wir entfernen das Seil. Dann löst Marc – der die längeren Arme von uns beiden hat – durch eine heruntergekurbelte Scheibe die Handbremse und hält das Lenkrad in Position, bis der Wagen zu schnell wird, als dass er nebenherlaufen kann.

      »Bitte, bitte, lieber Gott!«, murmele ich und verfolge die Fahrt des Käfers. Es gibt einen gehörigen Rums, brechendes Metall, zerspringendes Glas.

      Wir fahren mit dem Motorrad zum Laden runter und tatsächlich reicht der Schaden aus: Der VW hat das massive Gitter der Eingangstür durchbrochen und die Tür selbst steht auch schon ein Stück offen.

      »Tut mir leid, alter Käfer, aber danke schön«,


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