EXIT. Michael Herl

EXIT - Michael Herl


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freiwillig kein Geld an Dritte gezahlt. Und dabei soll es bleiben.« In anderen Bundesländern wird das offensichtlich anders gesehen.

      In den Subventionsberichten der Bundesregierung wird auch aufgelistet, dass der Staat durch die Absetzbarkeit der gezahlten Kirchensteuer von der Lohn- und Einkommensteuer als Sonderausgabe einen Einnahmeverzicht von rund 3,9 Milliarden Euro hinnimmt. Offizielle Begründung: »Begünstigung anerkannter Religionsgesellschaften und ihnen gleichgestellter Religionsgemeinschaften aus kirchen- und sozialpolitischen Erwägungen.« Historisch gesehen wollte man 1949, unter Freunden, dadurch das sozialpolitische Engagement der Kirchen würdigen, die über Gemeindekrankenschwestern und anderes einen Teil der Gesundheits- und Sozialpolitik aus eigenen Mitteln mittrugen. Das ist aber historisch überholt, da alle diese Dienstleistungen – als Teil von Caritas und Diakonie – heute weitestgehend nicht mehr von den Kirchen finanziert werden. Die Begünstigung blieb dennoch erhalten – laut Subventionsbericht: »Unbefristet.«

       Caritas und Diakonie

      Die beiden kirchlichen Wohlfahrtsverbände Caritas (katholisch) und Diakonie (evangelisch) gehören weltweit zu den privaten Firmen mit den meisten Mitarbeitern: 617.000 bei der Caritas und 526.000 bei der Diakonie, zusammen 1.143.000. Ihr Umsatz beläuft sich zusammen auf rund 45 Milliarden Euro pro Jahr, von denen 98,2 Prozent öffentlich finanziert werden (Krankenkassen, Pflegeversicherung, Patienten und Staat).

      Ein Vergleich mit bekannten deutschen Konzernen zeigt diese ökonomische Glanzrolle der kirchlichen Wohlfahrtsverbände in Deutschland. Sie beschäftigen ein Mehrfaches an Mitarbeitern in Deutschland als die Industriekonzerne und übertreffen sogar den Umsatz der Volkswagen AG in Deutschland.

      Es haben: Siemens AG (118.000 Mitarbeiter – 11,1 Milliarden Euro Umsatz), Post AG (215.802 Mitarbeiter – 18,4 Milliarden Euro Umsatz), Daimler AG (170.034 Mitarbeiter – 23,9 Milliarden Euro Umsatz), Deutsche Bahn AG (197.985 Mitarbeiter – 24,1 Milliarden Umsatz) und Volkswagen AG (281.395 Mitarbeiter – 43,7 Milliarden Euro Umsatz).

       Von der Wiege bis zur Bahre …

      Aber auch außerhalb der bisher genannten drei Finanzräume, der verfassten Kirchen, der Caritas und der Diakonie, sowie den Dienstleistungen, die aus Steuergeldern finanziert werden, gibt es weitere Wirtschaftsbereiche, in denen die Kirchen ökonomisch aktiv sind.

      Dazu gab es einen Leitsatz: »Von der Wiege bis zur Bahre: Christliche Talare!« Das will besagen: Sie werden in einem kirchlichen Krankenhaus geboren, gehen in eine kirchliche Kita und in eine Konfessionsschule, machen eine Lehre in einem der vielen kirchlichen Betriebe oder studieren an der Katholischen Universität Eichstätt bzw. einer der vielen kirchlichen Fachhochschulen, arbeiten dann bei einem kirchlichen Unternehmen, lesen eine Kirchenzeitung, schauen Bibel-TV und hören Domradio, fahren mit »Biblischen Reisen« in Urlaub, trinken Bier als »Klosterbräu« oder »Bischofswein«, lassen sich in kirchlichen Krankenhäusern behandeln und gehen, wenn sie alt geworden sind, in ein kirchliches Altersheim, dann in ein kirchliches Hospiz und werden auf einem kirchlichen Friedhof, dem »Gottesacker«, begraben.

      Das alles lässt sich auch ökonomisch darstellen: Rechnet man die genannten Finanzkreise zusammen, so kommt man auf eine Größenordnung von rund 130 Milliarden Euro. Die deutsche Automobilindustrie hatte 2013 mit Produktion, Handel und Reparaturen einen Inlandsumsatz von 123 Milliarden Euro – also eine vergleichbare Größenordnung.

       Kirche: Beste Geschäftsidee

      Damit können Rücklagen gebildet werden, von denen Industriekonzerne nur träumen können. Plausible Schätzungen nennen für beide Amtskirchen eine Größenordnung ihres kirchlichen Vermögens von 300 bis 400 Milliarden Euro. Ihr Grundbesitz beläuft sich dabei auf rund 830.000 Hektar, ihnen gehören, zusätzlich zu den Kirchengebäuden, rund 87.000 Immobilien.

      Ist das nun eine spezifische deutsche Situation? Die Antwort ist: Ja und Nein. Die Größenordnung in anderen Ländern ist zumeist eine andere, und die innige Geschäftspartnerschaft mit dem Staat in Deutschland ist insofern einmalig. Aber um nur einige Beispiele zu nennen: Für die Konfessionsschulen gibt es aus Steuergeldern in Österreich 453 Millionen, in Deutschland 2,3 Milliarden, in Italien 530 Millionen und in Spanien 4,4 Milliarden Euro. Für Religionslehrer zahlt der Staat aus Steuergeldern in Österreich 253 Millionen, in Deutschland 1,7 Milliarden, in Italien 500 Millionen und in Spanien 600 Millionen Euro.

      Für die USA haben Brian und Melissa Grimm eine empirische Analyse zum »Sozio-ökonomischen Beitrag der Religion für die amerikanische Gesellschaft« vorgelegt (Interdisciplinary Journal of Research on Religion, Vol. 12, 2016). Sie untersuchten verschiedene Teilbereiche und kommen zu einer Gesamtschätzung von 1.159,2 Milliarden US-Dollar. Das ist mehr, als die zehn größten Industrieunternehmen der USA (einschließlich Microsoft, Amazon und Google) zusammen auf dem US-Markt umsetzen.

      Das muss natürlich alles beschützt und organisiert werden. Wie jede Organisation, die politisch etwas zu ihren Gunsten bewirken will, pflegen auch die Kirchen ihren Lobbyismus. Dafür haben die Kirchen ihre Lobby-Büros in Berlin und in den Landeshauptstädten.

      Oberkirchenrat Hermann Kalinna, von 1977 bis 1994, also 28 Jahre lang, stellvertretender Bevollmächtigter des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland in Bonn, hat das einmal auf den Punkt gebracht: »Staat und Kirche sind jedoch zu komplexe institutionelle Gebilde, als dass man ihre Kontakte und Beziehungen auf einen Begriff bringen könnte. Dabei sind vorgegeben das komplexe staatskirchenrechtliche System und die ungeschriebenen Regeln des Umgangs. Die Beherrschung beider ist wichtig, damit das Verhältnis Staat-Kirche nicht der Steuerung durch die Kirchenleitung entgleitet.« Man muss es noch ein zweites Mal lesen: »… damit das Verhältnis Staat-Kirche nicht der Steuerung durch die Kirchenleitung entgleitet.« Das hat er nicht hinter verschlossenen Türen geäußert, sondern so steht es – für jeden nachlesbar – im »Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland«.

      Wie steht es nun um den Erfolg des kirchlichen Lobbyismus in Deutschland? Die Bewertung dessen möchte ich einem der kompetentesten Insider überlassen. Er sagte zum einen: »Wir sind die einzigen Lobbyisten, die alles auf dem Schirm haben«, und zum anderen: »Unser Erfolg beeindruckt manchmal auch die Bankenlobby oder die Atomlobby.« Das sagte Prälat Dr. Karl Jüsten, als Leiter des Kommissariats der deutschen Bischöfe der katholische Chef-Lobbyist in Berlin.

      Mit Goethe hatte dieser Beitrag begonnen, mit dem Geheimrat soll er auch schließen:

      »Die Kirche hat einen guten Magen, / Hat ganze Länder aufgefressen, / Und doch noch nie sich übergessen; / Die Kirch’ allein, meine lieben Frauen, / Kann ungerechtes Gut verdauen.« (Goethe, Faust. Der Tragödie erster Teil, 1808. Spaziergang, Mephistopheles zu Faust) Und: »Die Kirche liegt in ewigem Streit mit dem Staat, der ihr die Oberherrschaft nicht zugestehn will.« (Goethe, Autobiographisches. Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit, 1811, 3. Teil, 11. Buch)

      CONSTANZE KLEIS

      Fifty Shades of Gott

      Die Weltreligionen stimmen in seltener Eintracht seit Jahrtausenden darin überein, die Frau als ein Mängelexemplar zu betrachten.

      Er ist mächtig, unglaublich reich und sehr dominant. Ein richtiges Alphatierchen, das nichts von Augenhöhe, dafür aber viel von Unterwerfung hält. Beziehungen mit ihm gibt es nur, wenn Frauen einen Vertrag abnicken, der ihnen vorschreibt, wie sie sich kleiden, mit wem sie Sex haben und was sie dabei empfinden dürfen. Es sollte vor allem Dankbarkeit sein. Denn eigentlich hält er Frauen für unrein, befleckt, irrational, minderwertig. »Eine verdorbene Speise, eine stinkende Rose, ein süßes Gift, immer der Sache hinterher, die ihr verboten ist«, wie es Salimbene von Parma, einer seiner Sprecher, Franziskaner und Historiker im 13. Jahrhundert formulierte.1 In »Bondage-Discipline-Dominance-Submission-Sadism-Masochism«-Fachkreisen nennt man so etwas einen BDSM-Vertrag. Ein Schriftstück, das die Beziehung zwischen Herrn und Sklavin definiert.


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