Das Haus des Meisters. Jochen Nöller

Das Haus des Meisters - Jochen Nöller


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      Durch einen Spalt im Vorhang konnten die Brüder ihren alten und nun wieder aktuellen Primär erkennen. Dieser verbeugte sich gerade demütig und gab ihnen das Zeichen zum Eintreten. So anmutig, wie es eben ging, schlurften die Otter auf die Bühne und verbeugten sich ebenfalls vor den Menschen im Raum. Der Primär erbleichte und schien zu geschockt, um eingreifen zu können. Auch der Sklavenhändler sah erschüttert und sprachlos zu den Ottern auf. Er konnte offenbar nicht fassen, was er da zu Gesicht bekam.

      »Oh, die sehen etwas, ähm…, mitgenommen aus, würde ich mal anmerken. Ist das der Normalzustand hier?«, fragte der neue Kunde und musterte die Sklaven interessiert.

      »Vergebt mir diesen Fehler, mein Herr. Wir werden gleich mit der Vorführung beginnen können«, erwiderte der Händler und warf seinem Primär einen vernichtenden Blick zu. Mit einer Geste machte er dem Tiger verständlich, dass er die Otter wegschaffen sollte.

      »Wartet, ich möchte sie mir genauer ansehen.«

      »Mein Herr, das ist nur Abfall, ich zeige Euch nun die richtige Ware.«

      »Und was ist, wenn ich die beiden haben möchte?«

      »Tut mir sehr leid, mein Herr, aber da muss ich ablehnen. Ich habe einen Ruf zu verlieren. Ich kann keine beschädigte oder fehlerhafte Ware verkaufen.«

      Der Primär schritt ein und schob die Brüder eilig von der Bühne. Er schubste sie grob in ihre Zelle zurück und schlug sie nieder. Die Otter krochen in eine Ecke und wimmerten, während ihr Peiniger sich umdrehte und wortlos verschwand. Die Eisentür fiel ins Schloss und der Tiger knurrte wütend auf. Noch während er die Tür abschloss, fauchte er die Sklaven im Gang an, warum sie die Otter nicht aufgehalten hatten. Keiner wagte es zu antworten und so schrie er die Wesen an: »Niemand geht durch diesen Vorhang, bevor ich ihn nicht für gut genug befunden habe.«

      In ihrer Ecke kauernd konnten die Brüder hören, wie der Primär vor ihrer Zelle wütete. Ein paar Wesen jaulten schmerzerfüllt auf, als er sich ihrer annahm. Nur wenige durften zum Vorzeigen gehen, die meisten aus dieser Gruppe schlug er nieder und schickte sie zu ihrer Unterkunft zurück. Dann wurde es etwas ruhiger, aber immer, wenn der Tiger an ihrer Tür vorbeikam glühten seine gelben Augen von all dem Hass gegenüber den Ottern.

      Nach einer ganzen Weile wurde die Zelle wieder geöffnet und der Obersklave stand in der Tür. Hinter ihm konnten die Otter noch zwei andere Gestalten ausmachen. Diese beiden waren muskelbepackte Wesen, die meist zum Tragen schwerer Lasten eingesetzt wurden. Die Geschundenen wussten, dass ihr Ende nun gekommen war. Es gab nichts, was sie jetzt noch retten konnte.

      »Ich habe eine gute und eine schlechte Nachricht für euch. Die Gute ist, ihr werdet dem Kunden als Bonus geschenkt, also werde ich euch nicht das Fell abziehen…«, schwatzte der Sadist gut gelaunt, wobei seine Augen vor Schadenfreude nur so sprühten. »Und nun zur schlechten Nachricht: Er wird euch über seinem Kamin an die Wand nageln«, ergänzte er und begann dämonisch zu lachen. Anschließend gab der Primär seinen eingeschüchterten Trägern ein Zeichen. Sie traten gehorsam in den Raum und warfen sich je einen Otter über die Schulter. Anschließend ging die Prozession, angeführt vom Primär, zum Ausgang.

      Vor dem Laden stopften sie die Brüder in den Kofferraum eines Wagens und schlossen mit Schwung die Klappe. Dieser Raum war nicht für zwei Lebewesen ausgelegt. Hier war einfach zu wenig Platz und auch die Luft wurde mit jedem Atemzug weniger. Am Rande der Bewusstlosigkeit, bekamen sie noch mit, dass Personen in das Auto stiegen. Dann wurde alles schwarz.

      Als die Otter wieder zu sich kamen, lagen sie auf weichen Sitzen in der Personenkabine, man hatte sie aus dem Kofferraum befreit. Innerlich hatten sie jedoch schon mit ihrem Leben abgeschlossen und bedauerten, dass sie wieder aufgewacht waren. So einfach und schmerzfrei wäre es gewesen, ins Nichts zu gleiten. Aber nein, ihr neuer Meister hatte wohl andere Pläne. So blieb ihnen nichts anderes übrig, als mit leerem Blick an die Decke zu starren und zu warten.

      Eine Stimme erhob das Wort, was sie sagte…, die Otter wussten es nicht, es interessierte sie auch nicht mehr. Kurz tauchte ein Schatten in ihren Gesichtsfeldern auf, doch machten sich die Brüder nicht die Mühe, genau hinzusehen. Der Wagen hielt an. Endlich. Beide hofften auf ein schnelles Ende, ohne weitere Verzögerung. Eine Person stieg aus. Auf einmal wurden beide Otter, von je einer Hand an der Schulter gepackt, offenbar gab es noch eine weitere Person im Wagen.

      Der Griff war bestimmend, so dass sie ihn nicht ignorieren konnten. Jedoch nicht grausam, sondern aufmunternd und tröstend. Sie drehten den Kopf, um zu sehen, wo die Hände herkamen und erblickten einen jungen Mann in einer weißen Robe. Mit freundlicher Stimme sprach er zu ihnen: »Ich weiß nicht, was man euch erzählt hat, aber ich habe keineswegs vor euch Leid zuzufügen. Na kommt, steht auf und geht zum Haus. Ich zeige euch gleich eure Zimmer, dann könnt ihr euch ausruhen.«

      Gehorsam erhoben sich die Otter, denn sie hatten den jungen Mann als ihren neuen Meister erkannt. Neben der Autotür sahen sie einen weißen Tiger mit blauen Streifen warten. Das wird wohl der Primär sein, dachten sie sich und schlurften zum Hauseingang, wie es ihnen gesagt worden war. Nachdem der Meister und sein Obersklave an ihnen vorbei waren, beeilten sie sich hinterherzukommen.

      Anscheinend waren sie zu langsam, da ihr Herr dem Tiger befahl, ihnen zu helfen. So schleppten sie sich ins erste Obergeschoß und durch die Tür zu ihrer Rechten. Der Meister wies ihnen das erste Zimmer links zu. Die Brüder schlurften in den Raum und schlossen die Tür hinter sich. Sie waren einfach zu erledigt, um sich umzusehen. In einer freien Ecke ließen sie sich auf dem Boden nieder, kuschelten sich aneinander und schliefen sofort ein.

      Sie bekamen weder mit, dass es an der Tür leise klopfte, noch, wie ihr Meister prüfend den Kopf hereinsteckte. Ebenso wenig erlangten sie Kenntnis darüber, dass sie zum Bett getragen wurden und dass ihr Herr sie auch noch zudeckte. Mit einem leisen: »Gute Nacht und geruhsame Träume«, entschwand der junge Mann unbemerkt.

      Als die Strahlen der aufgehenden Sonne ins Zimmer fielen, regten sich die Brüder. Sie streckten sich ausgiebig und gähnten mit weit geöffneten Mäulern. Sofort fiel ihnen auf, dass sie kaum noch Schmerzen hatten und besahen sich ihre Wunden. Jemand hatte ihnen Verbände angelegt. Achtlos zupften sie an dem Stoff und begutachteten ihre Verletzungen.

      »Hey Jerry, der große Schnitt da auf deiner Brust ist schon fast verheilt.«

      »Ja Bruder, der tiefe auf deiner Schulter ebenfalls.«

      Von Kopf bis zu den Zehenspitzen untersuchten sie sich gegenseitig und staunten nicht schlecht.

      Beide hatten dieselbe Otter-Mensch-ähnliche Kopfform mit einer schwarzen Nase. Ihre ovalen Ohren standen seitlich aus ihren kurzen Kopfhaaren hervor. Beide hatten eine wohl definierte, schlanke Köperform. Zwischen den Fingern und Zehen besaßen sie Schwimmhäute und auch kurze dicke Krallen. Beide hatten einen langen massigen Schweif, der immer schmaler wurde und spitz auslief.

      Jerry hatte dunkelgraues Fell. Um den Mund, sowie auf der Brust und dem Bauch ging es in einen helleren Grauton über. Er hatte grüne Augen. Sein Bruder Terry hingegen hatte blaues Fell und auch seine Augen waren bläulich. Sein Fell auf der Brust und dem Bauch hatte ein etwas dreckiges Weiß.

      Sie stellten fest, dass alle ihre Wunden nahezu verheilt waren. Auch die blauen Flecken waren verschwunden. Ermutigt durch diesen Umstand machten sie ein paar Dehnübungen und sahen sich anschließend interessiert im Zimmer um.

      Die Otter saßen auf einem großen Doppelbett mit Baldachin und Vorhängen. Nebenan standen zwei Kleiderschränke. Zwei Schreibtische mit Stühlen waren auch vorhanden. Staunend betrachteten sie vom Bett aus die gläserne Dusche mit Ausblick ins Zimmer. Die Wände waren von einem Waldmuster bedeckt. Der grüne grasartige Fußboden vertiefte den Eindruck, auf einer Lichtung im Wald zu stehen. Das Beste jedoch war der große Whirlpool. Der stand in der einen Ecke des Raumes und war für mindestens vier Personen ausgelegt. Dank seiner braungrünen Musterung integrierte er sich wunderbar in die Waldatmosphäre.

      Nachdem sie nichts Interessantes mehr erblicken konnten, gingen sie auf die Dusche zu und verzweifelten an den verschiedenen Armaturen fast. Sie konnten sich keinen Reim darauf machen, warum überall her Wasserstrahlen


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