Das Blut des Sichellands. Christine Boy

Das Blut des Sichellands - Christine Boy


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      „Ich weiß. Und er ist bereits für den Dienst in Vas-Zarac vorgesehen. Und er ist ein ausgezeichneter Kämpfer. Ich beabsichtige, Akosh noch vor dem nächsten Winter zu weihen. Zawas Gesundheit verlangt nach ruhigeren Zeiten und ich könnte mir kaum einen besseren Nachfolger vorstellen. Aber wir sind nicht hier, um über Akosh zu reden. Auch wenn ich es gutheiße, dass Lennys sich mit ihm versteht.“

      „Ich habe gehört, dass sie ein paar abfällige Bemerkungen über diesen jungen Iandal gemacht hat. Sie hält ihn für ein Großmaul.“

      „Iandal ist sehr ehrgeizig. Wir sollten ihn im Auge behalten. Die derzeitigen Jahrgänge sind ausgesprochen vielversprechend. Und der Kreis meiner Erwählten bröckelt, viele Cas sind inzwischen zu alt für große Kämpfe. Natürlich machen sich zahlreiche Sichelkrieger große Hoffnung auf eine Erhebung, aber ich schätze es, junges Blut um mich zu sammeln. Zusammen mit der Erfahrung von Cala, Beleb und dir würden sie einen sehr schlagfertigen Ring um mich bilden.“

      „Also viele Veränderungen in den nächsten Jahren?“

      „Ich fürchte ja. Und so wie es aussieht, werde ich einen Platz ohnehin freihalten müssen.“

      Wandans Grinsen wurde noch breiter. „Lennys' Weg ist vorgezeichnet. Sie wird eine große Cas.“

      „Das werden wir sehen. Sie darf keine Vorteile haben, nur weil sie meine Tochter ist."

      In der Kaserne von Semon-Sey herrschte große Aufregung. Im Grunde genommen war es schon seit Wochen nicht mehr so ruhig wie sonst, aber in diesen Tagen wirkten selbst die ausgeglichensten Schüler aufgekratzt und nervös.

      „Iovas! Dway! Ruhe jetzt! Was ist das für ein Benehmen?“ Der alte Säbelmeister Bohain wurde zunehmend ärgerlicher. „Was gibt es bei euch zu tuscheln?“

      Verlegen sah die braunhaarige Dway zu Boden, doch Iovas meldete sich sofort zu Wort.

      „Hoher Bohain, es ist wegen des Besuchs des Shajs. Wir fragen uns, ob er alle Säbelklassen begrüßen wird oder nur...“

      Bohain verdrehte die Augen.

      „Ist das eure größte Sorge? Es ist nicht das erste Mal, dass der Shaj der Nacht die Kasernen besucht. Im Gegenteil, normalerweise tut er das regelmäßig. Nur die derzeitigen Ereignisse an der Küste halten ihn davon ab. Die höheren Klassen sind längst an ihn gewöhnt. Ich weiß wirklich nicht, warum euch Satons Anwesenheit so in Aufregung versetzt.“

      „Vielleicht will er neue Cas auswählen!“ platzte Iovas heraus.

      „Dann gehörst du sicher dazu...“ zischte jemand von hinten ironisch und alle lachten. Iovas verzog das Gesicht, doch angesichts des strengen Blicks, den er von Bohain erntete, verzichtete er auf eine weitere Antwort.

      „Der Shaj...“ begann der Ausbilder mit gewichtiger Stimme, „...ist natürlich immer bestrebt, die Erfolge unserer Zöglinge zu bewundern und herausragende Talente zu entdecken. Dennoch sollten wir nicht vergessen, dass sein Hauptinteresse vermutlich seiner Tochter gilt. Die ehrenwerte Herrin Lenyca unterzieht sich ebenso wie ihr alle dieser Ausbildung und natürlich wünscht der Shaj, sich selbst ein Bild davon zu machen.“

      Wieder wollten einige Schüler eine Bemerkung wagen, doch Bohain winkte ab. Er wollte nicht, dass sein Unterricht weiter gestört wurde und vor allen Dingen musste er darauf achten, dass Lenyca Ac-Sarr nicht allzu sehr in den Mittelpunkt des allgemeinen Interesses gerückt wurde. Darum hatte ihn der Shaj ausdrücklich gebeten.

      Nachdenklich betrachtete er die Gruppe, die erwartungsvoll auf die nächste Lektion wartete. Es war die Vorbereitungsklasse zur ersten Säulenprüfung und die meisten waren im Alter zwischen sechzehn und siebzehn Jahren. Noch drei Sommer mussten vergehen, bevor sie endgültig ihre Ausbildung abschließen konnten. In der hintersten Reihe verbarg sich der junge Mann, der eben noch spöttisch über Iovas geurteilt hatte und zugleich Bohains heimliche Hoffnung war. Der Beste des Jahrgangs. Fast so gut wie Rahor, obwohl dieser jünger war. Wenn man von dem einzigen Sohn der Req-Nuurs und Lennys einmal absah, war dies der vielleicht aussichtsreichste Kämpfer in den Kasernen. Er würde mit Saton über dieses Talent reden müssen, auch wenn der Shaj zur Zeit für derlei Berichte kaum ein Ohr hatte. Doch schon in wenigen Wochen standen die ersten Prüfungen an und dann würden sich die Säbelklassen neu formieren – weniger ihrem Alter, aber umso mehr ihrem Können entsprechend.

      Ein breitschultriger Mann kam über den Platz geeilt. Bohain erkannte ihn sofort und er ahnte auch den Grund für diese weitere Unterbrechung der Lehrstunde.

      „Ich grüße dich, Wandan..“

      „Und ich dich, Bohain. Du kannst sie für heute in ihre Zimmer schicken. Wir erwarten dich im Kasernensaal, um Saton zu begrüßen.“

      „Alle?“

      „Ja, alle. Kannst du mir sagen, wo ich Tinogal finde?“

      „Vermutlich im Waffenkeller. Ich kann ihm Bescheid geben. Ist das nicht alles ein wenig übertrieben? Seit wann legt Saton Wert auf einen großen Empfang?“

      Wandans Blick wurde ernst.

      „Es geht heute nicht nur um Lennys. Er hat euch eine wichtige Mitteilung zu machen und es wäre besser, wenn du ihn nicht warten lässt. Hole Tinogal und dann beeilt euch.“

      Die Säbelmeister der Kasernen, die Sichelausbilder und mit ihnen alle höheren Krieger hatten sich im Großen Saal des Komplexes versammelt und warteten gespannt auf das Wort Satons, das ihnen angekündigt worden war. Der Shaj hatte sie alle persönlich begrüßt und dabei einen recht zufriedenen, wenn auch etwas angespannten Eindruck gemacht.

      „Ich will euch nicht lange von eurer Arbeit abhalten.“ fing Saton an und strahlte selbst bei diesen einfachen Worten eine spürbare Würde aus. „Zunächst möchte ich allen, die hier stehen, meinen Dank aussprechen. Ich glaube kaum, dass die Qualität der Krieger, die hier ausgebildet werden, jemals so hoch war wie in den letzten Jahren. Die Absolventen sind diszipliniert, verfügen über eine bemerkenswerte Kampfkraft und sind in jeder Hinsicht ein Vorbild für das ganze Land. Das verdanken sie allein euch. Aber heute bin ich auch aus anderen Gründen gekommen.“ Er räusperte sich und hob seine Stimme etwas, um dem, was nun folgte, noch mehr Nachdruck zu verleihen. „In wenigen Tagen werden die ersten Schiffe gen Süden ablegen und die nächsten Wochen und Monate sind bedeutsam für ganz Cycalas. Noch nie haben sich die Sichelländer so nah an die Fremdvölker gewagt. Noch nie haben wir unser Reich verlassen, um uns an einem anderen Ort niederzulassen. Und deshalb – das muss uns allen klar sein – war auch die Gefahr für uns nie größer. Vielleicht wird es gar nicht zu einem Kontakt mit den Menschen im Süden kommen, aber vielleicht doch. Und dann müssen wir darauf vorbereitet sein – im Guten wie im Schlechten. Deshalb spreche ich zu euch. Schärft eure Sinne. Schult eure Zöglinge. Die Hantua sind ein alter, uns lange bekannter Feind, die Shangu haben wir nicht zu fürchten. Was aber südlich der großen Berge lauert, müssen wir erst noch kennenlernen und wir müssen stets in der Lage sein, sie zurückzuschlagen, falls sie eine Gefahr darstellen sollten. Sehr bald schon werden unsere Spione und Kundschafter mehr wissen und sie werden diese Informationen an euch weiterleiten. Unterschätzt die Fremdvölker nicht. Seid wachsam und bereit, euch einem Kampf zu stellen, der möglicherweise aus heiterem Himmel über euch hereinbricht!“

      Saton führte eine eindringliche Rede und mit jedem Wort wuchs der Stolz und der Ehrgeiz in den alten Kriegern und der Wunsch, diese Gefühle an ihre Schützlinge weiterzugeben.

      Dann entließ der Shaj die Ausbilder und blieb zusammen mit Wandan und Bohain zurück. Er wandte sich an den alten Säbelmeister.

      „Wo kann ich in Ruhe mit ihr sprechen?“ fragte er nur.

      „In meinem Arbeitszimmer.“ bot Bohain an und warf Wandan einen fragenden Blick zu. „Wenn ihr bei diesem Treffen zugegen sein möchtet, lasse ich noch einen weiteren Stuhl bringen.“

      Doch Wandan schüttelte den Kopf.

      „Nein, ich werde inzwischen die Sichelklasse inspizieren. Der hohe Shaj wird seine Tochter unter vier Augen empfangen.“

      Bohain


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