Der Andere. Reiner W. Netthöfel

Der Andere - Reiner W. Netthöfel


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      „Das ist dann aber ein sehr kurzer Kurzaufenthalt gewesen.“

      „Ich wollte ja auch keinen Urlaub machen, ich hatte einen Auftrag, schon vergessen?“, lachte sie.

      „Auftrag erledigt?“ Holly lachte wieder.

      „Onkel Dick hätte es sicher lieber gehabt, wenn ich den einzigen Unsterblichen für ihn entdeckt hätte, aber ich glaube, ich kann auch so zufrieden sein. – Hast du die Hotelrechnung mitgebracht?“

      „Ist alles bezahlt.“

      „Wie viel?“

      „Du bist eingeladen.“ Sie sah ihn forschend an und sah in ein zufriedenes Gesicht, das sie wohlwollend betrachtete.

      „Das geht nicht.“

      „Geht doch! Du hast ein wenig Farbe in mein tristes Leben gebracht. Du bist eine schöne Frau, du hast mir schöne Sachen erzählt, die mich stolz machen auf meine Altvorderen, du hast mich verletzt, erst mit Worten, dann mit einem Küchenmesser. So viel Spaß und Abenteuer hatte ich lange nicht.“, ironisierte er, doch ein wenig meinte er es schon auch ernst. Sie war seltsam berührt, als er sie ‚schöne Frau‘ genannt hatte, doch jetzt holte sie ihre Tat wieder ein.

      „Hör bitte auf.“ Sie sah ihn ängstlich an, aber er lächelte beruhigend zurück.

      „Wen gibt es noch?“

      „Bitte?“

      „Du wolltest mir deine Familie erklären.“ Sie wirkte erleichtert, dass sie fortfahren und das verminte Gelände verlassen konnte.

      „Mom.“ Holly kicherte. „Mom ist speziell.“

      „Noch eine Spezielle?“ Sie schüttelte den Kopf.

      „Anders. Mom hatte eine wilde Zeit. Sie hatte viele Liebhaber. Als junge Frau. Sie war auf jeder Party. Sie war übrigens die einzige, die diese Expedition abgelehnt hat.“

      „Das macht sie sympathisch. Eine vernünftige Frau.“, wertete er.

      „Wenn du sie kenntest, würdest du das nicht sagen. Sie ist hart, abweisend, oberflächlich, fürchterlich direkt, beleidigend. Nicht gesellschaftsfähig. - Und ich glaube, sie mag Stefania nicht.“, fügte sie leise hinzu. Magnus runzelte die Brauen.

      „Du glaubst es? Warum sollte sie sie nicht mögen?“

      „Sie geht ihr aus dem Weg.“

      „Warum?“ Sie zuckte die Schultern.

      „Ich weiß nicht.“ Doch Holly hatte allerdings eine vage Vermutung, und die hatte mit dem Zeugungsakt zu tun.

      „Hm. Wie alt ist deine Mom?“

      „Etwas jünger als du.“ Da war er sich allerdings sicher.

      „Dann gibt’s noch Grandpa Will, den Bruder von Dick.“

      „Der Patriarch. Der GI-Will von damals?“

      „Nein, er ist nicht der GI, eine zufällige Namensgleichheit. Er ist ein alter Mann.“ Wenn du wüsstest, Holly.

      „Was ist mit deinem Vater?“

      „Mom hat sich von ihm nach meiner Zeugung getrennt, deshalb heiße ich Bryant, wie sie und mein Grandpa.“ Sie errötete leicht.

      „Hm. Und der Vater von Stefania?“ Mit Holly ging eine merkwürdige Veränderung vor sich. Ihr Gesicht hatte eine dunklere Farbe angenommen, ihr Körper versteifte und sie starrte mit großem Interesse einer Ameise hinterher, die einen Spaziergang auf der Tischplatte unternahm. Sie murmelte etwas.

      „Wie bitte?“

      „Kenne ihn nicht.“ Er beugte sich vor.

      „Wie ist das möglich?“, fragte er erstaunt.

      „Künstliche Befruchtung.“ Hollys Augen folgten der Ameise.

      „Warum denn das?“, fragte er entgeistert. „Kannst du auf natürlichem Wege nicht empfangen?“

      „War eine Idee von Mom und mir. Wir waren bekifft.“, schob sie zur Entschuldigung hinterher, obwohl sie wusste, dass diese Tat nicht zu entschuldigen war. Sie hätte sich am liebsten auf die Zunge gebissen, aber es war zu spät. Magnus war verblüfft.

      „Den Spender kennst du nicht?“, rief er. Sie schüttelte ihr kurzhaariges Haupt und starrte immer noch auf die Ameise.

      „Mom kennt ihn, glaube ich.“

      „Was hat die damit zu tun?“, rief Magnus entsetzt und ahnungsvoll. Holly schien etwas fürchterlich peinlich zu sein. War das jetzt die Strafe für ihren gestrigen Überfall? Musste sie ihm die Wahrheit sagen? Was sie einmal begonnen hatte, würde sie wohl zu Ende bringen müssen. Warum musste sie auch auf jede seiner Fragen antworten? Könnte sie jetzt aufhören? Könnte sie eine plausible Lüge erfinden? Könnte sie jemanden anlügen, den sie mochte und den sie fast umgebracht hätte?

      „Sie hat Proben von ihren früheren Lovern.“, flüsterte sie. Eine Weile starrte er sie ungläubig an, dann fing er an zu begreifen. Dann fing er an zu lachen. Und hörte lange nicht wieder auf. Die Ameise ergriff die Flucht. Ein paar Minuten später wischte er sich die Tränen aus dem Gesicht und fragte, nach Atem ringend:

      „Du willst sagen, du hast eine Spermaprobe eines der Lover deiner Mutter …?“

      „Ja.“ Da die Ameise weg war, wurde ein Brötchenkrümel interessant. Er gab einen eigenartigen Laut von sich.

      „Ich sag doch, dass ihr irre seid.“ Statt erneut ein Messer zu ergreifen und es ihm in den Leib zu rammen, fiel Holly erleichtert in sein Lachen ein.

      8.

      „Wie ist er so?“, fragte Stefania, als Holly sie über ihre Rückkehr mit ihm in Kenntnis setzte.

      Sie war überrascht gewesen, als er am Ende ihrer Vorstellung ihrer Familie verkündete, dass er sie begleiten wollte. Sehr überrascht, denn ihren Anschlag hatte sie, im Gegensatz zu ihm, noch immer nicht vergessen, und da war ja noch die Theorie von Dick. Überrascht, geschmeichelt war sie gewesen, aber sie hatte sich insgeheim gefreut, hoffte, dass sie sich näher kommen könnten, sie und dieser geheimnisvolle Mann.

      Er ist ein wenig wie du, dachte Holly, sagte aber: „Er ist nett; vielleicht ein wenig steif, aber nett. Er hat viel gelesen, das wird dich freuen, du liest doch auch so viel.“ Und verdammt schnell für eine Fünfjährige, dachte sie.

      „Ist er lustig?“ Holly überlegte.

      „Er kann ernst, aber auch lustig sein.“, antwortete Holly unsicher und dachte an sein Amusement von heute Morgen.

      „Ich glaube, er hat ein Geheimnis.“, flötete die Kleine. Wie kam sie darauf? Fängst du auch schon an wie Dick, dachte ihre Mutter.

      „Du kennst ihn doch gar nicht.“, wies ihre Mutter sie zurecht.

      „Ich werde ihn kennenlernen.“, hielt ihre Tochter dagegen.

      „Ja, das wirst du.“, gab ihre Mutter zu.

      Holly lächelte stolz, als sie das Gespräch beendete. Jedes andere Kind in diesem Alter hätte danach gefragt, ob der in Aussicht gestellte Gast ein Geschenk mitbringt, ob er reich sei. Nicht so ihre Tochter; für Stefania waren andere Dinge wichtig, wie zum Beispiel die Persönlichkeit und der Charakter, nicht die Körpergröße oder die Marke seines Autos.

      Über Madeira fragte er Holly, wie beiläufig: „Wisst ihr eigentlich, wie es Tom und Sarah ergangen ist?“ Er sah sie gebannt an. Seit Stunden schon hatte sie das Gefühl, dass ihn etwas umtrieb, und nun glaubte sie, dass es diese Frage gewesen sein könnte. Wieso er so ein großes Interesse an den Personen hatte, die am Anfang ihrer Familiengeschichte standen, konnte sie jedoch nicht ermessen.

      „Sie sind mit diesen Franzosen, bei denen sie lebten, nach Kanada gegangen und dort wohl auch gestorben; ihre Kinder gingen dann wieder zurück


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