Das Blut des Sichellands. Christine Boy
weiß vor allem, dass er unter großem Druck steht. Er denkt, nur weil ich ein Cas bin, würde ich dasselbe von ihm erwarten. Natürlich, wenn er wirklich schon zum Säbelmeister geweiht wird, hat er sehr gute Chancen, eines Tages in die oberste Riege aufzusteigen, das weiß ich wohl. Und er auch. Und ich würde natürlich vor Stolz platzen. Aber ich werde immer stolz auf ihn sein. Selbst wenn er am Ende nur ein Turmposten in Askaryan wird.“
Der Shaj lachte.
„Das wird er sicher nicht. Sogar Haz und Faragyl reden davon, dass er ganz nach dir schlägt. Ich wünschte...“ Plötzlich wirkte er traurig. „...ich wünschte, ich könnte das auch behaupten.“
Beleb klopfte ihm auf die Schulter.
„Saton, mal ganz ehrlich. Niemand in diesem Land hat mehr Grund, stolz auf sein Kind zu sein, als du. Sieh sie dir an. Sie sieht aus wie ihre Mutter. Sie kämpft wie ihr Vater. Und sie trägt das Blut eines Gottes in sich. Das Volk verehrt sie jetzt schon.“
„Mehr als ihr gut tut. Weißt du, vergangenen Sommer hatte ich einmal ein Gespräch mit Wandan. Er meinte damals, sie wäre vielleicht nicht glücklich und ihr Leben sei auch nicht dazu bestimmt, glücklich zu sein. Vielleicht hatte er recht. Oh ja, ich bin stolz auf sie. Sehr sogar. Aber ich glaube nicht, dass sie so ist wie ich. Balman ist dein Sohn, Beleb, und jeder erkennt das. Er ist freundlich, charakterstark und geduldig. So wie du. Aber Lenyca hat sehr wenig von mir, fürchte ich. Und noch weniger von ihrer Mutter. Ich würde mir nie eine andere Tochter wünschen. Niemals. Aber ich frage mich manchmal, warum es so ist. Und ob es meine Schuld ist.“
„Ganz sicher nicht. Aber ich fürchte, ich bin für derartige Fragen der falsche Gesprächspartner. Wandan kann sicher...“
„Es ist der Hauptgrund, warum ich Wandan hergebeten habe. Ich will, dass er mich auf dem Laufenden hält. Und ich gebe zu, dass ich etwas eifersüchtig auf ihn bin. Er wacht über ihre Ausbildung und über ihre erste Zeit in den Kasernen. Ich sollte das tun. Ich. Ihr Vater. Ich sollte an ihrem Leben teilhaben. Aber ich kann es nicht. Einer meiner Diener teilt ihren Alltag, Wandan die Zeit ihrer Ausbildung. Ebenso ihre Lehrer. Und ihre Freizeit verbringt sie nicht etwa mit engen Freunden, sondern mit dem Säbel. Ich wünschte, ich wäre mehr in ihrer Nähe, würde mehr über sie erfahren. Sie besser kennen. Ich beneide dich, Beleb.“
„Das kann ich verstehen. Und sei mir nicht böse, wenn ich dir dieses Kompliment – und es ist eines – nicht zurückgeben kann. Ich beneide dich nicht. Nicht um deinen Rang, nicht um dein Blut und nicht um dein Leben. Höchstens um deine Tochter.“
Er erntete einen misstrauischen Blick. „Versuchst du mir gerade, Balman als passenden Partner für Lennys unterzuschieben?“
„Ash-Zaharr bewahre mich davor! So naiv bin ich nicht, Saton, das weißt du. Und wir – Balman und ich – streben auch nicht danach, auf diese Art dem Thron nahe zu kommen.“ Es klang fast ein wenig beleidigt.
„So habe ich das auch nicht gemeint. Ich könnte wohl ruhiger schlafen, wenn Lenyca anfangen würde, sich für Balman oder einen anderen ehrbaren jungen Mann zu interessieren. Aber das tut sie nicht. Zumindest nicht ernsthaft. Früher dachte ich, Rahor Req-Nuur würde sie reizen, aber seit dieser heimlichen Feier hat sie sich von ihm ferngehalten.“
„Was alle sehr bedauern.“ bestätigte Beleb. „Er kämpft die halbe Kaserne in Grund und Boden. Ich gebe es ungern zu, aber selbst Balman hätte wohl im direkten Vergleich keine Chance gegen ihn.“
„Rahors Zeit wird kommen. Ich beobachte diejenigen, die vielleicht eines Tages meine Tochter beschützen sollen, sehr genau. Und Rahor Req-Nuur wird dazugehören. Das beruhigt mich etwas. Trotzdem gibt es Dinge, vor denen niemand sie bewahren kann.“
„Sie hat das doch recht gut verkraftet, oder irre ich mich? Denk doch nur daran, wie jung sie war. Hast du je ein Wort der Klage gehört?“ Beleb warf Saton einen fragenden Blick zu. „Sie hat es akzeptiert, dass Ash-Zaharr ein Teil von ihr ist. Und sie bewahrt das Geheimnis weit besser als es von einem Mädchen in diesem Alter zu erwarten ist.“
Saton sagte nichts. Natürlich hatte Beleb recht. Aber der Cas kannte nur einen Teil der Wahrheit und Lennys ging es nicht anders. Zumindest bis jetzt. Der Zeitpunkt, an dem sie auch den Rest erfahren sollte, ließ sich nicht mehr lange hinauszögern.
Als Wandan am Verladeplatz der Schiffe ankam, war es schon fast dunkel geworden und Saton hatte die Eingangsbahnen des Zelts weit aufschlagen lassen, um die Abendluft zu genießen.
Der Shaj saß bei einem Becher Sijak auf seinem breiten Lehnstuhl und ließ den kühlen Wind über sein Gesicht streichen, als ein Diener den hohen Krieger meldete.
„Wandan... endlich! Was hat dich aufgehalten?“
Der Cas reckte seine Glieder, die von dem langen Ritt steif geworden waren.
„Ein Pferd ist durchgegangen, direkt bei den Ställen. Keines von unseren, sondern ein Hengst aus der Säbelklasse, aber er hat auch bei den Mondpferden für Aufregung gesorgt. Ist aber alles gut gegangen. Ist Beleb schon weg? Ich wollte ihm nämlich sagen, dass Balman ein wirklich gutes Händchen für die Tiere hat. Mir blieb da nicht viel zu tun.“
„Wenn du so wenig zu tun hattest, warum hast du mich dann trotzdem warten lassen? War es dir wichtiger, den Sohn eines Freundes zu beobachten?“
Wandan stutzte. Es kam äußerst selten vor, dass Saton ihn tadelte oder derart ungehalten mit ihm sprach.
„Das war es natürlich nicht. Ich bin sofort losgeritten, nachdem im Stall wieder alles in Ordnung war.“
„Und ohne dich wären sie nicht zurechtgekommen?“
„Doch, das wären sie. Aber ich kann ja nicht einfach so tun, als ginge mich das nichts an.“
„Ich wollte, dass du sofort nach dem Tagesunterricht hierher kommst!“
„Was ist eigentlich los mit dir? Wirst du angegriffen? Ist das Silber in Gefahr? Es ist nicht meine Schuld, dass du heute nicht in den Kasernen sein konntest. Aber wenn es dir so zu schaffen macht, dann bleibe ich eben hier und übernehme die Geschäfte und du kannst nach Semon-Sey zurückreiten.“
„Willst du mir sagen, was ich zu tun habe?“
Wandan schluckte die Bemerkung hinunter, die ihm auf der Zunge lag. Wenn Saton derart schlechte Laune hatte, war es besser, ihn nicht noch weiter zu reizen. Er beschloss, das Ganze auf sich beruhen zu lassen und dem Shaj die Gelegenheit zu geben, sich zu fangen.
„Dann sag schon, was dort vor sich geht.“ knurrte Saton nach einer Weile. „Wie schlägt sie sich?“
„Hervorragend.“ lächelte Wandan. „Es war auch nicht anders zu erwarten. Wir müssen aufpassen, dass sie nicht ihre eigenen Ausbilder deklassiert. Und lange wird das wohl nicht mehr dauern. Lennys könnte es derzeit problemlos mit Rahors Jahrgang aufnehmen. Bohain hat bereits vorgeschlagen, dass sie zum Herbst hinaufgestuft wird. Wir sollten die Entscheidung nicht sofort fällen, aber vielleicht hat er recht.“
„Ihr Talent stelle ich nicht in Frage.“
„Sie hat sich sehr verändert in den letzten Monaten. Das ist uns doch beiden schon aufgefallen. Ich habe natürlich den Verdacht, dass sie weiterhin mehr oder weniger tut, was sie will, aber sie weiß es besser zu verbergen. Und sie distanziert sich von allen. Auch von mir, wie ich leider zugeben muss.“
„Vielleicht wird sie einfach erwachsen.“ In Satons Worten schwang Bedauern mit. „Wenn sie überhaupt jemals ein Kind war. Aber ich bin sehr zufrieden mit ihrer Entwicklung. Es ist langsam an der Zeit, den nächsten Schritt zu gehen.“
„Den nächsten Schritt?“
„Ich werde sie wohl bald mit ins Heiligtum nehmen. Und dann gibt es da noch einige Dinge, von denen selbst du nichts weißt, Wandan. Aber ich will nicht weiter davon reden. Sag mir, hat sie schon Freunde gefunden?“
„Freunde?“ Wandan lachte. „Ich glaube, bis Lennys so etwas wie Freundschaft empfindet, kann noch sehr viel Zeit vergehen. Es gibt einige Säbelschüler,