Kirchliche Loyalitätspflichten und die Europäische Menschenrechtskonvention. Matthias Lodemann

Kirchliche Loyalitätspflichten und die Europäische Menschenrechtskonvention - Matthias Lodemann


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trifft insoweit also auch die Kirchen.

      Im Ergebnis kann die Reichweite von Fragerecht und Offenbarungspflichten für die rein kündigungsrechtliche Problematik also hier offen bleiben. Ein Fragerecht besteht, soweit der Kirche auch das Recht zusteht, kündigungswesentliche Obliegenheiten verbindlich festzulegen; dies ist Gegenstand dieser Untersuchung. Eine Offenbarungspflicht besteht im Grundsatz nicht; Ausnahmen bilden ggf. der Kirchenaustritt sowie die Zugehörigkeit zur katholischen Kirche. Auf die Rechtmäßigkeit einer Kündigung hat dies aber regelmäßig keine Auswirkungen.

      c. Loyalitätsanforderungen

      Von weitaus größerer Bedeutung für die hier zu erörternde Fragestellung ist Art. 4 GrO, der die Loyalitätsobliegenheiten der kirchlichen Arbeitnehmer während des Arbeitsverhältnisses kodifiziert. Hierbei hat sich die katholische Kirche für eine gestufte Regelung entschieden.

      Demnach unterliegen gemäß Art. 4 I 2, 3 GrO katholische Mitarbeiter im pastoralen, katechetischen und erzieherischen Dienst, leitende Mitarbeiter sowie Mitarbeiter, die aufgrund einer missio canonica tätig sind, den stärksten Loyalitätsbindungen. Bei ihnen ist das „persönliche Lebenszeugnis im Sinne der Grundsätze der katholischen Glaubens- und Sittenlehre erforderlich.“ Übrige katholische Mitarbeiter haben die Grundsätze der katholischen Glaubens- und Sittenlehre nicht nur anzuerkennen, sondern auch zu beachten,155 Art. 4 I 1 GrO. Nichtkatholische Christen unterliegen geringeren Loyalitätsobliegenheiten: Sie haben gemäß Art. 4 II GrO die Wahrheiten und Werte des Evangeliums zu achten und dazu beizutragen, sie zur Geltung zu bringen. Sie müssen diese also nicht als richtig für sich selbst anerkennen, die Kirche kann dies auch nicht erwarten.156 Nichtchristliche Mitarbeiter157 schließlich unterliegen den geringsten Loyalitätserwartungen. Sie haben gemäß Art. 4 III GrO bereit zu sein, die ihnen übertragenen Aufgaben im Sinne der Kirche zu erfüllen.158 Schließlich trifft alle Mitarbeiter gemeinsam die Pflicht, kirchenfeindliches Verhalten zu unterlassen und die Glaubwürdigkeit der Kirche nicht zu beschädigen (Art. 4 IV GrO).

      All diesen Erwartungen ist gemein, dass sie – insbesondere für ein rechtsverbindliches Dokument – recht unbestimmt erscheinen.159 Trotzdem erscheinen die offenen Formulierungen alternativlos, denn es „wird ein Rechtstext kaum jemals in einem Nebensatz die Wahrheit des Evangeliums definieren können.“160 Zudem bietet der Katalog aus Art. 5 GrO161 hinreichend Regelbeispiele, auf deren Vergleichbarkeit abgestellt werden kann. Man wird die Konkretisierung also ganz im Sinne der Selbstverwaltungsgarantie den Kirchen zu überlassen haben162 und eine Entscheidung nach den Umständen des Einzelfalles treffen müssen.

      Die Stufung mag zunächst überraschen, führt man sich die Definition der Dienstgemeinschaft noch einmal vor Augen: Alle in der Kirche Tätigen nehmen ohne Rücksicht auf ihre arbeitsrechtliche Stellung gleichermaßen am Sendungsauftrag teil.163 „Im Hinblick auf die sittlichen Normen, die das in sich Schlechte verbieten, gibt es für niemanden Privilegien oder Ausnahmen."164 Indes wird darauf hingewiesen, dass die Kirche gerade auch zur Wahrung ihrer Glaubwürdigkeit keine überzogenen Anforderungen stellen dürfe, die ihre Bediensteten ohnehin entweder nicht gewillt oder nicht fähig wären, zu erfüllen, denn rein praktisch müsste man sie schon zahlenmäßig eventuell dennoch beschäftigen.165 Gleichwohl darf man nicht den Fehler begehen, eigene Wertungen an die Stelle derer der Kirche zu setzen.166 Entscheidet sich die katholische Kirche also für eine Abstufung nach Religion und Konzession, so bewegt sie sich innerhalb des ihr zustehenden Freiraumes, den sie freilich so nicht komplett ausfüllt.167 Nach erfolgter Konkretisierung muss sie sich aber auch an diesen Richtlinien festhalten lassen.

      d. Rechtsfolgen eines Verstoßes gegen Loyalitätsanforderungen

      In Art. 5 GrO werden die Verstöße gegen die Loyalitätsobliegenheiten definiert. Art. 5 I GrO kodifiziert das dem allgemeinen Arbeitsrecht entlehnte ultima-ratio-Prinzip: Bei Verstößen ist zunächst ein beratendes Gespräch durch den Dienstgeber zu suchen und sodann auf andere Maßnahmen wie etwa eine Abmahnung, einen formellen Verweis, Versetzung oder Änderungskündigung abzustellen. Erst als ultima ratio kommt dann eine Kündigung in Betracht. Hierbei handelt es sich um eine zwingende Verfahrensvorschrift, die angesichts der Systematik des Art. 5 GrO für sämtliche dort geregelten Kündigungen gelten muss.168

      Konkret regelt dann der zweite Absatz kündigungsrelevante Loyalitätsobliegenheiten in Form eines nicht abgeschlossenen („insbesondere“) Katalogs von Regelbeispielen. So kommen insbesondere der Kirchenaustritt,169 öffentliches Eintreten gegen tragende Grundsätze der katholischen Kirche, exemplarisch hinsichtlich der Abtreibung, schwerwiegende persönliche sittliche Verfehlungen, Abschluss einer nach katholischem Recht ungültigen Ehe170 (konkretisiert durch Art. 5 V GrO), sowie Handlungen, die als eindeutige Distanzierung von der katholischen Kirche anzusehen sind, als schwerwiegende Verfehlungen in Frage. Für die Generalklausel der persönlichen sittlichen Verfehlung wird betont, dass sie eine vergleichbar schwerwiegende Verfehlung darstellen muss, und das Eingehen einer eingetragenen Lebenspartnerschaft (§ 1 ff. LPartG) als Beispiel genannt.171 Zwar wendet sich die katholische Kirche gegen die Benachteiligung homosexuell veranlagter Menschen; gleichwohl lehnt sie die praktizierte Homosexualität ab.172 Das Eingehen einer eingetragenen Lebenspartnerschaft (§ 1 ff. LPartG) ist demnach ein schwerer Loyalitätsverstoß.173 Maßgeblicher Zeitpunkt für das Feststellen eines solchen Verstoßes ist der Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung.174

      Ein solcher Verstoß zieht abhängig von der innerkirchlichen Position der Bediensteten unterschiedliche Rechtsfolgen nach sich.175 Gemäß Art. 5 III GrO wird – Art. 5 nimmt insoweit die Stufung aus Art. 4 wieder auf – für pastorale, katechetische oder leitende Mitarbeiter sowie Mitarbeiter, die aufgrund einer missio canonica tätig sind, die Weiterbeschäftigung per se ausgeschlossen, wenn nicht gravierende Umstände des Einzelfalls hiergegen sprechen. Hierbei muss es sich um besonders gelagerte Fälle handeln; zudem steht keinesfalls die unveränderte Beschäftigung, sondern vielmehr eine Beschäftigung unter Veränderung des Vertragsinhaltes im Vordergrund.176 Für die übrigen Mitarbeiter ist eine Prüfung der Einzelfallumstände vorgesehen, wobei nicht etwa die Interessen des Arbeitnehmers gegenüberstehen. Vielmehr ist die Gefährdung der Glaubwürdigkeit der Kirche, die Belastung der Dienstgemeinschaft sowie das Gewicht der Obliegenheitsverletzung maßgeblich, Art. 5 IV GrO. Auch ist die grundsätzliche Einstellung des Mitarbeiters zur Kirche, der eventuell nur im konkreten Fall versagt, zu berücksichtigen.177 Schließlich normiert Art. 5 V GrO, dass bei einem Austritt aus der katholischen Kirche eine Weiterbeschäftigung ausgeschlossen ist, regelt so zumindest nach kirchlichem Verständnis einen absoluten Kündigungsgrund178 und stellt gleichzeitig klar, dass der Kirchenaustritt aus Art 5 II, 1. Spiegelstrich den Austritt aus allen Kirchen normiert179 – es sei denn, dieser erfolgt, um in die katholische Kirche einzutreten, denn hier ist die GrO ihrem Telos nach nicht anwendbar.180

      2. Evangelische Kirche

      Die evangelische Kirche hat lange auf eine einheitliche Regelung verzichtet und die Niederschreibung von Loyalitätsobliegenheiten den 23 Landeskirchen überlassen, welche in unterschiedlichem Umfang – wenn überhaupt – von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht hatten.181 Aus der Problematik unterschiedlicher bzw. gar nicht vorhandener Regelungen, etwa für bundesweit tätige diakonische Träger, erwuchs aber die Notwendigkeit einer allgemeinen Regelung.182 Dass diese erst 2005 mit der „Richtlinie des Rates der EKD über die Anforderungen der beruflichen Mitarbeit in der EKD und des Diakonischen Werkes in der EKD“ („RL.EKD“) gestillt wurde, erstaunt insbesondere vor dem Hintergrund, dass die verfassungsrechtlich garantierte und zugleich ausfüllungsbedürftige Definitionshoheit und -kompetenz spätestens seit 1985 den Kirchen eindeutig zugewiesen war.183 Auch die Antidiskriminierungsrichtlinien des EU-Rechts (2000/78/EG sowie 2000/43/EG) haben ihren Teil dazu beigetragen, den status quo nun zu kodifizieren.184


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