Forschungsmethoden in der Fremdsprachendidaktik. Группа авторов

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in dem vielfältige kulturelle Stimmen wahrnehmbar werden können, die den Lernenden Gelegenheit bieten, eigene Überzeugungen und Wahrnehmungsmuster zu erkennen, zu hinterfragen und möglicherweise zu modifizieren. Dialogische Aushandlungsprozesse unter Nutzung der Fremdsprache sind wesentliches Merkmal der unterrichtlichen Diskurssphäre, Lernende werden als (inter)kulturelle Aktanten (ebd. 34) und diskursive Mitspieler begriffen. Hallet erörtert das didaktische Potenzial von Intertextualität in doppelter Weise. Zum einen thematisiert er die Zusammenstellung von Materialien als Textensembles, zum anderen das intertextuelle Arbeiten und die Rolle lerneraktivierender Verfahren. Beide Perspektiven führen ihn zu einer Neubewertung von MaterialentwicklungMaterialentwicklung im weiteren Sinne und somit zu einer Neubestimmung der Aufgaben der Textdidaktik.

      Hallet konkretisiert sein Modell und dessen Implikationen für die Materialentwicklung auf der einen und die Strukturierung des Lern- und Begegnungsraums auf der anderen Seite durch verschiedene Unterrichtsmodelle und Unterrichtsreihen, die das Zusammenspiel von literarischen Schlüsseltexten als Teil komplexerer Textensembles und den diskursiven Zugriffen im Klassenzimmer weiter differenzieren. Die Möglichkeiten der Kontextualisierung literarischer Texte durch andere Textsorten sowie das Potential gattungstypologischen Arbeitens mit einer klaren Orientierung auf thematisch relevante Diskurse werden unterrichtsnah mit Beispielen erörtert.

      3 „Persönlichkeitsentwicklung und Fremdsprachenerwerb“: Landeskundedidaktik

      Gisela Baumgratz-Gangls Forschungsarbeit (1990) ist in den engagierten bildungspolitischen Diskussionen der 70er und 80er Jahren situiert, die auf die Expansion des europäischen Binnenmarktes folgte und der damit gegebenen größeren Mobilität seiner Bürger. Sie nimmt Bezug auf eine ganze Reihe deutsch-französischer Bildungsprojekte. Letztere galten sowohl der Entwicklung von Unterrichtskonzepten für den Französischunterricht der Sekundarstufe I und II, der Lehrerfortbildung durch erlebte Landeskunde und vor allem der Förderung deutsch-französischer Austauschaktivitäten, die von Korrespondenzprojekten über Studienfahrten bis hin zum Schüleraustausch reichten. Baumgratz-Gangl entwickelt einen theoriegeleiteten Zugriff auf diese Erfahrungen, ohne sie allerdings empirisch auszuwerten. Ausgehend von der Annahme, dass der schulische Fremdsprachenunterricht einen „wichtigen Beitrag zur Verbesserung transnationaler und internationaler Kommunikation leisten“ kann, „wenn es gelingt, die Schüler für andere Menschen, ihre Gefühle, Gewohnheiten, Wünsche und Lebensbedingungen zu interessieren“ (ebd. 28), erörtert Baumgratz-Gangl Ergebnisse der Sozialisationsforschung, insbesondere psychosoziale Faktoren der Subjektkonstitution, um zu bestimmen, welche Persönlichkeitsentwicklung bei Schülerinnen und Schülern gefördert werden muss, damit sie befähigt werden, sowohl die Herausforderungen transkultureller Mobilität (etwa Erfahrungen der Fremdheit und Entfremdung) zu meistern, als auch die Chancen zum Lernen von und mit anderen selbstbewusst zu ergreifen. Der Tätigkeitstheorie von Galperin folgend skizziert Baumgratz-Gangl Dimensionen einer relationalen Sprach- und Landeskundedidaktik, die nicht primär das Ziel verfolgt, Wissen zu vermitteln, sondern auf die „Qualifizierung der Persönlichkeit für den zwischenmenschlichen Umgang mit Angehörigen der anderen Gesellschaft und Kultur, bzw. anderer Gesellschaften und Kulturen“ (ebd. 131) setzt. Das Gesamtarrangement des Unterrichts (das Ensemble von Themen, Texten und kommunikativen Situationen) berücksichtigt die persönlichen Erfahrungen der Lernenden; die Unterrichtsmethoden stärken ihre Risikobereitschaft und sensibilisieren für den Umgang mit Fremden. In Bamgratz-Gangls Lehr- und Lernkonzept spielen alle jene Situationen eine Schlüsselrolle, die einen kommunikativen Ernstfall involvieren: die Klassenkorrespondenz, das Auslandspraktikum und der Schüleraustausch.

      4 „Linguistik und Englischunterricht“

      Das zweibändige Werk Werner Hüllens Linguistik und Englischunterricht (Hüllen 1971, 1979) trägt den Untertitel „Didaktische Analysen“, die sich zum Ziel setzen, den fremdsprachlichen „Unterricht, wie er im praktischen Vollzug erfahren wird, durch theoretische Überlegungen konsistenter, verlässlicher, wohl auch besser und erfolgreicher zu machen“ (Hüllen 1971: 7). Kontext für Hüllens Arbeiten sind zum einen die bildungspolitischen Umwälzungen, die sich in der 1965 beschlossenen Einführung der ersten Fremdsprache für alle Kinder ab der 5. Klasse, also auch für die Hauptschüler, zeigten und deshalb neue Konzepte für das Lehren und Lernen von Fremdsprachen erforderlich machten, zum anderen die Theoriebildung in der Linguistik, insbesondere die Herausbildung der Angewandten Linguistik. Hüllen geht es um eine Klärung des Verhältnisses der verschiedenen Teilbereiche und Modelle der Sprachwissenschaft zu dem eigenständigen Handlungsbereich Fremdsprachenunterricht. Er erörtert didaktische Implikationen linguistischer Grundbegriffe (Sprache, Grammatik, Lexik, Semantik), diskutiert didaktische Leistungen linguistischer Modelle (Generative Transformationsgrammatik, Kontextualismus) und wendet sich dann vor allem den Implikationen der Pragmalinguistik zu, die zusammen mit der Fokussierung der Emanzipation als übergeordnetem Lernziel des Fremdsprachenunterrichts in der Phase der sogenannten Kommunikativen Wende die fachdidaktische Diskussion bestimmte. Zu welchen Ergebnissen linguistisch fundierte Planung von Englischunterricht führt und wie dabei Linguistik und Fachdidaktik zusammenwirken, wird für verschiedene Komplexe verdeutlicht (Passiv in einer didaktischen Grammatik, Nominalkomposita oder Ausspracheunterricht).

      Im Schlusskapitel des zweiten Bandes bilanziert Hüllen mit Rückblick auf mehr als ein Jahrzehnt Diskussion über das Verhältnis von Linguistik und Didaktik, dass die „hohen Erwartungen an eine didaktische Verwendbarkeit linguistischer Begriffe, Methoden und Erkenntnisse [. . .] zurückgenommen werden mussten“ (1976: 141) und dass eine direkte Übernahme linguistischer Erkenntnisse und Analyseverfahren für den Fremdsprachenunterricht seinen besonderen Bedingungen nicht Rechnung tragen kann. Es sei Aufgabe der Fremdsprachendidaktik, ihre Möglichkeiten als praxisorientierte Wissenschaft interdisziplinär zu verorten und von einer solchen Perspektive ihre Forschungspraxis und damit zugleich das Verhältnis von Linguistik und Didaktik zu bestimmen (1976: 151).

      3.2.3 TheorieTheorie und EmpirieEmpirie

      Theoretische Forschung als Teil einer praxisorientierten Disziplin, einer Handlungswissenschaft, bezieht sich immer auch auf die Empirie, wie die hier erwähnten und skizzierten Beispiele zeigen. Ein solcher Bezug kann in mehrfacher Weise deutlich werden: Die Empirie kann diesen Studien entweder vorgelagert sein und geht als Bericht, als dokumentierte Erfahrung, als Erfahrung der Autorinnen und Autoren in die Überlegungen ein. Der Studie von Klippel zum Lernspiel vorgelagert waren „viele anregende englische „Spielstunden“ mit Hauptschülern unterschiedlicher Klassenstufen“ (Klippel 1980: 5); Hallets Textensembles (Hallet 2002) sind vor ihrer diskursiven Erörterung durch mehrjährige Erprobungen im eigenen Unterricht gegangen. Oder die Empirie ist den Studien nachgelagert und erscheint in der Form von Überprüfung oder Vergewisserung: Nach der umfassenden Bestimmung kreativer Verfahren im Umgang mit literarischen Texten befragt Caspari (1994) Berliner Französischlehrkräfte zum Einsatz und zur Bewertung eben dieser Verfahren. Ferner lassen Ergebnisse theoretischer Forschung die Empirie als anvisierte erscheinen. Sie manifestiert sich in Handlungsvorschlägen, Empfehlungen oder Angeboten von neuen Sichtweisen auf die Praxis, etwa in der Bestimmung und Begründung von Textauswahl und im Entwurf lerneraktivierender Aufgaben für zukünftigen Unterricht (Bredella 2002). Sie zeigt sich in der Konkretisierung intertextueller Unterrichtsmodelle (Hallet 2002), in Vorschlägen zur Nutzung transkultureller Begegnungen innerhalb und jenseits des Unterrichts (Baumgratz-Gangl 1990), in Ansätzen einer fremdsprachlichen Leselehre (Ehlers 1998) sowie im Erkennen und Auskundschaften von Spielräumen für Autonomie (Schmenk 2008). Dieser anvisierte Praxisbezug ist jedoch in keinem der Beispiele präskriptiv gemeint bzw. von dem Verständnis bestimmt, als zwingend aus der Theorie gewonnene Ableitungen für praktisches Handeln im Unterricht zu gelten. Die hier skizzierte theoretische Forschung versteht sich folglich auch nicht als Anwendungsdidaktik. Denn alle auf die Praxis bezogenen Erkenntnisse, zum Teil als Empfehlungen für das Handeln im Unterricht formuliert, bedürfen nicht nur der diskursiven Würdigung und Validierung derjenigen, die aus den unterschiedlichen Perspektiven ihrer jeweiligen Praxis (als Lehrende, als Verfasserinnen und Verfasser von Lehr- und Lernmaterial) auf solche Erkenntnisse zugreifen und dabei ihre Relevanz und Reichweite ausloten. Die Erkenntnisse verlangen auch nach empirischer Überprüfung. Ein besonderes Merkmal theoretischer


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