Das schmale Fenster. Friedrich Haugg

Das schmale Fenster - Friedrich Haugg


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lachte Sean. „Jetzt heißt es Abschied nehmen vom besinnlichen Kuscheldasein.“

      Er hatte recht. Darüber hatte er noch gar nicht nachgedacht. Er war ein Vollblutentwickler, introvertiert und lieber alleine. Alles würde sich ändern. Ein Termin den anderen jagen, Reisen in Fülle und an die exotischsten Orte, Komfort bis zum Abwinken. Er würde fachlich stehen bleiben und nach einigen Jahren nicht mehr mitkommen. Warum nur machten sie immer wieder den Fehler des Peter's Prinzips: Menschen solange befördern, bis sie die Stufe der Inkompetenz erreicht hatten. Er war doch von Natur aus kein Manager.

      Sean spürte seine Bedenken. „Kopf hoch, alter Junge. Das geht jedem erst einmal so. Aber denk' dran, was du alles bewirken kannst. Vorstand ist Macht und die kannst du zum Guten nutzen.“ Instinktiv hatte er den einzigen Punkt erwischt, der auf Martin einen Reiz ausüben konnte. Er war zwar kein Machtmensch, aber er hatte Überzeugungen, die er in so einer Position leichter durchsetzen konnte. Das war tatsächlich interessant und schon fühlte er sich besser. Nicht schlecht, Sean. Du bist ein guter Psychologe. Hoffentlich hast du nicht gelogen. Aber auch dann würde er einen Weg finden können – als Vorstand sollte das kein Problem sein.

      „Ich werde mich wohl positiv entscheiden. Ist ja auch alternativlos.“ Sean breitete die Arme aus und grinste geradezu unverschämt.

      “Und jetzt müssen wir den Verwaltungsrat nur noch dazu kriegen, uns eine vernünftige Bonusregelung anzubieten und nicht nur ein weihnachtliches Almosen. Alle großen Unternehmen machen das inzwischen so. Dann werden wir durch dein NeuroX beide stinkreich und können uns alles kaufen“, träumte Sean glückselig vor sich hin. Martin reizte diese Aussicht nicht besonders.Viele Stellen auf seinem Konto vor dem Komma waren für ihn nichts weiter als vom Computer berechnete und angezeigte Abfolgen von Ziffern. Da er sich immer leisten konnte, was er wollte, nahm er die negative Entscheidung des Verwaltungsrats gelassen zur Kenntnis. Sean schäumte vor Wut.

      Drei

      Sein Leben war jetzt anders, völlig anders. Er war umgezogen ins Hochhaus, nicht in ein Büro, sondern in eine Suite im zehnten Stock mit Glaswänden und Blick auf den See wie vorher, nur etwas höher. Über ihm nur noch das Penthouse-Büro des Vorsitzenden. Er verdiente drei Mal mehr als vorher und verbrauchte halb so viel, weil er zum einen keine Zeit zum Geld ausgeben hatte und zum anderen mit fast allem kostenlos versorgt wurde. Er hatte zwei Sekretärinnen zugeteilt bekommen. Anfangs konnte er sie schwer unterscheiden, so perfekt gleich gestylt waren beide. Nicht nur äußerlich, auch ihr Gang und ihre dezente Stimmlage waren identisch. Ihnen gegenüber fühlte er sich klein und provinziell. Sie ließen sich nichts anmerken. Sie tuschelten nicht einmal. Zudem wusste er gar nicht, was er mit Ihnen anfangen sollte. Er konnte ja schlecht sagen, dass sie einmal aufräumen sollten oder die Ablage machen. So etwas funktionierte von selbst. Sie mussten denken, dass er nicht die geringste Eignung zum Chef hatte.

      Bald merkte er, wie es wirklich lief. Nicht er schaffte an, sondern sie bestimmten seinen Tag. Die eine führte unter anderem seinen Terminkalender und teilte ihm auf einem feinen Blättchen Papier jeden Morgen mit, wie sein Tag ablaufen würde. Ein langer Tag, minutiös, wörtlich genommen auf die Minute genau geplant. Sogar über das, was er früher ignorant als Freizeit betrachtete, wurde er eines Besseren belehrt. Die Mittagspause diente nur nebenbei dem Essen – es wurde in diesem Punkt akzeptiert, dass auch Vorstände menschliche Schwächen haben - und war integriert in ein übergeordnetes Programm, dessen Sinn er nicht durchschaute. Es bestand aus scheinbar willkürlich aneinandergereihten Terminen ohne erkennbaren Zusammenhang. Als er einmal probehalber anfragte, ob er einen Termin mit Frank haben könnte, war das Angebot ein viertelstündiges Gespräch in seinem Büro am Donnerstag um 17:45 Uhr, oder eine halbe Stunde am Montag nach dem Essen mit Vertretern der Stadt Luzern um 13:45 Uhr. Immerhin konnte er wählen.

      Als er vor der Innung der kantonalen chemischen Kleinbetriebe einen Vortrag halten musste und er keine Ahnung hatte, was er sagen sollte, legte ihm die Zweite den fertigen Sprechtext vor. Irgendwo verborgen im Hintergrund waren Redenschreiber. Er las und fand, er hätte es nicht besser machen können. Woher wussten die nur, was er sagen wollte, wo er es doch selbst nicht wusste? Dieses Rätsel wurde viel später gelöst, als er einen der Schreiberlinge auf dem Flur traf und darauf ansprach.

      „Wir lesen ihre bisherigen Vorträge und lernen ihren Duktus. Dann wird das mit der allgemeinen Firmenphilosophie abgeglichen und fertig. Die Länge des Vortrags wird auf Ihre Sprechgeschwindigkeit angepasst.“ Er war genauso schlau wie zuvor, aber sehr beeindruckt. Einmal hatten sie ihm sogar einen perfekten Vortrag in französisch gemacht. Von französisch konnte er nur leidlich die Aussprache, verstanden hatte er von seiner Rede nichts. Aber sie kam sehr gut an, es wurde sogar an den richtigen Stellen gelacht.

      Er bekam einen Porsche Panamera als Dienstwagen auch zur privaten Nutzung. Von seinem Subaru Justy wollte er sich aber nicht trennen. Als er ihn einmal benutzen musste, weil sich der Porsche im Schnee keinen Millimeter vor- oder rückwärts bewegte, sprang er zwar nach Monaten sofort an, aber er stellte fest, dass das wohnliche Ambiente im Porsche schon viel hübscher war. Auch von seinem Appartement trennte er sich nicht. Dort konnte er für wenige Augenblicke den alten Martin spielen. Neue Anzüge brauchte er sich auch nicht zu kaufen, das Grau blieb firmentauglich. Er bemerkte allerdings, dass manche Blicke der Etage leicht abfällig wirkten. Das lag wohl an der mangelnden Bekanntheit seiner Labels. Er tauschte Hemd und Krawatte gegen dunkle Rollkragenpullover oder Polohemden aus. Von da an galt er als interessanter Intellektueller und Querdenker, wie es in den zahlreichen Kreativitäts - Seminaren ja von jedem Mitarbeiter gefordert wurde.

      Nur über seine eigentliche Arbeit war er sich nicht im Klaren. In den Abteilungen lief es so wie immer, er konnte sich auch nicht erinnern, dass er damals der Hilfe des Entwicklungsvorstands bedurfte. Einmal im Jahr musste eine Strategie und die Planung gemacht werden. Die Strategie wurde in einer Strategie - Task Force erarbeitet und ihm vorgelegt, die Planung war sowieso Sache von Finanzen und Controlling, also von Sean. Er musste die fertigen Präsentationen (die B-Hörnchen in Auftrag gegeben hatte) in Vorstandssitzungen vortragen, die A-Hörnchen terminierte. Er hatte seine beiden Damen inzwischen so benannt, wohl wissend, dass das Bild sehr unpassend war und er es nie aussprechen durfte, wollte er eine massive Demotivation vermeiden.

      Es hätte schön sein können. Die durch das Nichtarbeiten entstandene freie Zeit hätte er wunderbar zu nutzen gewusst. Aber er hatte keine freie Zeit. A-Hörnchen sorgte mit Akribie dafür, dass sein Plan von Früh bis Abend lückenlos war. Und 'von Früh' hieß wirklich von Früh. Sein Kalender war im Regelfall nur leer von zehn Uhr abends bis Halb Acht Uhr morgens, außer es war eine besondere Lage, dann wurde die lange, freie Nachtzeit natürlich auch genutzt. Es war eine Marotte von Maurus, dass Führungskräfte an jedem Tag mit die ersten im Büro zu sein haben. Früher stand er nicht so im Fokus des hohen Herren und Sean hatte auch nie gepetzt. Was seinen morgendlichen Geisteszustand betraf, war der frühe Beginn aber nicht problematisch. Für die frühen Besprechungen hatte er ein weiteres Standardgesicht eingeübt: Es wirkte auf die Anderen wach, interessiert und hoch konzentriert. Nützliches beitragen musste er ohnehin nicht.

      Am Schlimmsten war für ihn, den leidenschaftlichen Hasser des Small Talk, dass seine sogenannte Arbeit fast ausschließlich aus meetings bestand. Als er A-Hörnchen einmal sagte, er bräuchte auch mal eine stille Stunde im Büro, meinte sie nur, das wäre schwierig und üblicherweise würde man dazu die Freizeit nutzen. Das brachte ihn dazu, einmal für sich zu analysieren, wie meetings abliefen und wie groß der Anteil an produktiver Leistung wäre. Er kam zu dem Schluss, dass die Treffen fast ausschließlich zwei Aspekten dienten: Zum einen die verschiedenen Teammitglieder sozial verträglich aneinander anzupassen und zum anderen eine Plattform zu bieten, die gegnerischen Schwächen herauszufinden für die internen Machtkämpfe. Diese Erkenntnis war frustrierend für Martin. Er hatte sich selbst desillusioniert und fragte sich immer häufiger, wieso man ihn ausgesucht hatte, wo er doch an diesem Spiel gar nie teilgenommen hatte. Auch dafür hatte er als Naturwissenschaftler eine plausible Erklärung. Die heimlichen Machtblöcke waren wohl gerade im kräftemäßigen Patt gewesen, keiner konnte seinen Kandidaten gegen den anderen durchsetzen und so kam es zum Kompromiss, denjenigen zu nehmen, der frei vom Verdacht stand, einem der Blöcke nahe zu stehen. Auch in der Politik kam es manchmal auf diese skurrile Weise zu wirklich guten Personalentscheidungen.


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