Kirchliche Loyalitätspflichten und die Europäische Menschenrechtskonvention. Matthias Lodemann

Kirchliche Loyalitätspflichten und die Europäische Menschenrechtskonvention - Matthias Lodemann


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241 II BGB verpflichten einen jeden Vertragspartner und somit auch kirchliche Arbeitnehmer gegenüber ihrem Arbeitgeber zur Rücksicht und zum Schutz und zur Förderung des Vertragszwecks.85 Ausgehend von dieser allgemeinen Formulierung haben sich in der Rechtsprechung verschiedene Fallgruppen etwa zu Aufklärungspflichten,86 zur Unterlassung von Nebentätigkeiten,87 Verschwiegenheitspflichten88 und Wettbewerbsverboten89 herausgebildet. Ein jeder Arbeitnehmer unterliegt also bis zu einem bestimmten Grad Loyalitätsobliegenheiten. Diese finden jedoch grundsätzlich ihre Grenze im privaten, außerdienstlichen Bereich. So formuliert Thüsing eingängig: „Der Privatbereich des Arbeitnehmers ist für den weltlichen Arbeitgeber tabu.“90 Der Arbeitnehmer kann nicht verpflichtet werden „ein ordentliches Leben zu führen und sich dabei seine Arbeitsfähigkeit und Leistungskraft zu erhalten.“91 Der weltliche Arbeitgeber wird also insbesondere nicht zum „Sittenwächter“ über Leben und Verhalten seines Arbeitnehmers.92 Tatsächlich kann der Arbeitnehmer nicht einmal dazu verpflichtet werden, über eben dieses Privatleben Auskunft zu erteilen.93 Ausnahmen sind nur in seltenen Grenzfällen möglich.94

      Hier ist also der erste Unterschied zu kirchlichen Loyalitätsobliegenheiten zu erblicken. Die Kirchen verpflichten den Arbeitnehmer auf das Leitbild einer kirchlichen Dienstgemeinschaft,95 was ausdrücklich außerdienstliches Verhalten mit einbezieht.

      Bei der Festlegung von Loyalitätsobliegenheiten handelt es sich nicht um eine Inanspruchnahme der allgemeinen Vertragsfreiheit96 oder etwa gar um Tarifrecht97, sondern vielmehr um religiöse Fragen und damit um eine Freiheit, die die Kirche als Religionsgemeinschaft wahrnimmt.98 Rechtsgrundlage der Loyalitätsobliegenheiten ist dennoch einzig der Arbeitsvertrag.99 Das Leitbild einer Dienstgemeinschaft wird also „mit den Mitteln des Vertragsrechts verwirklicht.“100

      Zuletzt ist noch, der korrekten Begrifflichkeit halber, darauf hinzuweisen, dass es sich bei den Loyalitätsobliegenheiten eben um solche handelt: Obliegenheiten. Im Gegensatz zu Nebenpflichten, deren Erfüllung einklagbar ist, besteht hier kein eigenständiger Anspruch auf ihre Erfüllung;101 lediglich ihre Nichtbeachtung kann gegebenenfalls eine Kündigung seitens des Arbeitgebers rechtfertigen.102

      III. Abgrenzung der Loyalitätsobliegenheiten zum allgemeinen Tendenzschutz

      Auch das weltliche Arbeitsrecht kennt Ausnahmen zum gerade dargestellten Grundsatz der Unberührbarkeit der Privatsphäre des Arbeitnehmers durch den Arbeitgeber. Dennoch zeigen sich hier entscheidende Unterschiede, die im Folgenden dargestellt werden sollen.103

      1. Weltlich-säkularer Tendenzschutz

      Auch ohne ausdrückliche gesetzliche Regelung kann das Kündigungsschutzrecht durch den Tendenzschutz beeinflusst und konkretisiert werden.104 Der Begriff des Tendenzschutzes wird geprägt von § 118 BetrVG. Demnach sind Tendenzbetriebe Betriebe, die „politischen, koalitionspolitischen, konfessionellen, karitativen, erzieherischen, wissenschaftlichen oder künstlerischen Bestimmungen“ oder „Zwecken der Berichterstattung oder Meinungsäußerung“ dienen. Tendenzschutz ist also Grundrechtsschutz.105 Unabhängig davon, ob eine wirtschaftliche oder nichtwirtschaftliche Betätigung des Betriebes im Vordergrund steht,106 soll die freie Entfaltung der einschlägigen Grundrechte, die den genannten Zwecken zugrunde liegen, gesichert werden.107

      In personeller Hinsicht betrifft dies vorrangig sog. Tendenzträger. Diese sind, da ihre Arbeit einen Tendenzbezug aufweist, auch im privaten Bereich dazu angehalten, die Tendenz des Unternehmens nicht zu gefährden oder ihr zuwiderzuhandeln.108 Tendenzwidriges Verhalten des Arbeitnehmers soll den Arbeitgeber dagegen abhängig von den Umständen des Einzelfalls zur ordentlichen oder außerordentlichen Kündigung berechtigen.109 Anderenfalls wäre die Glaubwürdigkeit des Tendenzbetriebes gefährdet. Konkret handelt es sich hierbei um gestufte Pflichten, bei denen die Nähe der Funktion des Arbeitnehmers zum Tendenzzweck zum einen über seine Tendenzträgereigenschaft per se sowie zum anderen über die Intensität möglicher Verhaltensanforderungen entscheidet.110

      2. Strukturelle Unterschiede zur kirchlichen Dienstgemeinschaft

      Man mag versucht sein, große Gemeinsamkeiten oder sogar eine Übereinstimmung von weltlichem Tendenzschutz und kirchlichem Selbstverwaltungsrecht zu bejahen, nicht zuletzt, da bei beiden der Begriff der schützenswerten Glaubwürdigkeit im Mittelpunkt steht.111 Gleichwohl bestehen zwischen beiden materiell wie formell weit reichende Unterschiede. Die kirchliche Autonomie „beruht auf grundlegend anderen Fundamenten.“112 Handelt es sich beim Tendenzschutz um Grundrechtsschutz, so kann dieser nach der althergebrachten Grundrechtsdogmatik im Lichte der Verhältnismäßigkeit bewertet, gegebenenfalls eingeschränkt und mit den Grundrechten anderer in praktische Konkordanz gebracht werden.113 Bei der Selbstverwaltungsgarantie freilich handelt es sich gemäß Art. 140 GG i.V.m. 137 III 1 WRV um die Eröffnung eines Freiraumes, der den Kirchen „innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes“ zusteht und innerhalb dessen eben gerade keine Abwägung stattfinden kann. Vielmehr stehen sich die Rechtspositionen zweier Institutionen gegenüber, von denen keine gegenüber der anderen in Abhängigkeit geraten soll, was einer Abwägung widerspricht.114 Sowohl Grundlage als auch Ausprägung sind demnach grundverschieden. Das BVerfG urteilte daher folgerichtig in der Bremer Pastorenentscheidung, dass

       „die Kirchen zum Staat ein qualitativ anderes Verhältnis besitzen als irgend eine andere gesellschaftliche Großgruppe (Verband, Institution); das folgt nicht nur aus der Verschiedenheit, dass jene gesellschaftlichen Verbände partielle Interessen vertreten, während die Kirche ähnlich wie der Staat den Menschen als Ganzes in allen Feldern seiner Bestätigung und seines Verhaltens anspricht und (rechtliche oder sittlich-religiöse) Forderungen an ihn stellt, sondern insbesondere auch aus dem Spezifikum des geistig-religiösen Auftrags der Kirchen.“115

      Die Kirchen sind daher nicht nur aufgrund ihrer verfassungsrechtlich normierten Sonderstellung aus Art. 140 GG i.V.m. 137 III 1 WRV qualitativ anders zu bewerten als Tendenzbetriebe, sondern auch, da ihr Auftrag sich auf sämtliche Bereiche des Lebens erstreckt.116 Dem wird der partiell orientierte Tendenzschutz nicht gerecht. „Der Anspruch auf Verbindlichkeit der gelehrten Glaubenssätze in der Kirche ist etwas völlig anderes“.117 Reiner Tendenzschutz bliebe hinter diesem Anspruch zurück.

      Das letzte Argument liefert schließlich der Gesetzgeber selbst. § 118 II BetrVG stellt ausdrücklich klar, dass das BetrVG auf Religionsgemeinschaften sowie die ihnen zugehörigen karitativen oder erzieherischen Einrichtungen unbeschadet ihrer Rechtsform gerade nicht anwendbar ist. Dies zeigt zweierlei: Zum einen besteht zwischen Tendenzschutz und kirchlichem Selbstverwaltungsrecht ein qualitativer Unterschied, denn Ersteres wäre ja bereits in § 118 I BetrVG geregelt.118 Zum anderen besteht ein quantitativer Unterschied: Der Schutz der kirchlichen Selbstverwaltungsgarantie ist intensiver.119

      Ebenfalls nicht verwechselt werden dürfen kirchliche Loyalitätsobliegenheiten schließlich mit bestehenden Loyalitätspflichten im öffentlichen Dienst. Das BAG verlangt hier ein positives Verhältnis zu den Grundwerten der Verfassung, was insbesondere in Bezug auf die Mitgliedschaft in verfassungsfeindlichen Organisationen relevant werden kann.120 Derartig begrenzt ist das – zudem auf anderen Fundamenten ruhende – kirchliche Selbstverwaltungsrecht nicht.

      IV. Inhalt der Loyalitätsobliegenheiten

      Der Bedarf der Kirchen, kündigungswesentliche Verhaltensrichtlinien auch für den privaten, außerdienstlichen Bereich bindend festzuschreiben, war hinlänglich bekannt. Bestätigt wurde die kircheneigene Kompetenz durch das BVerfG, das festschrieb, dass diese – mit gewissen Beschränkungen121 – unter das verfassungsrechtlich garantierte Selbstbestimmungsrecht falle.122 Die


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