Die Regulierung innovativer Finanzinstrumente. Thomas Weck
href="#ulink_218d4771-c09d-5d4d-8a81-b7f4348708f5">586 Larosière-Bericht (Fn. 584), S. 6, Tz. 4. 587 Larosière-Bericht (Fn. 584), Tz. 4, 40. Der Bericht war dabei darauf ausgerichtet, nicht lediglich unbestimmte Gefahren abwehren, sondern gerade den Gefahren, die sich in der Finanzkrise gezeigt hatten („solcher Krisen“); siehe auch ebenda, Tz. 42. 588 §§ 6 Abs. 1, 14 Abs. 1 (= §§ 4 Abs. 1, 4a Abs. 1 a.F.) WpHG allgemein und in Bezug auf den Handel mit Finanzinstrumenten sowie Art. 42 Abs. 2 VO 600/2014 (= § 4b Abs. 2 WpHG a.F.) in Bezug auf den Vertrieb von Finanzinstrumenten („Bedenken für den Anlegerschutz [...] oder eine Gefahr für das ordnungsgemäße Funktionieren und die Integrität der Finanz- oder Warenmärkte oder [...] für die Stabilität des gesamten Finanzsystem“) und Derivate („negative Auswirkungen auf den Preisbildungsmechanismus in den zugrunde liegenden Märkten“). 589 Daraus folgt nicht zuletzt ein – an dieser Stelle nicht zu vertiefender – Unterschied zum Privatrecht, das (sog. aleatorische) Verträge, deren Wirksamkeit oder Erfüllung von Risiken abhängt, ebenfalls neutral behandelt; jedenfalls sofern es sich um in vollem Umfang verbindliche Rechtsgeschäfte und nicht lediglich um Spiel- oder Wettgeschäfte handelt (vgl. § 762 BGB). Dazu noch unten Kap. 6.C.I.2.b) (S. 797).
B. Was sind die aufsichtsrechtlichen Schutzgüter?
I. Einführung
Eine Definition der maßgeblichen aufsichtsrechtlichen Schutzgüter wird dadurch erschwert, dass in Bezug auf die Finanzmärkte kein einheitlicher Ordnungsrahmen besteht. Abgesehen davon, dass das Regelungssystem stark international bzw. europäisch geprägt ist, stehen Vorschriften zu einzelnen Marktteilnehmern (z.B. Banken, Versicherungen) relativ unverbunden neben Regelungen über Finanzmarktaktivitäten (z.B. den Wertpapierhandel) oder zentrale Infrastrukturen (z.B. Börsen als Handelsplätze). Außerdem sind die einzelnen Regelungen im Zeitverlauf, insbesondere in den letzten Jahren, großen Veränderungen unterworfen gewesen.
Im Folgenden werden die Schutzzielbestimmungen auf internationaler, supranationaler (= europäischer) und nationaler Ebene vorgestellt. Eine Ergänzung bzw. genauere Eingrenzung findet im weiteren Verlauf jeweils an der Stelle statt, wo dies erforderlich erscheint.
II. Internationale Ebene (Völkerrecht)
Eine für alle betroffenen Märkte relevante Festlegung aufsichtsrechtlicher Schutzgüter ist auf internationaler Ebene bemerkenswerterweise erst durch die Beschlüsse der G 20 im Rahmen der jüngsten Finanz- und Wirtschaftskrise erfolgt. Die in mehreren Gipfelerklärungen enthaltenen Beschlüsse definieren zwar vorrangig politische Ziele, enthalten aber auch eine Selbstverpflichtung der an den Gipfeln beteiligten Staaten und haben insofern einen völkerrechtlichen Gehalt.590 Sie werden in den zur Umsetzung ergangenen Empfehlungen des Basler Ausschusses für Bankenaufsicht und anderer Gremien (z.B. IOSCO, FSB) näher konkretisiert.591
1. Beschlüsse der G 20
Die G 20 haben insbesondere in ihrer Gipfelerklärung vom November 2008 und den Erklärungen zu den folgenden Gipfeln 2009 bis 2014 Ziele für die grundlegende Überarbeitung und Verbesserung der bis dahin bestehenden Finanzmarktregulierung formuliert.592 Dies geschah auf Grundlage der in der Erklärung vom November 2008 geteilten Auffassung zwischen den Gipfelteilnehmern, dass:
„Marktprinzipien, offenes Handels- und Investitionssysteme sowie wirksam regulierte Finanzmärkte die Dynamik, die Innovation und das Unternehmertum fördern, welche für Wirtschaftswachstum, Beschäftigung und Armutsbekämpfung essentiell sind.“593
In Bezug auf die krisenbedingten Entwicklungen auf den Finanzmärkten führten die Gipfelteilnehmer weiter aus, dass:
„die Marktteilnehmer hohe Erträge ohne adäquate Einschätzung der Risiken gesucht und es unterlassen hatten, eine geeignete Sorgfalt walten zu lassen. Mit einem Mal kamen schwache Standards für die Risikozeichnung, einem unzuverlässigen Risikomanagement, immer komplexeren und undurchsichtigen Finanzprodukten und daraus folgender übermäßiger Hebelung zusammen, wodurch das System als solches anfällig wurde. Politik, Regulierer und Aufsicht in einigen entwickelten Staaten erfassten und adressierten die sich aufbauenden Risiken in den Finanzmärkten nicht in geeigneter Weise, hielten mit Finanzinnovationen (financial innovation) nicht hinreichend Schritt und beachteten nicht hinreichend die systemischen Auswirkungen von heimischen Aufsichtsmaßnahmen.“594
Aus diesen Aussagen lassen sich die zentralen Ziele der Finanzmarktregulierung ableiten, nämlich der Schutz gegen Risiken und Praktiken, welche zu einer umfassenden Systemgefährdung führen können, zudem eine die aktuellen Marktentwicklungen erfassende und ihrerseits nicht systemschädigende Aufsicht. Im weiteren Verlauf der Gipfelerklärung wird präzisiert, in welcher Richtung die Finanzaufsicht angesichts der festgestellten Defizite weiter zu entwickeln ist.
Im Einzelnen soll die durch die Gipfelteilnehmer zu gewährleistende Aufsicht:
• erstens für Finanzmarktstabilität sorgen, und davon abgeleitet Transparenz und Rechenschaftspflichten (= Anlegerschutz), einen schlüssigen Ordnungsrahmen und die Integrität des Handels auf den Finanzmärkten gewährleisten.
• zweitens so strukturiert sein, dass sie aktuelle Marktentwicklungen erfasst und nicht ihrerseits systemschädigend wirkt. Daraus leitet sich eine Pflicht zu internationaler Kooperation und zur Reform internationaler (Finanz-)Institutionen ab.595
Zuletzt ist die Aufsicht drittens kein Selbstzweck, sondern dient dazu sicherzustellen, dass sich die Gesamtwirtschaft weiter frei und unverfälscht entwickeln kann.596 Hierauf ist später zurückzukommen.
In einem an die Gipfelerklärung angehängten Aktionsplan werden die genannten Einzelziele noch (etwas) näher konkretisiert.597 Zur Weiterentwicklung eines schlüssigen Ordnungsrahmens wird gefordert, die Regulierung solle kurzfristig prozyklischen Entwicklungen entgegenwirken. Auf mittlere Sicht solle die Finanzmarktregulierung überprüft werden, vor allem in Hinblick auf Institutionen, Instrumente und Märkte, die bis dahin unreguliert waren.598 Außerdem sollten umgehend Maßnahmen „zur Verringerung der systemischen Risiken durch CDS und Over-the-counter-Derivate“ getroffen und das Risikomanagement der Banken verbessert werden.599 Die Regulierung müsse:
„schnell auf Entwicklungen und Innovationen auf den Finanzmärkten oder bei Finanzprodukten reagieren“.600
Ferner sollten die Maßnahmen zur Förderung der Integrität auf den Finanzmärkten heimische und grenzüberschreitende Bedrohungen der Marktstabilität aufdecken, Märkte und Anleger schützen (insb. gegen Marktmanipulationen und Betrug) und das globale Finanzsystem gegenüber unkooperativen und intransparenten Rechtsordnungen sichern.601
In der Gipfelerklärung vom April 2009 wurden die volkswirtschaftlichen Ziele hinsichtlich der Reform der Finanzmarktregulierung genauer festgelegt. Danach sollte das Finanzsystem in die Lage versetzt werden, die Kreditvergabe wiederaufzunehmen, die Finanzregulierung sollte zur Erhöhung des Vertrauens gestärkt und weltweit abgestimmt werden und die Finanzinstitutionen sollten hinreichend kapitalisiert und reformiert werden, um die herrschende Krise zu überwinden.602 Durch die seit dem Vorjahr in Angriff genommenen und zusätzlich vereinbarte Maßnahmen sollten Verbraucher und Anleger geschützt und Marktdisziplin sichergestellt werden; außerdem sollten negative Auswirkungen auf andere Staaten vermieden, Regulierungsarbitrage verhindert und Dynamik und Wettbewerb gestärkt werden.603 Auch in diesem Zusammenhang wurde betont, dass Risiken kontrolliert werden sollten und dass die Regulierung mit den Innovationen im Markt Schritt halten müsse.604
In der Erklärung zu einem weiteren Gipfel im September 2009 wurde unter anderem das Prinzip formuliert, dass Standards für große Finanzinstitutionen