Zeit zum Überleben - Zukunft. Lara Greystone
stecken, die Tür ganz auf und laufe über zersplittertes Glas hinein. Wie schon gesagt: Dieses Leben ist nichts für High Heels!
Drinnen gibt es Tresore, die wir bestimmt nicht aufbekommen werden. Aber immerhin liegen ein paar Pistolen leicht zugänglich vorn in einer Glasvitrine. Unzählige Schachteln Patronen finden wir hinter der Theke. Wir packen einiges davon auf den Anhänger, auch ein paar Leucht- und Gaspistolen, inklusive der jeweiligen Munition. Es gibt auch Kampfstiefel in diesem Geschäft und alles Mögliche, was Leute brauchen, die mal Soldat spielen wollen. Ich entdecke ein Regal mit dem Schild »Überlebensmesser« – heutzutage würde der Name wenigstens wieder Sinn ergeben. Ich nehme ein ausgepacktes in die Hand und betrachte es neugierig. Da ist sogar ein Kompass dabei. Na ja, ein funktionierendes Navi wäre mir eigentlich lieber! Es ist schätzungsweise 40 Zentimeter lang, nicht gerade ein Nagelscherchen, und auf einer Seite hat es Zacken wie eine Säge.
Während ich noch denke: Das sieht aus wie in einem Actionfilm, kommt Marc, schaut mir über die Schulter und schmunzelt.
»Na, gefällt dir das Rambo-Messer?«
Ich glaube zunächst, dass er scherzt, aber dann sehe ich, dass da tatsächlich »Rambo First Blood« nahe dem Knauf eingraviert ist. Und das Gekritzel auf der Klinge ist die Signatur von Sylvester Stallone.
Ich spüre, wie sich ein Grinsen bei mir breitmacht, und denke an die Hellhounds.
»Zum Kastrieren besser geeignet als Bertas Fleischmesser, nicht wahr?«
In gespielter Angst greift er sich an den Schritt.
»Das nimmst du aber nicht mit ins Schlafzimmer!«
So ist das mit Marc: Mit ihm kann man sogar in dieser Zeit, wo es oft nur ums Überleben geht, scherzen. Ich hätte nie gedacht, dass ich in dieser Apokalypse jemanden finde, mit dem ich Witze reiße und lache. Und dieser Humor, unser Lachen, tut mir so gut! Seit ich das mit Marc erlebe, übe ich mich selbst inzwischen auch in dieser Disziplin. »Überleben ist nicht alles«, hat er ganz am Anfang mal zu mir gesagt und der hat recht.
»Meinst du, unser Monatsbudget verkraftet es, wenn ich dieses Messer mitnehme?«
»Aber nur, wenn du auf deinen Friseurbesuch verzichtest, Jessy und auf das Nagelstudio«, mahnt er mich in gespieltem Ernst.
»Okay, okay!«, erwidere ich mit einem Schmollmund. »Ich werde mich einschränken, versprochen!«
Ich nehme eines für mich selbst mit und eines für Nixi. Und Marc sucht mir aus dem Sortiment sogar noch zwei Gürtel mit passenden Scheiden heraus. Er selbst bedient sich bei den Jagdmessern. Dann überwältigt mich der Drang, so viel zu hamstern wie nur möglich. Ich greife nach Militärparkas, Regenponchos, Kampfhosen, Kampfstiefeln für mich, für Nixi und für Marc.
»Hier sind auch Taschenlampen und Batterien«, freut sich Marc, der in einer anderen Ecke stöbert. »Und zwei Petromaxlampen. Die gab es schon im Zweiten Weltkrieg.«
Ich schaue von meiner Raffgier auf. Die Dinger sehen aus, wie Petroleumlampen eben aussehen.
»Und was können die Besonderes?«
»Das sind sogenannte Starklichtlampen.«
Ich runzle die Stirn. »Aha.«
Enthusiastisch führt er aus: »Die leuchten zum Beispiel viel heller als normale Petroleumlampen …« Dann bekomme ich einen Schwall von Information mit Begriffen wie Handluftpumpe, 2 bar Druck, Vergaser. Ich schalte innerlich ab und schaue auf das, was ich gerade in die Hand genommen hatte: Brauchen wir Angelhaken?
Marc hat inzwischen gemerkt, dass ich kein Interesse an Detailwissen habe. Er packt die beiden Lampen zu dem großen Stapel auf der Verkaufstheke und schaut einmal rundum.
»Schade, dass wir nicht alles mitnehmen können.«
»Ja«, seufze ich, ganz in andere Fragen vertieft.
»Und der Laden ist jetzt jedermann zugänglich«, meint Marc besorgt.
»Ja«, antworte ich geistesabwesend.
»Wir sollten unbedingt verhindern, dass zum Beispiel diese Unmengen an Munition hier der nächsten Bande in die Hände fallen.«
Die Tarnfarbe fürs Gesicht stelle ich zurück ins Regal und nehme mir stattdessen eine Survial-Hängematte heraus. Ob wir die gebrauchen könnten?
»Hallo! Wiki! Irgendwelche Ideen?«
Ich knalle das Ding zurück ins Regal.
»Ja, ja! Ich überlege schon!«
Mein Blick fällt auf die Hintertür. Der Schüssel steckt, wir gehen durch und landen in einem gemeinsamen Hinterhof mit der Reinigung nebenan.
»Würdest du in eine Wäscherei gehen, um zu plündern?«, frage ich Marc nachdenklich.
»Eher nicht.«
»Okay, es ist zwar keine ideale Lösung, aber besser als der Istzustand.«
»Was hast du vor?«
Ich breche mit meinem nützlichen Stemmeisen gewaltsam die Hintertür der Reinigung auf. Diese Tür ist natürlich bei Weitem nicht so gut gesichert wie die vom Waffenladen. Ich schnappe mir von dort einen der großen Wäschewagen. Das sind im Prinzip riesige Gitterkörbe auf Rädern, ausgekleidet mit Stoff. Zusammen schieben wir den Wäschewagen ins Waffengeschäft und werfen alles rein, was kein Hellhound in die Finger bekommen soll. Zurück in der Reinigung fahren wir unsere Ladung in den Raum, wo die überdimensionalen Waschmaschinen und Trockner stehen. In die packen wir das ganze Zeug und legen jeweils zwei, drei Betttücher so davor, sodass durch die kleinen Glasöffnungen, die wie Bullaugen aussehen, nichts vom tatsächlichen Inhalt zu erkennen ist.
»Hoffen wir, dass wirklich keiner hier nach brauchbaren Sachen sucht.«
Später statten wir der Apotheke des Städtchens noch einen Besuch ab. Leider finden wir trotz intensiver Suche gar nichts, um einen Gips für Nixis Bein zu fabrizieren. Ein paar andere, nützliche Dinge packen wir aber ein. Der Anhänger ist inzwischen haushoch beladen, daher beschließen wir, den Rückweg anzutreten.
Weil ich nichts Zweckmäßigeres habe, binde ich mit Mullbinden aus der Apotheke unsere Schätze auf dem Anhänger halbwegs fest, bevor wir abfahren.
Auf dem Heimweg entdecke ich plötzlich das große Türschild eines Veterinärs.
»Halt an, Marc!«, rufe ich, um den Lärm der Maschine zu übertönen, und zeige auf das Schild.
»Dein Ernst?«, fragt er über die Schulter.
»Tierärzte gipsen doch auch! Hunde zum Beispiel!«
Er stellt den Motor ab und tatsächlich werden wir bald fündig: Material zum Eingipsen. Ich hätte gern noch das Hundefutter mitgenommen. Dummerweise hat der Anhänger keine hohen Seitenränder und der riesige Berg darauf schwankt eh schon in den Kurven und droht runterzufallen.
Marc betrachtet mit gerunzelter Stirn unseren überladenen Autoanhänger, dessen Anhängerkupplung nur mangelhaft mittels Seil am Zweirad verknotet ist.
»Jessy, falls wir bald mehr Leute im Dorf sind, müssen wir unbedingt ein vernünftiges Transportmittel finden, um alles Nützliche für den Winter einzusammeln.«
Als wir zurück nach Espoir fahren, fühle ich mich regelrecht euphorisch. Es ist, als hätte ich zum Sommerschlussverkauf Geld geschenkt bekommen und ein tolles Schnäppchen nach dem anderen gefunden. Und im Stillen hoffe ich, dass Nixi sich auch über das eine oder andere freut. Nach dem ganzen Horror, den sie durchgemacht hat, würde ich ihr so gern eine kleine Freude bereiten.
Kaum aus dem Städtchen heraus, passieren wir die Stelle, wo Marc mich das erste Mal vor den Hellhounds gerettet hat. Wegen mir hat er sich dort den Bauchschuss eingefangen, wurde bewusstlos und wäre beinahe verblutet. Ich hatte in aller Eile fast mein ganzes Hab und Gut vom Autoanhänger geworfen, um ihn aufzuladen und bei der Apotheke laienhaft zu verarzten.
»Marc! Kannst du bitte noch mal kurz