Das schmale Fenster. Friedrich Haugg

Das schmale Fenster - Friedrich Haugg


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Fachgruppe zukünftige Psychopharmaka in St. Tropez.“ Er wusste es nicht, weil er sich auf A-Hörnchen verließ. Aber St. Tropez war toll, nirgendwo lebte aberwitzig reich und völlig normal so im Einklang nebeneinander. Er erinnerte sich mit großem Behagen an seine Urlaube in St. Tropez. Die Stimme riss ihn aus den wonnigen Gedanken.

      „Unsere Citation ist unterwegs und die Flüge von Zürich und Bern sind komplett ausgebucht. Bitte helfen sie mir. Sie haben doch ein Flugzeug?“ Ja, aber das ist nur ganz klein.

      „Ja, das ist richtig.“

      „Können sie Herrn Maurus mitnehmen?“ Wie bitte, was war das denn?

      „Ja natürlich.“ Es war doch auch völlig normal, dass ein Vorstand seinen Vorsitzenden in einer alten Pilatus Porter nach St. Tropez flog.

      Er ergänzte:“Es ist aber nur ein sehr kleines Flugzeug.“

      „Wir melden uns wieder. Danke Herr Dr. Hohenstein.“

      Er schüttelte den Kopf und konnte das alles nicht ganz für bare Münze nehmen. Aber die Maschinerie funktionierte, merkwürdig zwar, aber präzise. Nach zwanzig Minuten klingelte es erneut.

      „Sie starten um 17 Uhr 30 von Buochs und werden von einem Wagen um 16 Uhr vor dem Firmengebäude abgeholt. Nochmals vielen Dank. Das wäre für uns beinahe schief gegangen.“ Der letzte Satz war das einzig Persönliche und nicht der Sache dienliche.

      Die meinten das Ernst. Blitzartig schaltete sein Gehirn auf nüchternes Planen. Erst den Tower anrufen, um den Flug anzumelden. Dann Urs fragen, ob er alles herrichten kann und vor allem, ob die Kiste noch funktioniert. Dann musste er auch noch packen.

      „Packen können Sie zu Hause, der Wagen wird dort halten und auf Sie warten.“ Das war A-Hörnchen. Sie konnte Gedanken lesen. Nun der Tower.

      „Hallo, Martin auch mal wieder im Lande?“

      „Du musst mir einen Gefallen tun. Ich muss nach St. Tropez und....“

      „Ist alles erledigt. Start um 1730, Ankunft in Nizza - Cote d'Azur um 1940. Das Wetter ist überall ruhig und wolkenlos. Die Route haben wir Urs schon mitgeteilt. Er macht alles klar. Guten Flug.“ Martin blieb der Mund offen.

      Die Limousine mit einem anonym höflichen Fahrer in Uniform bewegte ihn zu seinem Appartement. Er packte eine kleine Reisetasche mit dem Nötigsten für eine Übernachtung und weiter ging's zum Flugplatz. Urs stand schon da, seine PC6 war auch schon lebendig und wartete mit offenem Cockpit und angenehm angewärmt auf seine hohen Gäste.

      „Irgendwie ist alles anders, Urs, oder?“

      „Man tut, was man kann, Martin. Ich habe alles gecheckt, die Route ist im GPS, fliegen musst du allerdings alleine. Das nimmt dir diese Kiste nicht ab.“ Jetzt sagte er auch schon 'Kiste'.

      Ein schwarzer Rolls fuhr vor. Die Türe wurde vom Fahrer geöffnet und heraus trat Maurus und trug selbst ein kleines Rollköfferchen. Martin fand die Situation immer unwirklicher.

      „Guten Tag, Herr Dr. Hohenstein. Können wir?“

      „Guten Tag Herr Maurus. Es ist alles bereit, wenn Sie genügend Mut haben.“ Er kannte ihn nicht gut genug, um wirklich zu scherzen.

      „Na ja, man hat mir gesagt, dass sie das ganz gut können und ihr Gerät ein Rettungsflugzeug ist, Was soll da schiefgehen?“

      Der Platz neben Martin war nicht vorstandsfest und die zweite Steuersäule würde Maurus ein wenig im Weg stehen. Aber es war ja sein eigener Wunsch gewesen. Sie verstauten die kleinen Gepäckstücke hinter den Sitzen. Die üblichen weiteren Sitze hatte Martin nie eingebaut. Maurus war schweigsam. Er realisierte wohl jetzt erst, auf was er sich da eingelassen hatte.

      „Keine Sorge,“ beruhigte ihn Martin. „Sie ist sehr zuverlässig. Genießen sie einfach die etwas andere Art zu reisen.

      „Sie werden aber Nizza schon finden, oder? Es wird ja schon dunkel.“ Ohne GPS eine sehr berechtigte Frage und Martin war zum ersten Mal sehr froh, dass es diese Technik gab.

      „Wir haben hier zwar keinen Autopilot, aber ein Navigationssystem, wie sie es vom Auto kennen. Da können wir nichts falsch machen. Außerdem ist es einfacher, weil wir keine Straßen brauchen. Sie können alles auf diesem Bildschirm verfolgen.“

      „Ich lasse mich gerne positiv überraschen.“ Dann war er wieder ruhig.

      Der Tower gab den Start frei. Die Piste war länger und viele Unebenheiten beseitigt geworden. Aber das brauchte die PC6 gar nicht. Sie hoben schon nach 200 Metern ab und Maurus war noch ein bisschen stiller. In einer weiten Rechtskurve stiegen sie auf 9500 Fuß, ihre vorgeschriebene Flughöhe und nahmen Kurs nach Südsüdwest Richtung Meer.

      Der Schnee unter ihnen schien bläulich-weiß, unterbrochen von pechschwarzen, kantigen Flecken und verstreuten gelben Lichtern in den dunklen Tälern. Der eben aufgegangene Mond beschien eine Szenerie, die so ganz anders war als ihr Alltag. Über ihnen sahen sie am stahlblauen Himmel die ersten Sterne aufleuchten. Es schüttelte nur hier und da ein klein wenig. Die Turbulenzen waren gerade dabei der nächtlichen Kühle zu weichen. Eine halbe Stunde war wortlos vergangen. Es schien Martin, also ob Maurus' Gesicht jetzt wieder ein bisschen besser durchblutet war. Auch seine Körperhaltung wirkte entspannter, so weit das bei diesen Sitzen möglich war. Eine perfekte Situation, um vom Vorstandsvorsitzenden alles zu erreichen, was man wollte. Wann sonst würde man mit ihm alleine so lange zusammen und er so ausgeliefert sein. Nur, Martin wollte gar nichts erreichen.

      „Wir sind sehr froh. Herr Dr. Hohenstein, dass wir sie gewinnen konnten.“ An diese Art der Betrachtung der Dinge gewöhnte Martin sich langsam.

      „Wer war denn noch in der engeren Wahl?“ Sehr mutig, weil ein echter Schweizer so eine Frage nie direkt stellen würde. Er würde zum Beispiel eher sein Bedauern ausdrücken, dass andere nicht zum Zuge gekommen seien.

      „Das waren zwei, nicht aus der Firma, wie sie wissen. Ein Amerikaner, der in Cambridge studiert hat und der von der UBS empfohlen wurde und ein Engländer, ein Chemiker, der ausgezeichnete Arbeit in der Produktion bei Aventis in Shanghai geleistet hat. Der Verwaltungsrat André Munzer, sie kennen ihn vom letzten Empfang, hat ihn ins Spiel gebracht.“ Also hatte er recht gehabt, sie konnten sich nicht einigen.

      „Wissen Sie, Herr Hohenstein, heute geschieht alles über Netzwerke. Wie gut sind Sie eigentlich vernetzt? Man trifft sie nicht sehr oft.“ Agathe und Miriam würden ihm genügen, dachte Martin. Eine Katze zählte aber wohl nicht. Dabei fiel ihm auf, dass er bisher das gute Netzwerk von Miriam schamlos benutzt hatte, so dass er sich nie veranlasst gefühlt hatte, etwas Eigenes aufzubauen. Der Gedanke an Miriam gab ihm einen Stich. Er hatte sie schutzlos Frank ausgeliefert und sich nicht mehr um sie gekümmert.

      „Melden Sie sich doch beim Luzerner Country Club an. Ich werde sie empfehlen.“

      „Oh, vielen Dank, das ist sehr nett von Ihnen.“ Martin war begeistert. Golf spielen fand er sehr erstrebenswert. In wichtiger Gesellschaft kleine weiße Bälle in weit entfernte Löcher zu schubsen und dabei eine bedeutende Miene aufzusetzen, war immer schon sein Traum. Dass er 'nett' gesagt hatte, bereitete ihm innerliches Vergnügen. Maurus musste denken, dass er komplett naiv war. Ganz offensichtlich hatte Maurus gegen seine Widersacher gewonnen und Martin durchgesetzt. Jetzt musste Dr. Martin Hohenstein auch ein Erfolg werden und war damit Maurus' Schützling. Grundsätzlich nicht schlecht, dachte Martin. Nur wusste er nicht genau, ob zwischen Schützling und Leibeigener ein großer Unterschied bestand.

      „Sehen Sie mal die Sterne! Ist Ihnen bekannt, dass sie auch völlig verschiedene Zeiten sehen, nicht nur den Raum.“

      „Was meinen Sie? Ja, ist wirklich wunderschön heute Nacht. Wissen Sie, im Country Club können sie Golf spielen und lernen auch einmal neue Leute kennen.“

      „Das wollte ich immer schon gerne machen. Ich bin nur nie dazu gekommen.“ Zwar gelogen, sich aber als fleißiger Mitarbeiter dargestellt. Martin fand sich ganz gut.

      „Sie müssen sich in Zukunft aufs Wesentliche konzentrieren.“

      Martin


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