Die Regulierung innovativer Finanzinstrumente. Thomas Weck
investiert hatten, also Banken und Hedgefonds, während sich der run auf den Geldmärkten noch einmal verschärfte.865 Außerdem waren zu dieser Zeit bereits mehrere große Versicherungen ausgezehrt, die auf Hypothekenverbriefungen bezogene CDS verkauft hatten, ohne über ausreichende Kapitalpuffer oder über ein adäquates Risikomanagement zu verfügen (z.B. AIG, MBIA).866 Die im Geschäft mit CDS engagierten Marktteilnehmer, aber auch die Ratingagenturen, konnten für die Einschätzung der Risiken des CDS-Geschäfts auch nur auf Daten zurückgreifen, die lediglich wenige Jahre zurückreichten.867 Die Probleme der Versicherer führten dazu, dass auch andere von diesen versicherte Finanzprodukte wie Kommunalanleihen unter Druck gerieten.868 Ebenso führte die Krise nun in einem immer größeren Ausmaß auch Finanzmarktteilnehmer außerhalb der USA an den Rand des Zusammenbruchs, und zwar sowohl auf im Geschäft mit Hypothekenverbriefungen involvierte Banken und Finanzkonzerne (z.B. die deutschen Landesbanken, Kaupthing) wie auch auf sich über die Geldmärkte finanzierende Unternehmen (z.B. Hypo Real Estate, Dexia).869
Die Zusammenbrüche von Marktteilnehmern und der drohende Kollaps ganzer Märkte erzwangen nicht nur kurzfristige staatliche Stützungsmaßnahmen, sondern führten in einer dritten Phase zur Ausweitung der Krise auf die Volkswirtschaft.870 Im Grunde erst in dieser Phase schritt die öffentliche Hand wirksam steuernd ein.
III. Bekämpfung der Risiken durch aufsichts- und wettbewerbsrechtliche Maßnahmen
Die Finanzkrise wurde zunächst mit einer Vielzahl von Notmaßnahmen bekämpft, an die sich die Ausarbeitung neuer regulatorischer Vorgaben anschloss. Die getroffenen Notmaßnahmen hatten in der EU nicht nur eine aufsichtsrechtliche, sondern auch eine wettbewerbsrechtliche Komponente. In der Regulierung, welche die kurzfristigen Maßnahmen ablöste, wirken die zugrunde liegenden Prinzipien fort. Im Folgenden soll erläutert werden, welche Querbezüge sich zwischen Aufsichts- und Wettbewerbsrecht in der Krise gezeigt haben und was dies – über die Krise hinaus – für die Weiterentwicklung der aufsichtsrechtliche Regulierung bedeutet.
Bereits im Rahmen der Bestimmung der aufsichtsrechtlichen Schutzgüter wurde darauf hingewiesen, dass das Aufsichtsrecht nach den Beschlüssen der G 20 zwar insbesondere die Finanzmarktstabilität schützen soll, dass dieser Schutz aber kein Selbstzweck ist, sondern eine Voraussetzung dafür ist, dass sich die Gesamtwirtschaft weiter frei und unverfälscht entwickeln kann.871 Der Schutz einer nach marktwirtschaftlichen Prinzipien organisierten Gesamtwirtschaft ist wie gesagt Aufgabe des Wettbewerbsrechts.872 Es wurde weiterhin bereits ausgeführt, dass Maßnahmen, bei denen es zu einer Kollision der Schutzziele kommt, eine Abwägung erfordern, um eine übermäßige Beeinträchtigung der Ziele sowohl des Aufsichtsrechts als auch der des Wettbewerbsrechts zu vermeiden.
Das Verhältnis von Aufsichts- und Wettbewerbsrecht hatte in der EU lange, nicht zuletzt aus Gründen der Kompetenzverteilung, keine praktische Bedeutung. Das Aufsichtsrecht war mangels einer ausdrücklichen europarechtlichen Kompetenz zunächst ein Bereich des nationalen Rechts und eine Domäne nationaler Behörden. Daran änderte sich nur graduell etwas dadurch, dass das nationale Recht schrittweise von Vorschriften überlagert wurde, die der EU-Gesetzgeber auf der Grundlage der Rechtsgrundlagen über den EU-Binnenmarkt erließ.873 Das Wettbewerbsrecht war dagegen von vornherein auch europäisches Recht. Die Zuständigkeit zu seiner Durchsetzung ist zwischen der Europäischen Kommission und den Kartellbehörden in den Mitgliedstaaten aufgeteilt. Dabei liegt die Zuständigkeit für die Durchführung von Beihilfeverfahren bei der Europäischen Kommission.
In der Finanzkrise hat die europäische Gesetzgebung dann Gefahren aufgrund von makroökonomischen Risiken in den Schutzbereich des EU-Aufsichtsrechts einbezogen. Dies geschah dadurch, dass sie die Kompetenzgrundlagen zum Schutz des EU-Binnenmarktes im Licht der Gipfelerklärungen der G 20 neu interpretiert und dadurch den Schutz der Finanzmarktstabilität als Regelungsziel ins EU-Recht aufgenommen hat. Damit hat die europäische Gesetzgebung das Aufsichtsrecht als neuen Bereich für das EU-Recht erschlossen. Diese Entwicklung ist rechtsdogmatisch nicht unproblematisch, mag hier aber aufgrund der schon dargelegten Erwägung hingenommen werden, dass der Binnenmarkt durch eine Gefährdung der Stabilität der europäischen Finanzmärkte seinerseits gefährdet werden kann. Zwar bestand – ebenfalls auf makroökonomischer Ebene – von vornherein ein Schutz des Binnenmarktes als einem System unverfälschten Wettbewerbs.874 Im Sonderfall einer Systemgefährdung verschmelzen jedoch beide Regelungsziele zu einem einheitlichen Ziel der Systemsicherung, da in diesem Fall zum einen die Stabilität des Finanzsystems und die Fähigkeit der Finanzmärkte zur Weiterentwicklung (als wettbewerbliche Subsysteme), zum anderen aber auch die Funktionsfähigkeit der Volkswirtschaft als Gesamtsystem (= der Binnenmarkt) gefährdet sein kann.
Dies zeigte sich in der Finanzkrise vor allem an der Notwendigkeit einer Rettung europäischer Banken. In der Krise zeigte sich, dass die Banken zuvor Risiken über das für sie individuell jeweils tragbare Maß hinaus akkumuliert hatten oder, anders gewendet, mit Blick auf die von ihnen übernommenen Risiken unterkapitalisiert waren. Dadurch wurden die Institute erstens im aufsichtsrechtlichen Sinne „systemrelevant“, da es aufgrund ihrer Größe und Verflechtung nicht mehr hinnehmbar war, sie aus dem Markt austreten zu lassen. Sie waren also „too big“ bzw. „too connected to fail“.875 Andere Institute mussten aufgrund gleichartiger Geschäftsmodelle gerettet werden („too many to fail“).876 Zweitens profitierten sie von einem Wettbewerbsvorteil in Form einer impliziten Garantie, da andere Marktteilnehmer ihre Systemrelevanz erkennen und darauf reagieren konnten.877
Angesichts der existenziellen Gefährdung einer Vielzahl der Banken musste die implizite Garantie in vielen Fällen in explizite, staatliche Finanzhilfen umgewandelt werden. Diese staatlichen Hilfen konnten nach Maßgabe des Beihilferechts aus der Notwendigkeit eines Schutzes der Stabilität der Finanzsysteme in den Mitgliedstaaten heraus gerechtfertigt werden.878 Bei langfristig überlebensfähigen Instituten erforderte das Beihilferecht einen Lastenbeitrag, um zu gewährleisten, dass die staatliche Unterstützung auf das strikt erforderliche Maß begrenzt blieb, und einen Ausgleich für die mit den Finanzhilfen neu einhergehende Wettbewerbsverzerrung.879 In diesem Rahmen berücksichtigte die Europäische Kommission schon früh, dass die Hilfsmaßnahmen meist nur deshalb erforderlich geworden waren, weil die Institute sich zuvor eine implizite Garantie verschafft hatten, die es ihnen ermöglichte, in der Krise staatliche Finanzhilfen einzufordern.880 Auch für diese ursprüngliche Wettbewerbsverzerrung wurde deshalb ein Ausgleich gefordert, und es wurden einige der betroffenen Institute wegen ihres zu risikolastigen Geschäftsmodells sogar abgewickelt.881
Im Rahmen der regulatorischen Aufarbeitung der Krise haben der europäische und der nationale Gesetzgeber eine Reihe der in der Beihilfepraxis entwickelten Prinzipien im Aufsichtsrecht kodifiziert. Ein besonders augenfälliges Beispiel ist die Einführung von Vorschriften zur Bankenabwicklung, die eine Haftungskaskade der Eigen- und Fremdkapitalgeber von Banken und ein grundsätzliches Verbot von Staatshilfen vorsehen.882 Ein weiteres Beispiel ist die Erhöhung der Eigenkapitalpuffer von Banken, durch die dem Aufbau von systemrelevanten Marktstellungen (= impliziten Garantien) vorgebeugt werden kann und die schon bestehenden impliziten Garantien neutralisiert werden können.883 Ähnlich würde die Harmonisierung der europäischen Einlagensicherungssystem wirken.884 Ein drittes Beispiel sind die umfassenden Maßnahmen zur Erhöhung der Transparenz für die Aufsichtsbehörden und die Marktteilnehmer, etwa durch erweiterte Melde- und Veröffentlichungspflichten und eine schärfere Regulierung der Ratingagenturen.885
Die Maßnahmen zur Verbesserung der Finanzmarktstabilität können ihrerseits allerdings möglicherweise zu neuen Wettbewerbsproblemen Anlass geben. Das ist insbesondere dann der Fall, wenn die Regulierung nicht alle Marktteilnehmer, die Risiken ansammeln, in gleicher Weise trifft. Denn hierdurch können die schon angesprochenen Anreize zur Regulierungsarbitrage entstehen. Die Marktteilnehmer suchen, die Regulierung nach Möglichkeit zu umgehen, um sich so Wettbewerbsvorteile gegenüber den ebenfalls regulierten Mitbewerbern zu verschaffen. Eine Gefahr für den Wettbewerb kann aber auch durch eine nicht zu umgehende, jedoch übermäßige Regulierung entstehen. Denn hiermit gehen Kosten einher, die nicht gerechtfertigt sind und die wünschenswerte Innovationen, die