EXIT. Michael Herl

EXIT - Michael Herl


Скачать книгу
tradierte heidnische Spiritualität nicht über den Haufen, sondern dockte an bestehende Gemeinschaften an. Eine effiziente Form des »Community Marketing«. Werbeagenturen bezeichnen diese Strategie des »Trittbrettfahrens« auch als »Movement Marketing«.

      Konstantin verschaffte der christlichen Gemeinde im Jahre 310 den offiziellen »Marktzugang« in Rom, und Kaiser Theodosius 380 die »Monopolstellung« als Staatsreligion. Damit war die »Uniqueness« erreicht und es begann die erfolgreiche Geschäftspartnerschaft zwischen Kirche und Staat. Beiden war bekannt, was der römische Historiker Titus Livius – er lebte von 59 vor bis 17 nach Christus – bereits festgestellt hatte: »Not lehrt beten!«

      Damit waren alle Elemente für eine erfolgreiche Konzeption der »Copy Strategy« des Christentums beisammen. Wesentlich waren dabei: Der »Consumer Benefit« (das Versprechen der Gleichheit aller Menschen – nicht auf der Erde, aber vor Gott), die »Unique Selling Proposition«, das wesentliche Alleinstellungsmerkmal einer allumfassenden (katholischen) Staatsreligion, mit überzeugenden »Testimonials« (Jesus als Christus, Kaiser Konstantin und Kaiser Theodosius). Und das »Reason Why« war das Versprechen der Auferstehung von den Toten. Für alle.

      Für die Kirche war die Bildung eines hierarchisch organisierten Klerus die Grundlage für den Geschäftsbetrieb ihres Machtwillens: Innerhalb der religiösen Gemeinschaft besteht eine Gruppe von geweihten Amtsträgern mit priesterlichen Funktionen (die Kleriker), die deutlich von den übrigen Gläubigen (den Laien) abgehoben sind. Das Basiskonzept ist dabei eine einfache, duale und robuste Unterscheidung, die auch Menschen verstehen, die nicht lesen und schreiben können: Die Menschen leben in einem Jammertal, da sie alle Sünder sind, Lügner, die in die Hölle kommen werden, wo sie unsägliche Qualen erleiden. Und Sterben tun sie alle, und dann sind sie tot. Davor kann sie nur eine einzige Organisation retten, die Kirche. Auch wenn der Mensch aus dem Paradies vertrieben wurde, so kann er doch durch Gott und seine Kirche Vergebung erlangen, die Wahrheit erkennen, ins Himmelreich kommen und erlöst werden. Den Tod braucht man nicht zu fürchten, er ist ein Doppelpunkt, für das wahre Leben und die Auferstehung. Und: Für alles das braucht es keine »Supporting Evidence«. Diese Ansatzpunkte wirken perfekt. Der einzelne Mensch, der um seine Schwäche weiß, wird von Kindesbeinen an in kirchliche Rituale eingeübt, die er verinnerlicht, und er wird in eine sozial-religiöse Gemeinschaft eingebunden, die ihm Halt gibt. Durch die partielle oder komplette Infantilisierung der Mitglieder, die den anmaßenden Klerus mit »Vater« anzusprechen haben, bleiben sie dem Vater – vom einfachen Pater über den Heiligen Vater bis hin zum Gott-Vater – dankbar für seine Sorge und seinen Schutz, und gleichzeitig haben sie Angst vor einer Bestrafung durch ihn, wenn sie sich falsch verhalten. Das nennt sich Ehrfurcht und ist staatliches Erziehungsziel in Bayern und in Nordrhein-Westfalen.

      Und es entsteht ein ungewöhnlicher Nebeneffekt: Aus der Idee, dass alle Menschen Sünder seien, gibt es auch für den Klerus, das »Bodenpersonal« Gottes, keine Produkthaftung!

      Mit anderen Worten: Jeder Mensch macht Fehler, wird Sünder, und trägt keine Verantwortung für sein Handeln oder seine Versprechen, wenn er mit Gott wieder im Reinen ist, und das geht – in der Beichte – nur mithilfe des geweihten Klerus.

      Der Klerus ist eine »Flache Hierarchie« (»heilige Ordnung«) und über das »Corporate Design« des Collars (Priesterkragen) leicht erkennbar in drei Varianten: Pater/Priester (Soutane und Zingulum = Gürtel sind schwarz), Bischöfe (schwarze oder rote Soutane, rotes Zingulum), Papst (Soutane und Zingulum in weiß). Diese »Corporate Identity« gilt auch für alle Mönchs- und Nonnenorden, die an ihrem Habit (ihrer Kleidung) zu erkennen sind, das für alle Mitglieder genau gleich ist.

      Im »Branding« ist die Einzigartigkeit des Markenzeichens »Christliches Kreuz« so stark, dass es diverse Untermarken integrieren kann und immer erkennbar bleibt. Das Ganze wird eingebettet in »Give Aways« (Andachtsbildchen und Fleißkarten), »Promotions« (Herz-Jesu-Bilder usw.) und Fan-Artikel (Devotionalien). »Merchandising« zu übersichtlichen Preisen!

      Unübersehbar ist zudem die Anzahl der »Points of Sale« (Kirchengebäude), von denen es mehr als zehn Mal so viele gibt wie Filialen von ALDI Nord und ALDI Süd zusammen. Auch wenn die »Branded Utility« der Kirchturmglocken als Zeitangabe nicht mehr so stark ist, bleibt der »Flagship Store« in Rom ein Touristenmagnet.

       Kirche und Membership Economy

      Das besonders in Deutschland wirtschaftliche Erfolgsmodell »Katholische Kirche« beruht neben der exklusiven Geschäftspartnerschaft mit dem Staat auf einer »Membership Economy«, will heißen: Von der katholischen Kirche wird alles getan, um die Kirchenmitgliedschaft und damit das Zahlen der Kirchensteuer zu gewährleisten, was mithilfe des staatlichen Inkassos geschieht. Dazu zwei Beispiele:

      Taufe, Firmung und Eucharistie sind die drei Sakramente, durch die der Mensch in die katholische Kirche eingegliedert wird. Die Taufe ist einerseits gleichsam ein Versprechen der Eltern, das Kind christlich zu erziehen, und andererseits der Beginn einer Kirchenmitgliedschaft. Damit diese Taufe und die Kirchenmitgliedschaft jedoch vollständig werden, ist katechetisch und kirchenrechtlich die Firmung zwingend vorgeschrieben. Das heißt, erst durch die Firmung des mit 14 Jahren kirchenrechtlich Erwachsenen wird die Kirchenmitgliedschaft bestätigt und endgültig.

      Nun ist es aber so, dass sich beispielsweise im Erzbistum Köln nur rund 50 Prozent der Täuflinge auch firmen lassen. Ihre ohne ihre Zustimmung begonnene Kirchenmitgliedschaft müsste also von Seiten des Bistums beendet werden. Das geschieht jedoch nicht.

      Noch ein weiterer Aspekt. Lange war umstritten, ob beim Austritt aus Religionsgemeinschaften, deren Mitgliedschaftsrecht an die staatlichen Austrittsgesetze anknüpft, erklärt werden kann, der Austritt solle nur für den staatlichen Bereich gelten, die Mitgliedschaft aber bestehen lassen. Die Folge dieses »Kirchenaustritt mit nur bürgerlicher Wirkung« wäre eine Mitgliedschaft ohne entsprechende Verpflichtungen (z. B. keine Zahlung von Kirchensteuer). Die Streitfrage hat sich aber dadurch erledigt, dass die staatlichen Kirchenaustrittsgesetze insoweit geändert wurden, als sie Zusätze und Bedingungen zur Austrittserklärung nicht mehr zulassen.

      Tritt man in Deutschland aus der katholischen Kirche aus, wird man exkommuniziert, das heißt von den Sakramenten ausgeschlossen. Das hatte Papst Benedikt XVI. als unverhältnismäßig hart kritisiert, da die Exkommunikation nur bei Glaubensabfall oder Ungehorsam gegen einen Bischof vorgesehen sei. Die deutsche Bischofskonferenz erwiderte daraufhin, man werde bei der bewährten Praxis bleiben. Das entspräche dem Canon 222 des katholischen Kirchenrechts: »Die Gläubigen sind verpflichtet, für die Erfordernisse der Kirche Beiträge zu leisten.«

      Diese beiden Beispiele zeigen, dass die katholische Kirche für den Geschäftserfolg auch pragmatisch bereit ist, katechetische Erfordernisse oder staatliche Gesetze zu missachten. Ein Blick auf die Zahlen zeigt, dass die Bischöfe der katholischen Kirche in Deutschland sich mit diesen kompromisslosen Maßnahmen ökonomisch – im Hinblick auf die »Membership Economy« – absolut richtig verhalten.

      Ein erster Blick scheint anderes zu bedeuten. Es ist richtig, dass sich der Filialbesuch in den »Points of Sale« (der regelmäßige Gottesdienstbesuch) von 1950 bis 2017 von 50 Prozent der Kirchenmitglieder auf zehn Prozent reduziert hat. Aber die Markentreue der Kundschaft zur Marke Kirche verringert sich vergleichsweise nur gering. Es sind im Mittel der Jahre von 1980 bis 2017 nur 0,6 Prozent pro Jahr. Das bleibt im Bereich des Überschaubaren.

      Und vor allem zeigt es im Bereich der Ökonomie keine Auswirkungen, denn die Umsätze mit den Einnahmen aus der Kirchensteuer steigen – und das ist ja das Ziel der »Membership Economy«. 2015 wurde die Sechs-Milliarden-Euro-Grenze überschritten. Das mittlere Wachstum der Kirchensteuereinnahmen der katholischen Bistümer (von 1991 bis 2017) liegt bei 2,1 Prozent. Und diese Einnahmen werden, trotz Mitgliederverlusten, weiter steigen. Das Institut der deutschen Wirtschaft hat in einer Prognose (IW-Kurzbericht 78/2018) begründet geschätzt, dass die Kirchensteuereinnahmen der katholischen Bistümer bis zum Jahr 2023 auf 8,2 Milliarden Euro steigen werden und die der evangelischen Landeskirchen auf sieben Milliarden.

      Es gibt allerdings auch Grenzen dieses Konzepts, denn als zur Beendigung der »Schummelei« der Kirchenmitglieder


Скачать книгу