Darwin schlägt Kant. Frank Urbaniok

Darwin schlägt Kant - Frank Urbaniok


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die Eindeutigkeit und manchmal beides als Zielgröße im Vordergrund.

      Auf der dritten Ebene ist schließlich auf Persönlichkeitsprofile zu verweisen, die über das übliche Maß hinaus in besonderer Weise zu problematischen Wahrnehmungs-, Erkenntnis-, aber auch Handlungsmustern disponieren. Denn Menschen sind nicht gleich, sondern unterscheiden sich in ihren Charaktermerkmalen. In einer erheblichen Spannbreite finden sich akzentuierte Persönlichkeiten, die in bestimmten Eigenschaften weit von der Mitte der menschlichen Population entfernt sind. Bei solchen Personen treten neben problematischen Verhaltensweisen meist auch die allgemeinen psychologischen Fehlerquellen in verschärfter Form auf.

      Die hier angesprochenen Mechanismen bewegen sich zudem zwischen zwei Polen mit gegensätzlichem Charakter. Sie bestimmen die fundamentale Ausrichtung der menschlichen Natur. An dem einen Pol ist die egoistische Selbstbehauptung im Sinne des Willens zur Macht lokalisiert. An dem anderen Pol befinden sich die mit der Vernunft des Menschen neu geschaffenen und exorbitant gesteigerten Möglichkeiten zur Kooperation, die als das basale Kooperationspotenzial anzusprechen sind.

      In Abhängigkeit von den erwähnten individuellen Persönlichkeitsprofilen finden sich bei einzelnen Menschen starke Betonungen des einen oder anderen Pols. Ansonsten schließen sich beide Prinzipien in der Praxis keineswegs aus. Im Gegenteil finden sich bei den meisten Menschen Meinungen und Handlungsweisen, die dem einen, und solche, die dem anderen Pol zuzuordnen sind, manchmal aber auch eine Mischung aus beiden Anteilen darstellen können. Welches der beiden basalen Potenziale jeweils im Vordergrund steht, ist stark von speziellen Eigenschaften einer Person, unterschiedlichen Situationen (zum Beispiel im Privaten oder im Beruf) oder als solchen wahrgenommenen Aufgaben und Problemen abhängig. Meist sind Betonungen des einen oder anderen Pols mit einer starken Emotionalität der jeweils nachdenkenden oder handelnden Person verbunden.

      Die vielfältigen psychologischen Mechanismen lassen sich übergeordnet im nachfolgend beschriebenen RSG-Modell zusammenfassen. Es besteht aus drei Elementen:

      1.Registrieren

      2.Subjektivieren

      3.Generalisieren

      5.1Registrieren

      Unser Wahrnehmungsapparat registriert permanent Informationen. Die meisten dieser Wahrnehmungen erfolgen unbewusst. Ich gehe hier von einem weit gefassten Wahrnehmungsbegriff aus. Er ist nicht auf die sinnliche Wahrnehmung beschränkt. Beim Wahrnehmungsbegriff in diesem Schema geht es weniger um die Quelle der Wahrnehmung, sondern um den Zeitpunkt, in dem eine Information bewusst als solche registriert wird, egal woher sie stammt. Das heißt, es geht um ein bewusstes Wahrnehmen als mögliche Vorstufe weiterer gedanklicher bzw. gedanklich-emotionaler Prozesse, die von dieser initialen Wahrnehmung ausgehen.

      Wahrnehmungen betreffen in diesem Sinne Phänomene der Außenwelt, des eigenen Körpers oder der eigenen inneren gedanklichen und emotionalen Prozesse. Solche Wahrnehmungen können sich demnach auf konkrete Dinge (einen Hasen, ein Gewitter, einen Stuhl) oder aber abstrakte Phänomene (eine Erklärung, eine Frage, ein Problem) beziehen. Bei den konkreten Wahrnehmungen stehen zunächst meist die der Sinnesorgane (sehen, hören, riechen, schmecken, tasten) im Vordergrund. Sie werden aber rasch mit assoziativen Regionen des Gehirns abgeglichen. Die Wahrnehmung abstrakter Phänomene spielt sich in der Regel von Anfang an im »Innenbereich« ab, indem diese z. B. als Gedanke, als Ahnung, als Gefühl im Bewusstsein eine erste Gestalt annehmen.

      Mit dem Begriff des »Registrierens« ist im RSG-Modell somit der hier beschriebene Vorgang einer initialen bewussten Wahrnehmung als möglicher Vorstufe weiterer psychischer Verarbeitungsprozesse gemeint.

      5.2Subjektivieren

      Subjektivieren bezeichnet den Vorgang, der nach der Registrierung einsetzen kann, um die registrierten Informationen zu verarbeiten. Die Grenze zwischen Registrieren und Subjektivieren ist in der Praxis selbstverständlich nicht so starr, wie sie im theoretischen RSG-Modell erscheint. Denn einerseits können während des Verarbeitungsprozesses permanent weiter Informationen aufgenommen oder verworfen werden. Wir haben auch gesehen, dass dies zum Teil unbewusst erfolgt und dann trotzdem einen maßgeblichen Einfluss auf das Ergebnis des Verarbeitungsprozesses hat. Andererseits ist auch der Prozess der Registrierung, der einer sinnlichen (Außen-) Wahrnehmung oder einer innerlichen Wahrnehmung entspricht, aufs Engste durch Vorstrukturierungen geprägt. Diese Vorstrukturierungen reichen von kausalen Ordnungen über die sprachliche Grammatik oder erkenntnisleitende Interessen (vgl. Kap. 6.5) bis hin zu emotionalen Gestimmtheiten und selektiven Informationsfiltern, die zum Beispiel den Basalen Wahrnehmungsmustern (vgl. Kap. 3.3) entsprechen. Es gibt zudem Rückkopplungseffekte. Sie werden zum Beispiel durch das assoziative Gedächtnis vermittelt und prägen die Wahrnehmung schon im Moment des Registrierens sehr stark.

      Gleichwohl ist es so, dass die Verarbeitungsmechanismen, die in der Phase der Subjektivierung ablaufen, viel ausgeprägter und vor allem in wesentlichen Teilen bewusstseinsnäher sind als in der Phase des Registrierens. Auch wenn es sich nur um eine Modellvorstellung handelt, macht es daher Sinn, das initiale Registrieren einer Information von der sich möglicherweise daran anschließenden Phase der Verarbeitung zu unterscheiden.

      Der Begriff der Subjektivierung wurde deswegen gewählt, weil es sich immer um einen Prozess handelt, in dem Informationen geformt werden, um sie sich schließlich als kurzzeitigen oder nachhaltigen Bewusstseinsinhalt anzueignen. Die Aneignung geschieht durch einen Gedanken, ein Gefühl oder eine Erkenntnis im engeren Sinne. Dieser Bewusstseinsinhalt ist nicht selten eine Grundlage für eine darauf aufbauende und sie begründende Entscheidung – für oder gegen eine Handlung. Der Prozess der Formung und Aneignung kann auf all die einem Individuum zur Verfügung stehenden kognitiv-emotionalen und erkenntnisbildenden Mechanismen zurückgreifen. Sie sind zwangsläufig von den generellen und zusätzlich den individuell spezifischen Dispositionen durchsetzt. Daher wird der gesamte Formungs- und Aneignungsprozess stark an subjektiven Maßstäben und Gewohnheiten ausgerichtet. Wir sahen, dass es viele dieser subjektiv prägenden Mechanismen gibt, die zu verzerrten Bewertungen und in der Folge zu problematischen Handlungen führen können.

      Es greift aber zu kurz, die Phase der Subjektivierung nur als etwas Problematisches zu verstehen. Es handelt sich ja um den individuellen Gebrauch der Vernunft mit all ihren Schwachstellen, aber auch all ihren großen Potenzialen. In der gesamten Menschheitsgeschichte und auch in der Gegenwart gab und gibt es viele Menschen, die durch das damit verbundene Potenzial bahnbrechende Erkenntnisse und großartige Leistungen hervorgebracht haben. Man kann hier an Persönlichkeiten aus Kunst, Wissenschaft und Politik denken, die geniale Kunstwerke geschaffen, große Erkenntnisse gewonnen oder den Lauf der Geschichte positiv geprägt haben. Großartige Dinge müssen aber nicht immer Dinge sein, von denen die Welt Kenntnis erhält. Großartige Dinge ereignen sich auch im Kleinen, in der Familie, der Kindererziehung, dem ehrenamtlichen Engagement, oder in alltäglichen Verhaltensweisen, die auf vernünftigen Erkenntnissen basieren und die Welt ein wenig besser machen. Dass es sich dabei stets auch um einen Vorgang der Subjektivierung von Informationen handelt, muss dem Ergebnis nicht von vornherein abträglich sein.

      5.2.1Die große Backstube

      Aber wir richten bei der Betrachtung in diesem Buch das Augenmerk primär auf die Risiken und Schwachstellen der entsprechenden Prozesse. Das geschieht mit dem aufklärerischen Ziel, damit die ein oder andere nützliche Erkenntnis vermitteln zu können. In diesem Sinne lässt sich die Subjektivierung wie folgt charakterisieren: Es handelt sich um einen Verarbeitungsprozess von Informationen, die auf der ersten Stufe registriert wurden. Sie werden dann zu einer Gestalt (z. B. Gedanke, Eindruck, Theorie, Erklärung, Lösung) geformt und somit subjektiv angeeignet.

      Flüchtlingen, die in einem anderen Land integriert werden sollen, gelingt es im günstigen Fall, sich an der neuen Kultur auszurichten. Mit ähnlicher Zielsetzung durchlaufen auch die registrierten Informationen von Anfang an einen Prozess der Angleichung, der Ausrichtung an subjektiven


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