EXIT. Michael Herl
in ihrer Rede vor dem Senat von Paris warnte: »Es gab eine Zeit, da machte man sich in Frankreich Gedanken um das Tragen des islamischen Kopftuchs in der Schule. Heute geht es um den Ganzkörperschleier.« In mehreren Stadtvierteln würden die Röcke länger »und die Farbpalette eintöniger.«7 Und während sich die Frauen in den Straßen Teherans und Khartums in Lebensgefahr begeben, zeigen sie auch nur den Haaransatz, wird das Verhüllen in den westlichen Demokratien als Ausdruck von Freiheit gefeiert, als Banner weiblicher Selbstbestimmung, als modisches Accessoire der Stunde. Wie groß die Empörung über diese Haltung bei denen ist, für die der Begriff »Must have« bittere und lebensbedrohliche Realität ist, zeigte sich anlässlich eines »World Hijab Day«, der jeden 1. Februar begangen wird. Aktivistinnen aus den USA hatten diesen Tag ins Leben gerufen, um der Welt zu zeigen, wie viele muslimische Frauen das Kopftuch gern und aus freien Stücken tragen. Frauen wurden aufgefordert, ein Selfie zu posten, auf dem sie ein Schild mit dem Hashtag »#FreeInHijab« in die Kamera halten – also »frei im Kopftuch«. Außerdem sollte man in einem Post erklären, was genau das Kopftuch zu einem Symbol der Freiheit macht. Anders als gedacht, meldeten sich aber vor allem Frauen, die das Kopftuch als Instrument der Unterdrückung und Diskriminierung erleben. »Die Mehrheit der Frauen hat keine Wahl, sie wird gezwungen. Ich bin eine von ihnen«, schrieb eine Frau – nach eigenen Angaben – aus Saudi Arabien. Und Ensaf Haidar, Freiheitsaktivistin aus Saudi-Arabien und Ehefrau des Bloggers Raif Badawi, der 2013 wegen »Beleidigung des Islam« zu 1000 Peitschenhieben und zehn Jahren Haft verurteilt wurde, twitterte: »Wenn ihr unter der Scharia geboren und gezwungen worden wäret, einen Niqab zu tragen, wenn eure Menschlichkeit gestohlen worden wäre – dann würdet ihr wissen, warum ich dagegen bin.«
Im Namen der Toleranz soll es in Ordnung sein, wenn mit dem Kopftuch weibliche Sexualität wieder unter männliche Deutungshoheit gestellt wird. Aber auch: dass männliche Sexualität auf dieselbe Kulturstufe gestellt wird wie die eines Bonobo. Ganz abgesehen davon, dass das Kopftuch diejenigen Frauen als moralisch minderwertig herabsetzt, die keins tragen. Schließlich gilt: Wo eine Heilige ist, da muss immer auch irgendwo ein Luder sein.
So wird weibliche Sexualität zu etwas, das begrenzt, entschärft und »neutralisiert« gehört und für den einen reserviert bleibt, der darauf Exklusivrechte geltend machen kann. Mit absurden Folgen. Eine davon nennt sich »VirginiaCare«, kostet 53,50 Euro und kann im Internet bestellt werden. Es handelt sich um ein künstliches Jungfernhäutchen. Der Händler rät, es sich spätestens dreißig Minuten vor dem entscheidenden Akt, wenn der Bräutigam per Penetration kontrolliert, ob die Braut noch ihr Jungfernhäutchen hat, also formal noch Jungfrau ist, einzuführen, damit es punktgenau die so wichtigen Blutstropfen produziert. Bei Gynäkologen kostet die Umwandlung der vermeintlichen Hure in eine Heilige um die eintausend Euro und gehört mittlerweile zum Berufsalltag. Die »Hymenrekonstruktion« ist auch deshalb ein einträgliches Geschäft, weil man sich selbst als Jungfrau nicht sicher sein kann, beim Sex den Nachweis der Unschuld erbringen zu können. Immerhin kommt es bloß bei fünfzig Prozent der Entjungferungen überhaupt zu Blutungen. Dafür steigt wenigstens zuverlässig die Zahl der jungen Männer, für die das wichtig ist. In einem ZDF-Beitrag »Die Frauen, der Islam und ihr Jungfernhäutchen« erklärt ein junger Moslem, Schüler an einem Gymnasium im Berliner Wedding, dass es ihn ekeln würde, mit einem Mädchen ins Bett zu gehen, dass keine Jungfrau mehr wäre. Und auf die Frage, was ehrloser sei: Einen Sohn zu haben, der mit Drogen dealt oder eine Tochter, die keine Jungfrau mehr ist – ist die ganze Schulklasse sich mehrheitlich einig, dass die Tochter die größere Schande für die Familie wäre. »Nicht ich als Frau habe meine Ehre, sondern ich trage die Ehre des Mannes zwischen meinen Beinen,« hat die deutsch-türkische Anwältin, Frauenrechtlerin und Autorin Seyran Ates die Rolle der Frauen im traditionellen Islam einmal beschrieben.8
Was nützt es, wenn endlos darüber diskutiert wird, ob der Koran überhaupt an irgendeiner Stelle ein Kopftuch vorschreibt und ob die Sure, in der es heißt, man soll eine widerspenstige Frau schlagen, nicht doch falsch übersetzt und ganz anders gemeint ist. Es gilt gerade hier, was ein sehr katholischer Deutscher einmal meinte: Wichtig ist, was hinten raus kommt, und das ist eine Atmosphäre, die zunehmend in krassem Widerspruch zu Artikel 3 unseres Grundgesetzes steht:
(1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich. (2) Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.
Aber genau das tut er gerade eben nicht. Er duldet es im Gegenteil, dass die Kampfzonen der Religionen auf Kosten von Frauenrechten ausgeweitet werden. Jüngstes Beispiel: Der Streit um den § 219a, der das Werbeverbot für Abtreibungen regelt. Als »Werbung« wird in diesem Fall die fachliche Information über die Risiken und den Ablauf des Eingriffs missverstanden.
Die Große Koalition konnte sich nicht dazu durchringen, ihn ersatzlos zu streichen. Folge auch eines erneuten Erstarkens religiös motivierter Abtreibungsgegner, die zunehmend aggressiv auch vor Beratungsstellen demonstrieren, beten, singen, Hilfesuchende ansprechen, sie mit dem Handy fotografieren und es ihnen nach Kräften erschweren, eine ihnen gesetzlich zustehende Leistung in Anspruch zu nehmen. Plötzlich geht es vor allem wieder »um ungeborenes menschliches Leben«, wie es ausgerechnet der Bundesgesundheitsminister Jens Spahn formuliert. Kein Zufall, dass er sich mit seiner Wortwahl im Fundus christlich-fundamentalistischer »Lebensschützer« bedient, die auch schon mal Plastik-Embryonen verteilen, um ihren Forderungen Nachdruck zu verleihen. Und nur konsequent, wenn man ihm die innigen Sympathien für das christlich-traditionelle Frauenbild aus Steuergeldern finanziert: Für eine Studie zu den seelischen Folgen von Schwangerschaftsabbrüchen bewilligte ihm das Bundeskabinett fünf Millionen Euro zusätzliche Haushaltmittel. In schöner biblischer Tradition hält der Bundesgesundheitsminister Frauen offenbar für geistig und psychisch so unterentwickelt, dass man ihnen noch erklären muss, dass eine Abtreibung kein Ponyhof ist. Und zweitens findet er anscheinend, dass Männer mit unbeabsichtigtem Nachwuchs eigentlich nichts zu schaffen haben. Damit arbeitet er mit an Umständen, die Frank Ulrich Montgomery, der Präsident der Bundesärztekammer, so beschreibt: »Wir haben großes Verständnis für jeden Arzt, der unter den derzeit herrschenden Bedingungen keine Schwangerschaftsabbrüche vornehmen möchte.«9
Als Frau dagegen hat man vor allem großes Verständnis zu haben für die irische Stand-up-Komikerin Gráinne Maguire, die auf Twitter Frauen in Irland dazu aufrief, den Stand ihres Menstruationszyklus an den irischen Premierminister Enda Kenny zu tweeten. Als Reaktion auf Irlands strikte Abtreibungsgesetze – auch Folge jahrhundertelanger Vormachtstellung der katholischen Kirche. Wenn der Staat sich so sehr für ihre Reproduktionsorgane interessiere, so die zwingende Logik, dann sollte er auch vollständig Bescheid wissen. Tweets wie »Hi Enda Kenny! Heute keine Periode. Nur normaler vaginaler Ausfluss, aber nichts Besorgniserregendes, denke ich«, zeigten durchaus Erfolg. Im letzten Jahr wurde das Abtreibungsgesetz per Referendum gelockert. Leider eine Ausnahme. Denn die sehr gut vernetzten Aktivisten der »Pro-Life-Bewegung«, unterstützt etwa von Evangelikalen und der katholischen Kirche, sorgen weltweit gerade für ein Rollback. In Polen soll das Abtreibungsverbot sogar noch verschärft werden, und in Argentinien wurde eine Liberalisierung des Abtreibungsrechtes gerade ausgebremst. Religionen haben sich schon immer vor allem in das Leben von Frauen eingemischt – in einem manchmal kaum erträglichem Umfang. Dass sie es immer noch und wieder tun, und zwar ungehemmt und ungebremst, verdankt sich auch einer Haltung, wie sie Laura Fritzsche in ihrem prämierten Zeitungsbeitrag »Auf Tuchfühlung«10 favorisiert. Sie fragt: »Bilden Frau und Mann, Weiße, Schwarze, Christen, Muslime und Behinderte in der Summe überhaupt erst dieses Land ab?« Und: »Wahrt es nicht gerade durch Pluralität seine Neutralität?« Nein, Frauendiskriminierung ist nicht bloß einfach eine weitere lustig-bunte Farbe im menschlichen Regenbogen. Schon weil eben nicht all diese Gruppen gleichermaßen Einfluss darauf nehmen, was in diesem Land geschieht und was Vorrang hat: Das Recht der Frauen, als gleichwertig behandelt zu werden, oder der Glaube, dass Gott oder Mohammed oder Buddha das nicht gewollt haben?!
Bleibt am Ende nur die Frage, weshalb eigentlich so viele Frauen Letzterem den Vorrang geben. Ohne Frauen keine Kirchen. Denn sie stellen immer noch das Fundament der Religionen, das Salz der Kirchen. Die Mehrheit der Gläubigen. Handelt es sich vielleicht um eine Art metaphysisches Stockholm-Syndrom? Ist das die legendäre »Identifikation