Die Regulierung innovativer Finanzinstrumente. Thomas Weck
Erwägungsgründe der (ebenfalls aufgehobenen) Richtlinie 85/577/EWG des Rates vom 20. Dezember 1985 betreffend den Verbraucherschutz im Falle von außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen, ABl. L 372 vom 31. Dezember 1985, S. 31. 805 Zur Binnenmarktrelevanz siehe z.B. Erwägungsgründe 6f., 9 der Richtlinie 2008/48/EG. 806 Mülbert, ZHR 177 (2013), 160 (180f.); Klingenbrunn, WM 2015, 316 (320). Damit erfüllen selbst Anlagen privater Anleger zwei Funktionen (Konsum/Produktionsunterstützung), ähnlich wie dies am anderen Ende der Finanzintermediationskette bei der Kreditaufnahme durch Unternehmen der Fall ist. 807 Siehe Art. 2 Abs. 1 Richtlinie 2008/48/EG über Verbraucherkreditverträge und zur Aufhebung der Richtlinie 87/102/EWG des Rates, ABl. L 133 vom 22. Mai 2008, S. 66: „Richtlinie gilt für Kreditverträge“. 808 Siehe Kap. 5.B.VII.3.c)aa) (S. 630) und Fn. 988. 809 Art. 24ff. RL 2014/65/EU; dazu siehe unten Kap. 5.B.VII.2.b)bb)bbb)(ii)(2)(b) und Abschn. IX.2.c)bb)aaa) (S. 577 und 704). 810 Verordnung 1286/2014 über Basisinformationsblätter für verpackte Anlageprodukte für Kleinanleger und Versicherungsanlageprodukte (PRIIP), ABl. L 352 vom 9. Dezember 2014, S. 1. 811 Solche unterschiedliche Positionen sind nicht zuletzt aus Subsidiaritätsgründen zu beachten; vgl. Art. 5 Abs. 3 EUV. 812 § 4 Abs. 1a, § 8a FinDAG. 813 Döhmel in: Assmann/Schneider/Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, 7. Aufl. 2019, Vorbemerkungen zu §§ 6–11 WpHG Rz. 39, 48ff. 814 §§ 25ff. (= §§ 12ff. a.F.) WpHG (zum Marktmissbrauch). 815 § 4 Abs. 1a S. 3 FinDAG; zu dem ganzen Absatz siehe allerdings Laars, Finanzdienstleistungsaufsichtsgesetz, 4. Online- Aufl. 2014, § 4 Rz. 4 („politische Botschaft“, „kei[n] Regelungsgehalt“). 816 Art. 69 Abs. 2 UAbs. 3 RL 2014/65/EU. 817 Dazu siehe unmittelbar nachfolgend Abschn. 3; außerdem kritisch unten Kap. 5.B.VII.3.c) (S. 630); ergänzend auch Kap. 5.B.IX.3.d)aa)aaa) (S. 720). 818 Siehe im Einzelnen unten Kap. 5.B.VII.3.c)aa) (S. 630). 819 Insbesondere durch die aufsichtsrechtlichen Kapitalvorgaben (siehe Kap. 5.B.VI.2, S. 460) und die Pflicht zum zentralen Clearing von Derivaten (siehe Kap. 5.B.IV.2.c), S. 399). 820 Siehe Kap. 2.A und Kap. 5.B.VII.3.c)aa) (Fn. 820: 9, 544, Fn. 821: 544, Fn. 822: 386). 821 Siehe ergänzend unten Kap. 5.B.VII.3.c)aa) (S. 630). 822 BaFin, Allgemeinverfügung vom 23. Juli 2019, VBS 7-Wp 5427-2018/0057 – Differenzgeschäfte („Contracts for Difference/CFD“); dazu noch unten Kap. 5.B.III. 6.a)aa) (S. 386).
G. Die Finanzkrise als Beispiel zur Feststellung des Regelungsbedarfs
Die Finanzkrise 2008–2012 bietet Anschauungsmaterial für die Frage, wann sich speziell aus dem Einsatz von Finanzinstrumenten ein aufsichtsrechtlicher Regelungsbedarf ergeben kann. Ein mehr als oberflächlicher Überblick über die Entwicklungen in der Krise ist hier nicht möglich.823 Dennoch soll der Gefahrenbeitrag der in der Finanzkrise relevanten Instrumente zumindest ansatzweise herausgearbeitet werden. Dazu wird zuerst die Funktionsweise der Instrumente, so wie sie im Vorfeld der Krise eingesetzt wurden, dargestellt (Abschn. I). Anschließend sollen die Entwicklungen im Verlauf der Krise kurz nachgezeichnet werden, um zu zeigen, auf welche Weise sich Risiken, die mit den betreffenden Finanztransaktionen verbunden waren, realisiert haben (Abschn. II).
Die Gefahren, die sich in der Finanzkrise zeigten, wurden in der EU sowohl mit aufsichtsrechtlichen als auch mit wettbewerbsrechtlichen Maßnahmen bekämpft. Dabei zeigte sich, dass die beiden genannten Regelungsbereiche Querbezüge aufweisen, die sich nicht lediglich in einem Zielgegensatz, der durch Abwägung zu beheben wäre, erschöpfen (Abschn. III).
I. Relevante Instrumente
1. Mortgage-Backed Securities (MBS)
Die Verbriefung von Hypotheken wurde zuerst in größerem Umfang in den USA durch die staatlich geförderten Hypothekenbanken (Fannie Mae, Freddie Mac) eingeführt, um konventionelle Hypothekenkredite zu üblichen Bedingungen mit relativ geringen Ausfallquoten (sog. Prime-Kredite) zu bündeln und an Anleger zu verkaufen.824 Dies diente dazu, die Kredite aus der Bilanz zu entfernen, sodass sie nicht mit Eigenkapital unterlegt werden mussten. Das dadurch verfügbare Kapital konnte daraufhin für die Vergabe weiterer Hypothekenkredite verwendet werden. Das Modell wurde als „Originate-and-distribute“-Modell (auch: „originate to distribute“) bezeichnet.825
Nach der Jahrtausendwende begannen private Geschäftsbanken, in den Markt einzutreten und selbst sowohl Kredit zu vergeben als auch eigene und fremde Kredite zu verbriefen. Dabei konzentrierten sich die Banken auf ausfallgefährdetere Kredite (sog. Subprime- und Alt-A-Kredite). Dieses Geschäft war in Anbetracht der besonderen Marktsituation zu der Zeit attraktiv.826 Zugleich erschien es wenig riskant, da die Hauspreise zunächst anstiegen.827 Ebenso wurden Unternehmenskredite mit wenigen Sicherungsklauseln vergeben.828 Diskutiert wird, ob auch eine Entscheidung der U.S. Securities and Exchange Commission (SEC) zu Nettokapitalvorgaben zur ausgeweiteten Kreditvergabe beigetragen hat.829
Die Kreditverbriefungen erfolgten über ABS, die mit U.S.-Hypotheken besichert waren (Mortgage-Backed Securities – MBS). Die Instrumente bündelten und tranchierten die Kreditforderungen. Dabei bestand für die Emittenten das Problem, dass nicht alle Tranchen an alle Anleger vertrieben werden konnten, da einige institutionelle Anleger wie Geldmarkt- oder Pensionsfonds nur in Wertpapiere mit bestem Rating (z.B. AAA) investieren durften.830 Anders als die staatlich geförderten Hypothekenbanken garantierten private Banken als Emittenten nicht, dass die gebündelten Kredite nicht ausfallen würden. Eine solche Garantie hätte mit Eigenkapital unterlegt werden müssen.
2. Collateralized Debt Obligations (CDO)
Die Geschäftsbanken nutzten über eine Zweckgesellschaft emittierte CDOs, um auch solche Hypothekenkredite vermarkten zu können, die über kein ausreichendes Rating verfügten. Dazu wurde eine Zweckgesellschaft (SPV, conduit) gegründet, welche die betreffenden Hypothekenkredite als Bündel ankaufte und Anleihen unterschiedlicher Risikoklassen verkaufte, die durch die Hypothekenkredite besichert waren (CDO).831
Die Zweckgesellschaft finanzierte sich selbst und den Ankauf der Hypothekenkredite über die Emission von Commercial Papers (CP).832 Die CP waren ihrerseits durch das Hypothekenportfolio abgesichert und wurden je nach gewählter Struktur als höchstrangige Forderungen gegenüber der Zweckgesellschaft (super senior tranche) behandelt. Das bedeutete, dass Zahlungen auf die Hypotheken zuerst zur Befriedigung der Anleger in die CP verwendet wurden.833 Da die Zweckgesellschaft dem Risiko ausgesetzt war, bei Fälligkeit der CP keine Anschlussfinanzierung zu erhalten, stellten die Institute, in deren Interesse die CDO emittiert wurden, der Zweckgesellschaft kurzfristig abrufbare Kreditlinien (Liquiditätslinien) als Garantien zur Verfügung. Die Ausgestaltung dieser Kreditlinien konnte unterschiedlich sein, z.B. auch als Putoption, welche von der Zweckgesellschaft im Fall von Liquiditätsengpässen bei der Bedienung von CP (nicht bei sonstigen Finanzierungsengpässen) ausgeübt werden konnte.834
Die