EXIT. Michael Herl
Frauen als Montagsproduktionen des Schöpfers. Als minderwertig. Dazu gemacht, unterworfen zu werden. Kein Wunder, wenn der Talmud ein Morgengebet vorsieht, in dem der Gläubige seinem Schöpfer täglich dafür dankt, dass er nicht als Nichtjude, Sklave oder Frau zur Welt kam. Zumal das Judentum selbst ein paar exzellente Argumente für diese Empfehlung lieferte. Unter anderem gilt das Menstruations- und Geburtsblut von Frauen als schmutzig. Sie müssen sich durch bestimmte Riten erst wieder »rein« für die Religionsausübung und den Mann machen. Auch im Islam werden den Frauen herrische Vorschriften gemacht, haben sie Dienerin des Mannes zu sein, wird zur Zähmung von Widerspenstigen schon mal empfohlen: »Ermahnt sie, meidet ihr Ehebett und schlagt sie! Wenn sie euch dann gehorchen, so sucht gegen sie keine Ausrede.«2 Selbst der Buddhismus, dieser vermeintlich so zweifelsfreie Hort des Friedens und der Menschlichkeit konnte der Versuchung nicht widerstehen, den Frauen die niedersten Ränge zuzuweisen. Bis heute beten Tibeterinnen darum, als Mann wiedergeboren zu werden, um dann die Buddhaschaft zu erlangen. Aus buddhistischer Sicht kann eine Frau nämlich schon aus Prinzip keine Erleuchtung erlangen. Wie auch? Schließlich wird sie in der tibetischen Sprache konsequent als »Kyenmen«, als von minderer Geburt bezeichnet.
Als hätte es niemals Kreuzzüge, Hugenottenkriege, den Dreißigjährigen Krieg, die Bürgerkriege in Afrika, in Irland oder im Libanon gegeben, stimmen die Weltreligionen in seltener Eintracht seit Jahrtausenden wenigstens darin überein, die Frau als ein Mängelexemplar zu betrachten, das dringend unter männliche Aufsicht gehört, und ist das Patriarchat der größte gemeinsame Nenner, auf den sich so ziemlich das gesamte religiöse Vielfache einigen kann.
Die blutigste Religion von allen – die christliche (nur gegen eine Glaubensgruppe führten Christen öfter Krieg als gegen Muslime und Juden – gegen Christen mit einer anderen Konfession) – hat dabei auch in Sachen radikaler Frauenverachtung zuverlässig brutalstmögliche Spitzenwerte erreicht. Allein bis zu 60.000 Menschen sollen den Hexenverfolgungen im frühneuzeitlichen Europa zum Opfer gefallen sein. Die meisten von ihnen Frauen. Den Freibrief zum Foltern, Verbrennen, Verachten lieferte zuverlässig die Bibel: Das Alte Testament mit seiner Schöpfungsgeschichte, laut der die Frau aus der Rippe des Mannes gemacht wurde und damit also quasi von Geburt an als zweitrangig zu betrachten sei, und natürlich mit dem Sündenfall. Schließlich war es die charakterschwache Eva, die sich von der Schlange verführen ließ. Seitdem waren praktisch alle Frauen qua christlicher Genetik Sünderinnen, lief der Shitstorm gegen alles Weibliche. Ganz wie es Quintus Septimus Florens Tertullian (160 bis 225), ein lateinischer Kirchenschriftsteller, den Frauen von der Kanzel predigte: »Weiß du nicht, dass du auch Eva bist? Der göttliche Richterspruch hat auch heute noch seine volle Gültigkeit für dieses Geschlecht, also besteht auch seine Sünde weiterhin. Du bist das Tor zum Teufel, du hast seiner Versuchung nachgegeben, du hast das göttliche Gebot als erste übertreten.«3 Frauen seien missratene Männer, verkündete später der Kirchenlehrer Thomas von Aquin im 13. Jahrhundert, und Odo von Cluny, der zweite Abt der berühmten gleichnamigen Benediktinerabtei, äußerte sich im 15. Jahrhundert über das »Gefäß der Sünde« (Martin Luther) wie folgt: »Die Schönheit des Leibes wohnt nur in der Haut. Und wahrlich, wenn die Männer sähen, was sich unter der Haut befindet, würde der Anblick der Frauen ihnen Ekel einflößen. Wir würden es nicht ertragen, Auswurf und Kot auch nur mit den Fingerspitzen anzufassen; wie können wir dann den Wunsch haben, einen solchen Haufen Kot zu umarmen?«4
Ja, wie kann man nur? Das war ja gerade das Perfide, das sich so schwer im Männerkopf vereinen ließ: Dass man gleichzeitig heiß begehrt, was man doch zutiefst verachten soll, sich fürchten muss vor den weiblichen Reizen und ihnen dennoch nicht widerstehen kann. So ziemlich alle Religionen stellen ihn her: Diesen so beunruhigenden Zusammenhang zwischen extremer Lüsternheit und massiver Abscheu. Und lösen das Dilemma damit, die Frauen auch noch dafür verantwortlich zu machen. Sollte der Mann nicht mehr an sich halten können, trägt selbstverständlich die Frau die Schuld. Er hatte keine Wahl. Sie schon. Sie hätte sich ja was Ordentliches anziehen können. Etwas, das ihre per se »sündige« Sexualität vergessen macht und sie als das ausweist, was sie ja ohnehin sein sollte: Eine Heilige. Eine Jungfrau. Eine, die es idealerweise sogar schafft, schwanger zu werden, ohne jemals Sex zu haben.
Das ist total verrückt und ziemlich paranoid. Und es sollte heutzutage eigentlich kaum mehr Relevanz besitzen als die Behauptung, dass die Erde eine Scheibe ist und man herunterfällt, wenn man zu weit läuft. Keine moderne aufgeklärte Gesellschaft würde es tolerieren, dass jemand mit diesem flachen Weltbild maßgeblich Einfluss nimmt auf unseren Lebensstil, auf politische und damit auch auf Entscheidungen des Gesetzgebers. Außer, die bekloppte Idee ist Teil eines Glaubenssystems und zementiert ein traditionelles und immer noch sehr willkommenes Frauenbild. Als hätten es die Erfinder der Weltreligionen geahnt, dass es eines Tages argumentativ eng werden könnte für das Patriarchat und man dann immer noch wird sagen können: Dass es Gott oder Mohammed oder Jahwe oder John Smith oder Buddha eben so gewollt hat. Als hätten sich die Kirchenväter schon vor Tausenden von Jahren vorsorglich für den Tag abgesichert, an dem dereinst eine Frau sagen wird: Ich will studieren! Oder: Ich kann selbst denken! Oder: Ich werde das Kind nicht bekommen! Oder: Ich werde Kanzlerin! Oder: Ich weiß, dass ich Spaß haben kann beim Sex und nach ausreichenden Vergleichen auch, dass du dafür ganz sicher nicht der geeignete Kandidat bist. Oder: Ich verlange, dass das Anforderungsprofil für die Papst-Stelle von »katholisch, ledig, männlich« auf »katholisch, weiblich, verpartnert, gern auch mit einer Frau« erweitert wird. Aber – wie Martin Luther schon sagte: »Die Vernunft ist das größte Hindernis in Bezug auf den Glauben, weil alles Göttliche ihr ungereimt erscheint.«
Die Vernunft hat dafür gesorgt, dass im Grundgesetz der Gleichheitsgrundsatz verankert wurde. Sie hat zig wissenschaftliche Belege dafür gefunden, dass die vermeintlich von der Natur gegebene männliche Überlegenheit dorthin gehört, wo auch Schneewittchen und die sieben Zwerge zuhause sind. Dass Männer darüber hinaus sowohl physisch als auch psychisch durchaus in der Lage sind, ihre Hosen geschlossen zu halten, selbst wenn Frauen praktisch nackt unterwegs sind, wissen wir aus Beobachtungen auf den Straßen europäischer Großstädte, aus Schwimmbädern und aus Sauna-Anlagen. Anders als die Weltreligionen, die gerade von den Frauen einfach nicht ihre Finger lassen können. Und das weitgehend unbehelligt. Denn darin offenbart sich ja angeblich gerade das Göttliche: Dass es bar jeder Einsicht auskommt. Der Glaube ist deshalb nach wie vor ein exzellenter Grund, Toleranz für etwas zu fordern, das in jedem anderen Kontext keinesfalls zu tolerieren und sogar justiziabel wäre: Sexismus, Frauenfeindlichkeit und Unterdrückung. Sobald die Männer im Windschatten einer Religion segeln, gilt für sie immer noch Immunität. Eine verstörende Erfahrung für die, die in diesem so hermetisch geschlossenen System gefangen sind. Eine Erfahrung, wie sie Deborah Feldman in ihrem Welterfolg »Unorthodox« beschreibt. Sie schildert dort, wie sie in der chassidischen Gemeinschaft der Sathmarer in New-York aufwächst. Von den Frauen wird strikte Unterwerfung erwartet. Sie sollen gute Ehefrauen und Mütter von möglichst vielen Kindern sein. Sie dürfen nicht lesen. Ihre Kleidung muss den Körper vollständig bedecken, und ihnen ist es nicht erlaubt, ihr Haar zu zeigen. Sie tragen deshalb Perücken. Als Deborah Feldman heimlich beginnt, die Universität zu besuchen, erfährt sie ausgerechnet in einem Seminar mit dem Titel »Vielfalt und Demokratie«, wie Religion und Toleranz zu einer Art Zweikomponentensprengstoff für Frauenrechte geworden sind. Sie trifft auf eine gläubige Muslimin, die genau diesen Dualismus preist, weil er es ihr erlaube, Teil der amerikanischen Gesellschaft zu sein und zugleich ihre Religion, ihre Kultur zu leben. Deborah Feldman antwortet ihr damals: »Das ist ja alles schön und gut, aber was ist mit Leuten wie mir? Ich sitze in einer Welt fest, in der ich dazu gezwungen bin, mich an religiöse Gesetze zu halten, die über der Verfassung stehen. Ich bin Amerikanerin, aber meine Bürgerrechte zählen nicht, weil meine Gemeinschaft anders entschieden hat. Und niemand läuft Sturm, um meine Persönlichkeitsrechte zu schützen, nur weil die Rechte einer Gemeinschaft wichtiger sind?«5 Feldman, die inzwischen in Berlin lebt, war damals fassungslos und ist es heute noch. Darüber, wie auch hierzulande Frauenrechte der »Herrschaft der Religion und der Nachsicht des Staates« geopfert werden. Sie schreibt in einem Beitrag für die taz: »Unsere Gesellschaft ist weiterhin auf erhabene, großzügige Weise nachsichtig mit Gemeinschaften, die Kinder und Frauen unterdrücken, denn dann kann man sich auf die Schulter klopfen für die eigene Großzügigkeit und weitermachen wie bisher.«6 So wird die religiöse