Das schmale Fenster. Friedrich Haugg

Das schmale Fenster - Friedrich Haugg


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sich ein Bild von solcher Schönheit, dass es ihm schon fast peinlich war, wie sehr es ihn berührte. Ich kann eigentlich ganz zufrieden sein, dachte er und bemerkte gar nicht, wie die äußere Schönheit und Stille Einfluss auf sein Denken nahmen. Ich habe einen wunderbaren Job, NeuroX' Gewinne steigen stetig, steil und anscheinend unaufhaltsam, meine Wohnung ist für mich ideal und ich habe keine materiellen Sorgen. Und dass Agathe ihn jetzt regelmäßig besuchte, ja beinahe bei ihm wohnte, war eine wunderbare Sache. Sie konnte kommen und gehen, wann sie wollte und tat das auch. Genau das war für ihn die richtige Beziehung. Wenn sie da war, trug sie erheblich zur Gemütlichkeit bei und wenn sie weg war, freute er sich auf ihr baldiges Kommen.

      In der Delikatessenabteilung von Globus kaufte er verschiedene Sorten von feinem Fisch, schon fertig zubereitet. Durch die Anwesenheit von Agathe konnte er es sich, was das Essen betraf, nicht mehr so leicht machen. Sie war deutlich anspruchsvoller als er. Als er endlich nach Hause kam, wurde er bereits erwartet. Sie saß auf dem Sofa und sah ihn mit ihren klaren Bernsteinaugen erwartungsvoll an. Als er gerade für sie beide zwei Teller mit den Köstlichkeiten dekoriert hatte, läutete es. „Hallo Agathe, hallo Martin“, sagte Miriam und setzte sich dazu. Agathe war es gleich. Eifersucht war ihr fremd, wenn das Essen stimmte.

      Miriam besuchte ihn sehr selten, also gab es einen Grund. Er teilte seinen Teller mit ihr und holte eine Flasche Fendant hervor. Zur Feier des Tages. Agathe war fertig, setzte sich neben sie und lauschte.

      „Ich muss dir noch etwas sagen.“ Aha.

      „?“

      „Am Freitag, als du in Basel warst, ist uns ein USB-Stick abhanden gekommen. Wir haben zwei Stunden gesucht, aber nichts gefunden.“

      „Was war drauf und wer hat gesucht?“

      „Was drauf war, weiß ich nicht so genau, aber es war der Stick mit dem du auch Sicherheitskopien gemacht hast.“

      Martin vertraute nämlich nie den zweifellos umfangreichen Sicherungs - und Back up - Aktivitäten der IT-Abteilung. Am liebsten hätte er alles auf Papier ausgedruckt. Ohne seine private Sicherung wenigstens auf dem Stick, fühlte er sich nicht wohl. Es wurde nicht gerne gesehen, weil ein Stick einfach alle Sicherheitssysteme unterläuft und die Weitergabe von Daten so gut wie nicht kontrollierbar macht. Aber fast jeder machte es so. Private Bilder, you tube - Filme, wichtige Firmendaten, alles wurde auf so einem Stick gespeichert. Vor allem, weil mittlerweile riesige Datenmengen auf das kleine Ding passten. Aus Sicherheitsaspekten war das eine einzige Katastrophe.

      „Mist. Wer weiß davon?“

      „Nur ich und die beiden im Labor. August war richtig blass. Frank war cooler, wohl weil er sich als Neuling nicht ganz so betroffen fühlte.“

      „Habt ihr auch gründlich gesucht?“

      Miriam verdrehte die Augen zur Decke. „Zwei Stunden und alles abgesucht. Er ist weg.“

      „Nochmal Mist. Da waren auch die letzten Testergebnisse drauf.“

      „Da kann doch keiner etwas damit anfangen. Das war doch nichts Fertiges.“

      „Stimmt schon. Aber ärgerlich ist es allemal.“ Für Martin sah es so aus, als ob Miriam in ihrem kleinen Schwarzen und in ihrer schwarzen Strumpfhose geschrumpft wäre. Sie tat ihm leid.

      „Jetzt sind erst einmal Feiertage. Da können wir sowieso nichts machen. Also entspannen wir uns. Was machst du eigentlich die nächsten Tage?“ Er wusste, dass Miriam genauso wie er ein Single - Dasein führte.

      „Gar nichts. Zu meinen Leuten mag ich nicht fahren. Berlin ist mir zu weit. Und überhaupt, der ganze Weihnachtsstress geht mir auf den Geist.“

      „Hast du Lust, mit mir zum Skifahren zu gehen? Ich habe ein Appartement in Sörenberg gemietet. Ich weiß, Sörenberg ist für dich Skiass viel zu langweilig, aber vielleicht kannst du dich herablassen.“

      „Sörenberg wäre prima.“ Beide mussten lachen. „Aber was machst du mit Agathe? Sie hat sich daran gewöhnt, dass du für sie alles fein machst.“

      „Ach, ich frag' meine Nachbarin aus dem ersten Stock. Da hat sie's auch gut und es ist ja nur für ein paar Tage. Unangenehme Dinge muss man gleich erledigen. Ich frag' sie mal.“

      Er klingelte und hörte schlurfende Schritte. Frau Egli machte mit unwilligem Gesicht auf. Es erhellte sich sofort, als sie Martin sah.

      „Ah, der Herr Nachbar. Wie geht’s denn so? Was verschafft mir die Ehre? Fehlt Ihnen was? Ich habe gut eingekauft.“

      „Nein, nein, alles bestens. Ich wollte sie nur fragen, ob sie Agathe für ein paar Tage verköstigen könnten, weil ich nicht da bin und sie vielleicht nicht weiß, wohin.

      „Ah, ja, das ist kein Problem. Das mach' ich gerne. Ist ja meine Katze. Also Agathe heißt sie bei Ihnen, ich nenne sie Gretchen.“

      Dass Katzen sich manchmal ein anderes zu Hause suchen, wusste Martin. Aber dass sie so unverfroren sein können und beides mitnehmen, das war stark. Er fand Miriam eng vereint mit Agathe, die unverschämt schnurrte und sich gerade gnädig verwöhnen ließ. Martin schüttelte nur den Kopf und beteiligte sich beim Streicheln.

      „Also?“

      „Also was?“

      „Skifahren?“

      Miriam konnte dieses Angebot nicht so recht einordnen. So privat und direkt war Martin noch nie gewesen. Bisher ging sie davon aus, dass er keine Schwächen hatte. Und keine Gefühle für irgend jemand. Sie war ein wenig hin - und hergerissen.

      „Warum nicht? Wollte ich sowieso schon machen. Wann wolltest du denn fahren?“

      „Morgen früh.“

      „Also so gegen Mittag?“

      „Na ja, wir haben ja keine Hektik.“

      „Okay. Dann fahre ich jetzt und komme morgen bepackt wieder.“

      „Du kannst jetzt nicht mehr fahren. Zu viel Schnee und zu viel Alkohol. Der Glühwein war schrecklich.“ Miriam hatte einen kleinen Schock, ließ es sich aber nicht anmerken. Sie schaute ihn nur fragend und wortlos an, konnte aber nichts entdecken.

      „Du kannst dann ja morgen deine Sachen holen oder besser: Wir fahren einfach bei dir vorbei und sammeln alles ein.“ Er sah ihr Erstaunen und ihr ungläubiges Gesicht.

      „Nein, nein, keine Angst. Ich habe sogar eine neue Zweitzahnbürste und das Bett im Gästezimmer ist schnell gemacht. Nur Nachthemd habe ich keines. Ein Frühstück bekommst du auch, gratis.“

      „Dann mach' noch einen Fendant auf oder sonst irgendetwas.“ Sie hatte sich entschieden.“ Agathe war gegangen und diesmal wusste er wohin.

      Er schlief diese Nacht ruhig und traumlos. Am Morgen war das Frühstück schon fertig, weil morgens für beide ein unterschiedlicher Begriff war. Sie gaben ein interessantes Paar ab, er in Jeans und Pullover, sie im kleinen und eleganten Schwarzen.

      Er bepackte sein Auto und sie fuhren hintereinander nach Luzern zu Miriams Wohnung. Miriam war erstaunlich schnell fertig, der Subaru Justy war bis unter das Dach voll und sie starteten gut gelaunt und nun passend gekleidet Richtung Entlebuch und dann durchs Flühlital nach Sörenberg. Kein Mensch außerhalb kannte Sörenberg, geschweige denn wusste er, dass man da Skifahren konnte. Dabei war es bei den Luzernern sehr beliebt. Es bestand eigentlich nur aus Ferienhäusern und ein paar mehr oder weniger gemütlichen Restaurants. Die Spezialität in diesem Tal war Käse. Käse in jeder Form und Zubereitungsart, die einen immer wieder überraschte. Anscheinend war dies das Tal der Vegetarier, denn irgendein Gericht mit Fleisch suchte man auf den Speisekarten vergeblich. Oder es war nicht möglich, im Winter Fleisch dahin zu schaffen. In der kleinen Ortschaft Flühli, fünf Kilometer vor Sörenberg gab es den einzigen Metzger weit und breit. Martin kaufte mit Miriams fachlicher Unterstützung so viel ein, dass sie die Tage überleben würden. Bei den Eiern achtete er darauf, nicht die günstigeren, ausländischen Eier zu nehmen. Sie waren als solche extra gekennzeichnet, klein und runzelig und schmeckten nach Fischmehl. Ganz offensichtlich kam hier eine grundsätzliche, politische


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