Das Haus des Meisters. Jochen Nöller

Das Haus des Meisters - Jochen Nöller


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»… allen Menschen werden Grundrechte zugesichert. Ausgenommen hiervon sind die Magier, die dem Reigen des Magus unterliegen. Hm, da steht nichts über Mischformen oder Tiermenschen.«

      Völlig in Gedanken stellte der Meister die Schale auf die Arbeitsplatte, sortierte seine Blätter neu und begann erneut zu sprechen: »Urteil durch den Großmagnat: Der Meister gegen den Sklaven. Begründung des Urteils: Tiermenschen und Mischwesen besitzen keinerlei Rechte. Urteil: Tod durch den Strick. Hm, kein Bezug auf die Grundrechte im Urteilsspruch. Ich brauche wesentlich mehr Informationen…«

      Gedanklich bei seinen Zetteln wandte sich der Junge um und ging geradewegs durch die Tür zum Korridor. Mit einer Pfote die Tür aufhaltend starrte der Sklave seinem Meister hinterher.

      Hat mein Herr mich überhaupt bemerkt, fragte er sich erstaunt über das seltsame Verhalten. Immer noch vor sich hin grübelnd ging der nun in sein Büro und war verschwunden.

      Kiyoshi schüttelte den Kopf und kümmerte sich um die leere Schale. Dieser Junge war nicht wie andere Meister, ging es ihm durch den Kopf. Er wusste nicht einmal, warum sein Herr solche Dinge las. Na ja, das sollte nicht sein Problem sein. Und so streifte er durch den Gang und die Eingangshalle auf dem Weg zur Gartentür.

      Den Rest des Tages wanderte er über das Grundstück und fand dabei allerlei interessante Dinge. Direkt hinter dem Haus war ein Gartenbereich mit Pool. Zudem gab es mehrere Liegen sowie Stühle, Bänke, Sonnenschirme und auch einen Grillplatz. Dieser Bereich wurde durch eine niedrige Hecke abgetrennt. Hinter der Begrenzung erstreckte sich ein weitläufiges Gelände, mit Wiesen, Bäumen und Blumen. Auf einer Waldlichtung nordwestlich vom Herrenhaus lag der Eingang zu einer Gruft. Da die Tür sich nicht öffnen ließ, schenkte er diesem Bauwerk keine weitere Bedeutung. Östlich vom Pool entdeckte er einen weiteren, kleineren Pool, versteckt hinter einer hohen Hecke.

      Als die Sonne langsam unterging, machte er sich auf den Rückweg. Der Hunger trieb ihn in die Küche. Dort fand er einen abgedeckten Teller auf der Anrichte. Vor dem Teller stand ein kleines Schild mit seinem Namen in einer verschnörkelten Handschrift. Mit großen Augen sah Kiyoshi unter die Abdeckung. Zum Vorschein kamen ein großes Steak, Kartoffelbrei und ein wenig grünes Gemüse. Neben dem Teller lag eine gefaltete Serviette, mit eingestecktem Besteck. Keine zwanzig Minuten später war der Teller vom Essen befreit und lag sauber im Schrank bei den anderen. Diesmal hatte er sogar versucht, mit Messer und Gabel zu essen, war aber schnell davon abgewichen. Es fühlte sich einfach nicht richtig an. Auch diesmal wollte er sich um den Abwasch kümmern, jedoch konnte er, außer den von ihm selbst benutzen Dingen, keine weiteren finden. Der Meister hatte wohl schon aufgeräumt.

      Gesättigt ging er langsam zum Verbindungskorridor zurück. Auf halbem Weg durch den Gang fand er die Bürotür einen Spalt geöffnet. Durch diesen lugte der neugierige Tiger in den Raum und fand den Meister auf dem Sofa schlafend vor. Um den Menschen herum und zum Teil auch auf diesem, lag ein Sammelsurium von Papieren und Ordnern.

      So leise er konnte, schlich er sich ins Zimmer. Sein Herr lag friedlich und vollkommen wehrlos da und schnarchte ganz leise. Das wäre der perfekte Zeitpunkt, den Menschen zu beseitigen. Aber insgeheim musste er sich eingestehen, dass er diesen Knaben irgendwie gernhatte.

      Mit einem stummen Seufzen auf den Lippen sammelte er die Akten rund um seinen Meister ein und legte sie fein säuberlich auf den Schreibtisch. Dann stand er vor dem Jungen, unschlüssig, was er jetzt tun sollte. Jetzt, wo er darüber nachdachte, konnte er sich nicht erinnern das Schlafzimmer des Menschen gefunden zu haben. Also konnte er ihn auch nicht ins Bett bringen, wenn er das denn überhaupt getan hätte. Er sah sich um und fand eine Decke auf einem Stuhl in der Nähe. Diese breitete der Tiger über ihm aus, sorgsam darauf bedacht, den Meister nicht zu wecken.

      Zufrieden mit seinem Werk ging Kiyoshi in sein Zimmer und versuchte ebenfalls zu schlafen. Jedoch konnte er einfach keine Ruhe finden. Es herrschte absolute Stille im Raum, genau das war sein Problem. Seit über zehn Jahren musste er seine Unterkunft mit anderen Sklaven teilen. Jetzt ohne die anderen, fühlte er sich allein und schutzlos.

      Wehmütig dachte er an das Gefühl der Geborgenheit, das sein Meister ihm vor nicht mal 24 Stunden gegeben hatte. Er hatte sich geschworen, sich vor seinem Herrn keine Blöße zu geben. Dennoch musste Kiyoshi gegen den Drang ankämpfen, in das Büro zu schleichen und sich dort auf dem Boden zusammenzurollen. Unruhig warf er sich hin und her. Mit einem gefrusteten Seufzen stand er schließlich auf und verließ sein Zimmer. Da er keinen Schlaf finden konnte, wollte er eine Runde spazieren gehen.

      Unbekannt

       Die Otterbrüder

      Geschunden und mit zahlreichen Wunden übersät lagen die Otterbrüder auf einem Hauch Stroh in der Ecke des Raumes. Sie versuchten sich Mut zu machen, doch es half nichts. Sie waren des Todes und es gab keine Hoffnung auf Erlösung. Ihrem Schicksal zu entfliehen, schien unmöglich. Schwermütig dachten sie an den Umstand ihrer Pein. Noch vor einem Tag waren sie glücklich gewesen. Ein Kunde hatte sie beide gekauft und mitgenommen. Froh dem Sklavenhändler entkommen zu sein, verwendeten sie all ihr Wissen darauf, sich ihrem neuen Meister erkenntlich zu zeigen.

      Sie lasen ihm jeden Wunsch von den Augen ab und taten alles, was er verlangte. Ihren Herrn zufriedenzustellen und ihm dienen zu dürfen, war alles, was sie wollten. Doch der Primär des Meisters sah seine Position gefährdet. Zwei so willige und perfekte Sklaven, das konnte er nicht zulassen. Und so begann die Pein der Otter.

      Mit einer List lockte der Primär die Otter in einen Raum, dort sagte er ihnen, sie sollten die Gegenstände in den Regalen herausnehmen und in Beutel verstauen. Mit einer Verbeugung machten die Brüder sich ans Werk. Keine fünf Minuten später stürmte ihr Meister in den Raum hinein, mit schweißnasser Stirn und tobend vor Wut. In der einen Hand hatte er eine Peitsche, in der anderen einen Stock mit metallischen, scharfen Kanten. Mit Hass in den Augen schlug er ein ums andere Mal auf die neuen Sklaven ein. Dabei schrie er, wie sie es wagen konnten, ihn zu bestehlen. Wimmernd und geschunden verloren sie das Bewusstsein.

      Als sie erwachten, waren ihnen Arme und Beine gefesselt. Der Primär ihres Meisters schenkte ihnen ein dämonisches Grinsen und flüsterte ihnen zu: »Ihr zwei seid nun keine Gefahr mehr für mich. Wir sehen uns in der Hölle, geht ruhig schon mal vor.« Dann wurde der Kofferraum zugeschlagen und sie wurden zu ihrem alten Herrn, dem Sklavenhändler Ursay zurückgebracht.

      Mit den Worten: »Ich erwarte einen wichtigen Kunden, ich kümmere mich später um die beiden«, wurden sie vom gelben Tiger des Händlers in eine der Zellen verfrachtet. Sie konnten hören, wie sich der Geschäftsmann wiederholt entschuldigte und dem Kunden immer höhere Rabatte versprach, bis dieser einlenkte und sich beruhigte. Es hatte keinen Zweck, ihrem alten Meister die Situation zu erklären. Das Wort zweier Sklaven stand gegen das eines Kunden. Es gab keine Chance auf Rettung für sie und so konnten die beiden nur schweigend ihrem Schicksal entgegenschauen.

      Plötzlich entstand Unruhe. Der wichtige Kunde musste eingetroffen sein. Auf dem Gang vor ihrer Zelle herrschte hektischer Betrieb. »Alle in einer Reihe aufstellen. Hopp, hopp, nicht so langsam«, grölte die Stimme des Primärs durch den Gang. Der eine Bruder stand auf und sah durch die Gitter auf das Chaos vor der Tür.

      »Jerry, steh auf. Ein neuer Meister ist da.«

      »Glaubst du, er meinte uns auch, Terry?«

      »Ja. Er sagte doch alle. Komm schnell, wir müssen gehorchen.« Aneinander gestützt öffneten sie die unverschlossene Zelle und gesellten sich in die Reihe der Wartenden. Die anderen Sklaven sahen ihre malträtierten Körper erstaunt an.

      Ein Geflüster hob an. In Windeseile wussten alle Sklaven, dass die Otter wieder da waren. Die anderen begriffen sofort, was geschehen würde. Keines der Wesen wollte ihr Schicksal teilen und alle wichen entsetzt vor ihnen zurück.

      »Guck mal, Terry, die machen uns Platz.«

      »Komm, wir dürfen den Kunden nicht warten lassen.«

      Einige der Umstehenden schüttelten die Köpfe. Die Otter waren echt liebenswerte Gesellen, doch ihr Verstand war eindeutig zurückgeblieben. Aber das machte sie zu perfekten


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