Internationales Franchise-Recht. Dagmar Gesmann-Nuissl
(1) Alle weiteren Bestimmungen, die nach Vertragsablauf oder nach der Kündigung eines der in Art. L 341-1 genannten Verträge die gewerbliche Betätigungsfreiheit des Einzelhändlers vertraglich beschränken, sind unwirksam (gelten als nicht geschrieben).
(2) Davon ausgenommen sind die Bestimmungen, welche kumulativ die folgenden Bedingungen erfüllen, sofern sie von den betroffenen Personen geltend gemacht werden:
1. sie betreffen Waren oder Dienstleistungen, die mit denjenigen Waren und Dienstleistungen im Wettbewerb stehen, welche Gegenstand des in (1) genannten Vertrages sind;
2. sie betreffen ausschließlich Grundstücke und Räumlichkeiten, innerhalb derer der Einzelhändler seine Tätigkeit während der Laufzeit des in (1) genannten Vertrages ausübt;
3. sie sind zum Schutz des übertragenen, substantiellen, spezifischen und geheimen Know-hows im Rahmen des in (1) genannten Vertrages unerlässlich;
4. sie sind auf eine Dauer von höchstens einem Jahr nach dem Ablauf oder der Kündigung eines der in Art. L 341-1 genannten Verträge befristet.
c) Franchisevertrag
aa) Definition des Franchisevertrags
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Im französischen Recht ist der Franchisevertrag den „Vertriebs- und Lizenzverträgen“ zugeordnet. Mangels einer eigengesetzlichen Grundlage ist der Begriff „Franchise“ oder „Franchisevertrag“ nicht ausdrücklich definiert. Die in Frankreich allgemein gültige Begriffsdefinition leitet sich daher aus diversen Grundlagen ab, namentlich aus der AFNOR- Norm Z 20-000 vom 16.7.1987, aus den Verhaltensregeln der französischen Franchisevereinigung (Fédération Française de la Franchise), der früheren EU-Gruppenfreistellungsverordnung für Franchisevereinbarungen18 sowie aus dem sehr abstrakt gefassten Art. L 330-3 Code de Commerce. Ferner fand eine Konkretisierung des Franchise-Begriffs in Frankreich durch die Rechtsprechung statt; in der französischen Literatur wird darauf hingewiesen, dass sich die Gerichte bis heute in mehr als 3300 Verfahren mit Fragen in Bezug auf Franchiseverträge auseinandersetzen mussten.19
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Unter Rückgriff auf die diversen rechtlichen Grundlagen wird der Franchisevertrag in Frankreich beschrieben, „als ein Vertriebssystem, durch das Waren und/oder Dienstleistungen und/oder Technologien vermarktet werden und welches sich auf einer engen und fortlaufenden Zusammenarbeit rechtlich und finanziell selbstständiger und unabhängiger Unternehmen – den Franchise-Geber und seine Franchise-Nehmer – gründet. Dabei gewährt der Franchise-Geber seinen Franchise-Nehmern das Recht und legt ihnen gleichzeitig auch die Verpflichtung auf, ein Geschäft entsprechend seinem Konzept zu betreiben. Der Franchise-Nehmer wird berechtigt und verpflichtet, gegen ein direktes oder indirektes Entgelt im Rahmen und für die Dauer eines zu diesem Zweck zwischen den Parteien abgeschlossenen Franchisevertrags, bei laufender technischer und betriebswirtschaftlicher Unterstützung durch den Franchise-Geber, den Systemnamen und/oder das Warenzeichen und/oder die Dienstleistungsmarke und/oder andere gewerbliche Schutz- oder Urheberrechte sowie das Know-how, die wirtschaftlichen und technischen Methoden und das Geschäftssystem des Franchise-Gebers zu nutzen“,20 wobei der Know-how-Transfer in Frankreich als der wesentliche Kern des Franchiseverhältnisses angesehen wird.21 Der Gebietsschutz ist in Frankreich dagegen kein kennzeichnendes Merkmal von Franchiseverträgen.
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Die der allgemeinen Definition zugrunde liegenden Begrifflichkeiten werden ebenfalls entsprechend dem Europäischen Verhaltenskodex definiert und verstanden. Danach umschreibt „Know-how“ ein Paket von nicht patentierten praktischen Kenntnissen, die auf Erfahrungen des Franchise-Gebers und Erprobungen durch diesen beruhen und die „geheim“, „wesentlich“ und „identifiziert“ sind. „Geheim“ bedeutet, dass das Know-how in seiner Substanz, seiner Struktur oder der genauen Zusammensetzung seiner Teile nicht allgemein bekannt oder nicht leicht zugänglich ist; der Begriff ist nicht in dem engen Sinne zu verstehen, dass jeder einzelne Teil des Knowhows außerhalb des Geschäfts des Franchise-Gebers völlig unbekannt sein müsste. „Wesentlich“ meint, dass das Know-how Kenntnisse umfasst, die für den Franchise-Nehmer zum Zwecke der Verwendung des Verkaufs oder des Weiterverkaufs der Vertragswaren oder -dienstleistungen unerlässlich sind; dies trifft zu, wenn es bei Abschluss der Vereinbarung geeignet ist, die Wettbewerbsstellung des Franchise-Nehmers insbesondere dadurch zu verbessern, dass es dessen Leistungsfähigkeit steigert und ihm das Eindringen in einen neuen Markt erleichtert. Und „identifiziert“ bedeutet, dass das Know-how ausführlich genug beschrieben sein muss, um prüfen zu können, ob es die Merkmale des Geheimnisses und der Wesentlichkeit erfüllt; die Beschreibung des Know-hows kann entweder in der Franchisevereinbarung oder in einem besonderen Schriftstück niedergelegt oder in jeder anderen geeigneten Form vorgenommen werden.22
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Als synallagmatische Gegenleistung (Art. 1106 Code Civil) für diesen umfassenden Know-how-Transfer schuldet der Franchise-Nehmer – wie in der Definition erwähnt – neben der Umsetzung der Vorgaben und (zumeist) einer Einstandszahlung, laufende Franchise-Gebühren, die sich an den Umsätzen und Erträgen des Franchise-Nehmers orientieren.
bb) Welche Arten von Franchiseverträgen werden erfasst?
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Unter die vorgenannte, sehr weite Begriffsdefinition (alle Formen von Vertriebs- und Lizenzverträgen) lassen sich alle Erscheinungsformen eines Franchisesystems subsumieren.23 Erfasst werden alle (!) im gegenseitigen Interesse der Parteien geschlossenen Verträge, in denen die eine Vertragsseite der anderen gegenüber eine (Quasi-)Exklusivverpflichtung24 übernimmt. Dabei bezieht sich die Exklusivität insbesondere auf die Belieferungen oder die Versorgung des Betriebs des Franchise-Nehmers; eine Gebietsexklusivität ist hiervon nicht erfasst. Insofern gelten die nachfolgenden Ausführungen uneingeschränkt auch für alle Franchise-Typen, gleich ob der Franchise-Geber als natürliche oder juristische Person, als Mutter- oder Tochtergesellschaft agiert. Ferner gelten sie für MasterFranchiseverträge sowie Franchiseverträge ausländischer Franchise-Geber, sofern die im Franchiseverhältnis ausgeübte Geschäftstätigkeit auf dem Territorium Frankreichs stattfindet25.26
cc) Vertragsschluss und -inhalt
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Der Franchisevertrag ist in Frankreich ein atypischer Handelsvertrag.27 Bis auf die Aufklärungs- und Offenlegungsverpflichtung ist er gesetzlich nicht geregelt. Die allgemeinen gesetzlichen Anforderungen ergeben sich daher im Wesentlichen – wie bereits ausgeführt – aus dem französischen Zivil- und Handelsrecht, insbesondere aus den Art. L 330-3, Art. L 341-1, Art. L 341-2 und Art. L 441-1 Code de Commerce sowie aus dem europäischen Vertriebsrecht (Vertikal-GVO Nr. 330/2010/EU).
(1) Formale Anforderungen
(a) Vorvertragliche Anforderungen
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Der Franchise-Geber muss dem potenziellen Franchise-Nehmer spätestens 20 Tage vor Vertragsschluss oder der Zahlung irgendwelcher Beträge auf das Franchiseverhältnis ausführliche Informationen in Bezug auf das Franchisesystem zukommen lassen (vgl. Art. L 330-3 Abs. 4 Code de Commerce i.V.m. Art. R 330-1 Code de Commerce). Da auf die vorvertraglichen Auskunfts- und Informationspflichten im Rahmen der Abhandlung noch gesondert und detailliert eingegangen wird,28 soll an dieser Stelle der allgemeine Hinweis zunächst einmal genügen.
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Eine Registrierungspflicht besteht in Frankreich dagegen ebenso wenig, wie die Verpflichtung, die erfolgte Aufklärung einer dritten Partei oder Behörde nachzuweisen, es sei denn, dass eine registrierungspflichtige Geschäftstätigkeit betrieben werden soll (solche Genehmigungen werden z.B. beim Betrieb von Restaurants oder Reisebüros erforderlich). Dann