Du weißt doch, Frauen taugen nichts. Berthold Kogge
etwas versuchen eine Beziehung aufzubauen? – Nein danke! Somit hatte sich mein „etwas verliebt sein“ auch erledigt.
Als ich das nächste Mal in der Kneipe war, bediente Carola nicht. Somit konnte ich ihr meine Meinung nicht noch einmal persönlich an den Kopf werfen. Ich wechselte die Kneipe, verbrachte meine freien Abende im „Zolln“, in dem ich auch schon viele Abende meines Lebens verbracht hatte, und in dem jetzt im Sommer, im Gegensatz zum „Carrickfergus“, sogar noch der Vorteil vorherrschte, dass man draußen auf dem Fußweg sitzen oder stehen konnte. Nicht dass ich damals Angst hatte, Carola zu treffen, aber wenn man über sechs Tage in der Woche arbeitet, will man in der Kneipe in Ruhe sein Bier trinken, und nicht noch keifend angemacht werden. Eine Kneipe, in der man sich mit dem Wirt, bzw. der Bedienung gegenseitig angiftet, verliert die Funktion, die sie ausüben soll. Um mich zu streiten, hatte ich damals bereits meine Kunden gehabt. Da wollte ich nicht für so etwas auch noch in einer Kneipe Geld hinlegen müssen.
So vergingen, Carola war quasi „Geschichte“, die Jahre, bis zur Fußball-WM 2006.
Ich fragte mich, auf meiner Flucht vor dem Achtelfinale fiel mir die Sache mit Carola wieder ein, ob sie immer noch im „Carrickfergus“ bedienen würde. Ich ließ mich überraschen, stellte aber bei meiner Ankunft fest, dass nicht Carola, sondern Horst selbst hinter dem Tresen stand. So richtig wusste ich nicht, ob ich darüber enttäuscht sein sollte, oder, nach den früheren Geschehnissen, doch eher erleichtert. Ich fragte nicht nach Carola, genoss die altbekannte ruhige Atmosphäre der Kneipe, ging an den folgenden Abenden, während der nächsten WM Spiele, auch dort hin, und gewohnte mich langsam wieder an diese Kneipe.
Es war der vorletzte Freitag im Juli. Die WM war vorbei. Deutschland hatte sich, wenn es auch letztendlich nicht für den Titel gereicht hat, wacker geschlagen, und das normale Leben kehrte, wenn man einmal von den immer noch mediterranen Wetterverhältnissen absah, wieder in den Kneipen ein. An diesem Abend wollte ich eigentlich gar nicht ins „Carrickfergus“. Aber bei genauer Kontrolle meines Fernsehers musste ich feststellen, dass die Programme an dem Abend alle direkt an das Klo angeschlossen waren. Es gab nur Mist. Also schaute ich ins Portemonnaie und entschied, dass es für zwei Bier reichen würde.
Im „Carrickfergus“ angekommen musste ich kurz schlucken, als ich völlig unerwartet Carola an einem der Tische sitzen sah. Ich ließ mir aber nichts anmerken, nahm einen alten Spiegel aus einem Regal, setzte mich an den Tresen und blätterte in dem Nachrichtenmagazin, um nachzulesen, was vor einigen Monaten in der Welt so alles passiert war. Mit halbem Ohr hörte ich zu, wie Horst, während er die Biere zapfte, Carola zurechtstutzte, weil er, seit er sie vor Jahren kennengelernt hatte, des Öfteren miterleben musste, dass sie, ohne irgendwelche Rücksichten zu nehmen, reihenweise Männerherzen brechen würde, und nie eine ernste Beziehung eingegangen war. Ich wusste nicht, wie es zu dieser Auseinandersetzung gekommen war, hielt mich da raus, lauschte aber neugierig mit halbem Ohr weiter, während ich weiter in dem „Spiegel“ blätterte. Mir entging nicht, dass die Auseinandersetzung mit der Zeit ziemlich heftig wurde, und sogar das normale Stimmengewirr der Kneipe übertönte. Horst, ereiferte sich richtig, dass Carola angeblich sehr egoistisch mit Männern umging, diese ständig wechselte, öfters als andere ihre Unterhosen, Gefühle vorspielte, die anscheinend nicht wirklich vorhanden waren, und dass Carola sich wohl auch bei dem Abschütteln ihrer Liebhaber, relativ unmöglich, sprich herzlos benahm.
Von Carola, die mit Peter, der als Stammgast dieser Kneipe quasi schon seit vielen Jahren zum Inventar gehörte, am Tisch neben der Eingangstür saß, kam kaum eine Entgegnung. Nur einmal konnte ich deutlich: „Bis jetzt hat es eben nie den Richtigen gegeben“, verstehen. Ansonsten waren ihre Entgegnungen inzwischen wieder so leise, wie eingeschüchtert, dass sie fast im Kneipenlärm untergingen.
Irgendwann stellte sich Carola, Peter war inzwischen gegangen, seitlich an den Kneipentresen, und quatschte mit irgendwelchen Leuten über irgendwelche Themen, die nichts mit ihren Männergeschichten zu tun hatten. Ich hatte währenddessen zwei Bier getrunken, damit mein finanzielles Limit erreicht, und wollte zahlen. Ich erhob mich von meinem Barhocker, legte den „Spiegel“ in das Regal über der Heizung, und gab dem Wirt, mit dem Daumen und Zeigefinger der rechten Hand, das entsprechende „will zahlen“ Zeichen, und stellte mich, ohne Carola bewusst zur registrieren, neben ihr an den Tresen, damit der Wirt mein Geld entgegen nehmen konnte.
„Kommst du auch morgen zu Peters Geburtstagsfeier“, kam es da von der Seite. Erst als ich mich umdrehte, stellte ich fest, dass es Carola war, die mich angesprochen hatte.
„Nein, wieso, hat er Geburtstag?“
Mit Sicherheit machte ich ein ziemlich dummes Gesicht bei meiner Antwort. Weniger wegen Peters Geburtstag, sondern weil Carola mich angesprochen hatte.
„Ja, und er würde sich sicher freuen, wenn du kommst.“
Peter und ich hatten früher viel zusammen gemacht. Wandern in Schweden, Billard spielen, und in den verschiedensten Kneipen für das Auskommen der Wirte mit beigetragen. Aber das war schon einige Jahre her.
„Weiß nicht.“
„Stell dich nicht so an. Los komm. Er würde sich sicher freuen.“
Ich muss zugeben, dass ich überrumpelt war. Sie tat so, als ob wir bei unserem letzten Treffen, das ja nur per E-Mail stattgefunden hatte, nicht im Bösen auseinander gegangen waren. Ich wollte nicht zu der Geburtstagsfeier. Ich hatte schon lange keinen Kontakt mehr mit Peter, und eigentlich wollte ich auch keinen Kontakt mit Carola. Mir fiel wieder der Inhalt ihrer E-Mail ein, in der sich mich in einer Art und Weise beleidigt hatte, wie es mir selten untergekommen war.
„Nein ich werde nicht kommen.“
Ich zahlte, steckte das Portemonnaie wieder ein, und wollte gehen.
„Wie wäre es, wenn wir uns morgen mal treffen?“
„Wieso das? Ich denke du feierst morgen Peters Geburtstag.“
„Wir haben uns seit Jahren nicht gesehen, und wir können uns doch vor der Feier treffen“, kam es von ihr lächelnd.
Wieso lächelte sie? Das Letzte, was sie mir vor Jahren an den Kopf geworfen hatte, waren ziemlich deftige Beleidigungen gewesen.
Ich war wirklich nicht begeistert, aber ich willigte, warum auch immer, ein. Die Geburtstagsfeier sollte gegen 16:00 Uhr losgehen. Wir verabredeten uns für 14:00 Uhr im „Sachers“, einem Kneipencafé, das direkt am Elbe-Lübeck-Kanal seinen Sitz hat, und wo man direkt am Wasser, draußen im Freien auf einer Terrasse sitzend, den Binnenschiffen und den Ruderern des Ruderklubs, der am gegenüberliegenden Ufer seinen Platz hat, zuschauen konnte, während man aß und trank.
An nächsten Morgen, als ich in meinem Bett aufwachte, war ich auf mich selbst sauer. Wieso hatte ich dem Treffen zugestimmt? Das war doch absoluter Käse. Eine Zeit lang war ich unschlüssig, aber entschied mich dann trotzdem, zum vereinbarten Zeitpunkt im „Sachers“ aufzutauchen. Carola musste ja sowieso zur Geburtstagsfeier von Peter, somit war die Zeit, die das Treffen dauern konnte, ja durchaus überschaubar.
Warum tat ich das? Ich habe keine Ahnung. Vielleicht weil ich, trotz ihrer bösen Mail sechs Jahren vorher, ein Kribbeln im Bauch spürte. Man konnte eigentlich nicht einmal sagen, dass Carola im klassischen Sinn wirklich schön war. Aber sie hatte etwas an sich, dass mich schon vor sechs Jahren fasziniert hatte und, trotz ihres komischen Verhaltens damals, gleich wieder dieselben Gefühle, wie damals weckte, die ich schon seit einer Ewigkeit nicht mehr gespürt hatte.
Vielleicht wollte ich außerdem auch nicht, dass Carola sich bei einigen Leuten beschweren würde, dass ich ein Date, ohne Begründung einfach platzen ließ, und ich in den folgenden Wochen im „Carrickfergus“ Rede und Antwort hätte stehen müssen, warum ich mich nicht wie ein „Erwachsener“ verhalten habe.
Aber im Grunde war es egal, warum ich hinging. Ich ging hin. Das war das Entscheidende.
Um vierzehn Uhr trudelte ich, zugegebener Maßen etwas nervös, bei Sachers ein. Carola saß bereits mit einer weiteren, mir unbekannten Frau auf der Terrasse. Beide hatten ein Glas Dunkelbier vor sich auf dem Tisch stehen.
„Wow“, dachte ich still bei