EXIT. Michael Herl

EXIT - Michael Herl


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anonymen, aber (so wörtlich) »gläubigerscharfen Abführung« der berechneten Kirchensteuer auf Kapitalerträge, häuften sich die Kirchenaustritte, vor allem die älterer Mitglieder, welche dies als unmoralischen Zugriff auf ihre sauer verdienten Spargroschen empfanden.

      Dieser bemerkenswerte Erfolg der »Membership Economy« in Deutschland zeigt sich auch im Vergleich zu Österreich. Weil in Österreich der Kirchenbeitrag nicht an die staatliche Steuer gebunden ist, müssen die Kirchen selbst ermitteln, wer bei ihnen Mitglied ist und wie hoch das Einkommen – nach Selbsteinschätzung – dieser Mitglieder ist, und den Einzug des Beitrags selbst organisieren. In Deutschland sind die Mitgliederdaten der religiösen Körperschaften weitestgehend staatlich erfasst, und es wird in einer engen Geschäftspartnerschaft von Staat und Kirche bei der staatlich organisierten Steuerberechnung gleich mitberechnet, was von den Arbeitgebern für die Lohn- und Gehaltsabhängigen kostenlos monatlich zu berechnen und zu überweisen ist. Dieses finanzverfassungsrechtliche Unikat des staatlichen Inkassos erwirtschaftet für die beiden großen Amtskirchen in Deutschland an Einnahmen das vergleichsweise Dreifache von dem, was die Kirchenbeitragsstellen in Österreich realisieren.

      Die Marketingexpertin Robbie Kellman-Baxter wurde einmal gefragt: »Was hat eine Firma von Mitgliedern?« Ihre Antwort: »Ein lebenslanger Kunde ist die Gans, die goldene Eier legt. Ich streiche jeden Monat Umsatz ein, das hilft unter anderem bei der Finanzplanung.« Dieses Phänomen »Leere Kirchen – volle Kassen« nennen andere Ökonomen: »Cash Cow«.

       Staatsmonopolistischer Kapitalismus

      In marxistischer Sicht gab (und gibt) es eine Beschreibung des Verhältnisses von Staat und Wirtschaft in den westlichen Demokratien, die »Staatsmonopolitischer Kapitalismus (Stamokap)« genannt wurde. Kurz gesagt war es die Sichtweise, dass der Staat die Herausbildung von wenigen Konzernen fördere und diese institutionell wie finanziell bevorzuge. In kürzester Form wird es auf das Prinzip reduziert: »Einnahmen/Gewinne werden privatisiert, Kosten/Verluste sozialisiert«, das heißt von der Allgemeinheit bezahlt.

      Konzerne wie Microsoft, Apple und Amazon suchen sich trickreich Länder wie Irland oder Luxemburg als Europasitz aus, weil sie dort am wenigsten Steuern zahlen. Die beiden Kirchen in Deutschland können insofern getrost zu Hause bleiben, denn ihre Einnahmen und Gewinne bleiben komplett steuerfrei. Für die beiden Kirchen waren das 2016, nur aus der Kirchensteuer, zusammen 11,6 Milliarden Euro.

      Die Kosten hingegen werden weitgehend sozialisiert, das heißt, aus allgemeinen Steuergeldern werden die Kirchen, die Kirchenmitglieder und die kirchlichen Einrichtungen finanziert. Das waren (im Jahr 2009, aber die Größenordnung bleibt dieselbe) 19,3 Milliarden Euro. Größte Einzelpositionen sind dabei die Zuschüsse zu den konfessionellen Kindertagesstätten (3,9 Milliarden Euro), die Steuergelder, auf deren Einnahme der Staat durch die komplette Absetzbarkeit der gezahlten Kirchensteuer als Sonderausgabe verzichtet (3,9 Milliarden Euro), die Steuerbefreiung der Kirchen (2,3 Milliarden Euro) sowie die Zuschüsse zu den Konfessionsschulen (2,3 Milliarden Euro).

       Kirchensteuer und 1933

      Die Geschäftspartnerschaft von Kirche und Staat hat die Besonderheit, dass der Juniorpartner Kirche sich so entwickelte, dass er den Anspruch hatte, der Seniorpartner mit Führungsanspruch zu sein. Frage: Wer ist in der »Pole Position« Nummer 1, der Staat oder die Kirche? Das ist eigentlich ganz einfach zu beantworten. Man betrachte sich ein Bild von der Krönung Kaiser Karls im Jahr 800 in Rom: Wer steht bei der Kaiserkrönung und wer kniet? Das ist eindeutig: Der Kaiser kniet.

      Im Kölner Dom wird die lange Geschäftsverbindung von Kirche und Staat mit zwei Kirchenfenstern gewürdigt. Das eine zeigt Bonifatius, den Apostel der Deutschen, und das andere Kaiser Karl, genannt der Große, der den Zehnten zur Kirchenfinanzierung einführte. Die moderne Form davon ist: Die Kirchensteuer.

      In der Weimarer Nationalversammlung musste 1919 die Frage der Staatskirche geklärt werden, und man entschied sich für das Konzept von »Freier Staat und Freie Kirche«, das heißt der institutionellen und finanziellen Trennung. Zur Sicherung der kirchlichen Bedürfnisse wurde dann in der Weimarer Reichsverfassung die Kirchensteuer im Deutschen Reich eingeführt. Da der Staat sowieso die bürgerlichen Steuerlisten bearbeitete, wurde ab 1920 vereinbart, dass der Staat nach der eingereichten Steuererklärung auch die Kirchensteuern berechnen sollte.

      In dieser Geschäftspartnerschaft von Kirche und Staat gab es kein »Schummeln« zwischen Kirchenmitglied und Kirchen über die zu zahlende Steuer. Das Ganze funktionierte als »Vergangenheitssteuer«, da ja erst die staatliche Steuer festgesetzt werden musste, bevor die Kirchensteuer zum Zuge kam. Das wurde dann 13 Jahre später verbessert.

      Vom Reichsfinanzminister wird im September 1933 angeordnet, dass auf der Lohnsteuerkarte, die 1925 eingeführt worden war, ab 1934 ein Religionseintrag vorzunehmen wäre. Das war nach der Weimarer Reichsverfassung verfassungswidrig. In Artikel 136 Absatz 3 heißt es: »Niemand ist verpflichtet, seine religiöse Überzeugung zu offenbaren.« Das hat aber die Nationalsozialisten nicht interessiert.

      1949 wurde dieser Artikel der Weimarer Reichsverfassung in das Grundgesetz übernommen und so blieb – auf Wunsch der evangelischen Kirche und der USA – der Eintrag der Religionszugehörigkeit auf der Lohnsteuerkarte bestehen. Vom Bundesverfassungsgericht sind bisher alle Klagen dagegen abgewiesen worden mit der Begründung: Dies sei nur ein marginaler Eingriff in die Grundrechte und für das staatliche Inkasso notwendig. Dieser Eingriff macht die Kirchensteuer sehr effizient, und es ist ein finanzverfassungsrechtliches Unikum auf der Welt, dass der Staat als Inkassounternehmen für eine nicht-staatliche Organisation tätig wird.

      Durch diesen Eintrag auf der Lohnsteuerkarte wird die Kirchensteuer zur »Gegenwartssteuer«. Nur die wenigsten Kirchenmitglieder kennen die genaue Höhe ihrer Kirchensteuer, da sie im Vergleich zu den Sozialversicherungs- und Krankenkassenbeiträgen eher gering ist.

      Was heißt das für die Geschäftspartnerschaft Kirche und Staat? Für das staatliche Inkasso erhalten die Finanzbehörden rund drei Prozent des Kirchensteueraufkommens. Das sind rund 300 Millionen Euro. Der Staat erspart dadurch den Kirchen eigene Kirchensteuerämter, deren Kosten sich auf rund 2,4 Milliarden Euro belaufen würden. Ersparnis der Kirchen: rund 2,1 Milliarden Euro. Die kostenlose Berechnung durch die Arbeitgeber (in der gleichen Größenordnung wie die Staatspauschale) spart rund 300 Millionen Euro. Die Summe der Stützungsmaßnahmen beläuft sich somit auf rund 2,4 Milliarden Euro. Als ein konfessionsfreier Unternehmer sich weigerte, diese Kirchensteuerberechnung durch seine Buchhaltung vornehmen zu lassen, ging der Instanzenzug sehr schnell bis zum Bundesverfassungsgericht, und das entschied: Der Arbeitgeber habe das zu tun, da es sich nicht um eine Pflicht gegenüber den Kirchen, sondern gegenüber dem staatlichen Fiskus handele.

       Staatsleistungen und Subventionen

      Aber das ist noch nicht alles an direkten Leistungen, welche der Staat für die Kirchen erbringt. Ein besonders strittiger Punkt sind dabei die Staatsleistungen.

      Die Weimarer Reichsverfassung (1919) und das Grundgesetz (1949) verlangen, dass diese Staatsleistungen beendet, das heißt abgelöst werden. Geschehen ist seither nichts. Seit 1949 gibt es beinahe durchgehend einen Anstieg dieser »Staatsleistungen«: 2018 sind es 538 Millionen Euro.

      Die Steigerungen kommen dadurch zustande, dass diese Zahlungen – als Personaldotationen – durch eine Anpassungsklausel an die Gehaltssteigerungen eines Staatsbeamten im mittleren nicht-technischen Dienst, Gehaltstufe 7, gebunden sind (evangelisch mit 2 Kindern, katholisch keine Kinder). 14 der 16 Bundesländer zahlen diese Personaldotationen, die Freien und Hansestädte Hamburg und Bremen nicht.

      In Hamburg gilt der Grundsatz: »Ein Hanseat kniet vor niemandem, auch nicht vor der Kirche.« Ein Bild im Festsaal des Hamburger Rathauses musste 1896, als dessen Neubau besichtigt wurde, dementsprechend überarbeitet werden, da vor Bischof Ansgar, einem Hamburger Bischof des Mittelalters, ein Knabe kniete, als Symbol für die Stadt Hamburg. Er wurde übermalt, und es blieb nur der leere Boden, wo vorher der Knabe gekniet hatte. Und als der Erste Bürgermeister Henning


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