Kirchliche Loyalitätspflichten und die Europäische Menschenrechtskonvention. Matthias Lodemann
schnell und weniger detailliert.125
1. Katholische Kirche
Eine erste Niederlegung von Loyalitätsobliegenheiten innerhalb der katholischen Kirche war die „Erklärung zum kirchlichen Dienst“, vom ständigen Rat der Deutschen Bischofskonferenz im Jahr 1983 erlassen.126 Nachdem diese weder hinreichend detailliert noch mit rechtsverbindlichem Charakter ausgestaltet war, ist ihre rechtliche Bedeutung eher gering einzuschätzen.127 Somit genügte sie nach der Grundsatzentscheidung des Bundesverfassungsgerichts, die den Kirchen das Recht zugestand, ihre Loyalitätsobliegenheiten verbindlich festzuschreiben,128 nicht, um das ansonsten auftretende rechtliche Vakuum – denn den Fachgerichten war es ja gerade untersagt, ihre Wertung an die Stelle der Kirchen zu setzen129 – hinreichend auszufüllen.130 Folgerichtig131 verabschiedeten die deutschen Bischöfe auf der Herbstkonferenz 1993 eine neue „Erklärung der deutschen Bischöfe zum kirchlichen Dienst“, bei deren normativer Umsetzung132 es sich dann um die heute gültige Grundordnung der katholischen Kirche (GrO) handelt.133
a. Grundlagen
Die GrO liefert zunächst in Art. 1 eine Legaldefinition der Dienstgemeinschaft: Alle in einer Einrichtung der katholischen Kirche Tätigen tragen durch ihre Arbeit ohne Rücksicht auf die arbeitsrechtliche Stellung gemeinsam dazu bei, dass die Einrichtung ihren Teil am Sendungsauftrag der Kirche erfüllen kann. Art. 2 GrO präzisiert den Begriff der Einrichtung, indem der Geltungsbereich der GrO weit gefasst wird. Umfasst sind demnach Arbeitnehmer bei den Diözesen, Kirchengemeinden, -stiftungen sowie öffentlichen juristischen Personen des kanonischen Rechts (Art. 2 I Buchst. a)-e) GrO). Aber auch sonstige Einrichtungen kirchlicher Träger sind unbeschadet ihrer Rechtsform gemäß Art. 2 II GrO dazu gehalten, die GrO zu übernehmen. Voraussetzung hierfür ist eine satzungsmäßig abgesicherte Zuordnung zur Kirche,134 die auch eine privatrechtliche Organisationsform in die verfassungsrechtlich geschützte Selbstverwaltungsgarantie einbezieht.135 Ausdrücklich ausgenommen sind schließlich durch Art. 2 III GrO Klerikerdienstverhältnisse und Ordenszugehörige.
Art. 3 GrO normiert Voraussetzungen für die Begründung eines Arbeitsverhältnisses, so unter anderem, dass die Einhaltung der Loyalitätsobliegenheiten (Art. 4 GrO) gemäß Art. 3 V GrO obligatorisch durch Befragung und Aufklärung sicherzustellen ist. Konkret wird festgelegt, dass für pastorale, katechetische sowie grundsätzlich erzieherische und leitende Aufgaben136 nur Angehörige der katholischen Kirche in Frage kommen (Art. 3 II GrO). Personen, die sich kirchenfeindlich betätigen oder aus der katholischen Kirche ausgetreten sind, sind nicht geeignet für den Dienst in der Kirche (Art. 3 IV GrO).
b. Fragerecht und Offenbarungspflicht
Aus diesen Grundsätzen, insbesondere aber aus der kircheninternen Befragungs- und Aufklärungspflicht des Art. 3 V GrO, folgt ein über das Maß des weltlichen Arbeitsrechts hinausgehendes Fragerecht des Arbeitgebers. Ein grundsätzliches Fragerecht ist im weltlichen Arbeitsrecht für tätigkeitsrelevante Fragen anerkannt,137 findet aber regelmäßig dort seine Grenze, wo schützenswerte Interessen des Arbeitnehmers dem entgegenstehen.138 Dies sind regelmäßig die Grenzen seiner Individualsphäre, denn hier fehlt es an einem berechtigten, billigenswerten und schutzwürdigen Interesse des Arbeitgebers auf Beantwortung einer solchen Frage.139 Bei unzulässigen Fragen überwiegt demnach das Interesse des Bewerbers an einer Nicht-Beantwortung. Es folgt ein Recht zur Lüge.140 Nur zulässige Fragen sind wahrheitsgemäß zu beantworten, widrigenfalls für die Arbeitgeberseite eine Anfechtung gemäß §§ 119 II, 123 I, 142 I BGB in Frage kommt.141
Die Reichweite von Fragerecht und Recht zur Lüge ist nicht erst seit Erlassung des AGG im weltlichen wie im kirchlichen Arbeitsrecht gleichermaßen umstritten.142 Richtigerweise kann jedoch der Umfang des Fragerechts nur mit den „im späteren Arbeitsverhältnis legitimerweise zu stellenden Anforderungen“ korrespondieren.143 Dies ist auch die einzig überzeugende Lösung: Sinnlos wäre es doch, bestimmte Loyalitätsanforderungen als legitim zu bejahen, gleichzeitig aber die Frage nach ihrer Erfüllung im Vorstellungsgespräch abzulehnen. Eine Divergenz darf hier nicht sein. Die Antwort zu dieser Frage hängt also entscheidend von der ihr übergeordneten Frage der grundsätzlichen Reichweite des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts ab.
Nicht ganz so einfach zu beantworten ist demgegenüber die Frage nach möglichen Offenbarungspflichten eines Bewerbers. Auch hier nützt zunächst der Hinweis auf die Rechtslage im weltlichen Arbeitsrecht. Grundsätzlich besteht eine solche eigenständige Offenbarungspflicht nicht.144 Nur dort, wo ein Bewerber auf längere Dauer überhaupt nicht in der Lage sein wird, die arbeitsvertraglichen Verpflichtungen zu erfüllen, ist eine solche Pflicht von der Rechtsprechung bejaht worden.145 Diese grundlegende Überlegung ließe sich auch für die Annahme einer Offenbarungspflicht im kirchlichen Bewerbungsgespräch fruchtbar machen: Ist der Bewerber für sich selbst erkennbar nicht fähig oder gewillt, sich an kirchliche Loyalitätserwartungen zu halten, so wird er die Glaubwürdigkeit der Kirche gefährden und daher auf Dauer ungeeignet sein, den arbeitsvertraglichen Verpflichtungen nachzukommen. Auf dieser Grundlage differenziert Fink-Jamann nach der Systematik des Art. 3 II GrO und nimmt für die Arbeitsverhältnisse, bei welchen die Zugehörigkeit zur katholischen Kirche zwingend vorausgesetzt ist, eine Offenbarungspflicht des Bewerbers bezüglich der Kirchenzugehörigkeit an.146 Für die weiteren dort genannten Arbeitsverhältnisse wird von einer Offenbarungspflicht im Grundsatz ausgegangen.147 Für den Kirchenaustritt bestehe dagegen bei Arbeitnehmern, die dem Art. 3 II GrO unterfallen, eine Offenbarungspflicht; bei den übrigen Arbeitnehmern richte sich diese nach dem Kennen oder Kennenmüssen des Ausschlussgrundes des Art. 3 IV GrO.148
Zweifelhaft ist dies einzig vor dem Hintergrund, dass – stellt man die GrO ins Zentrum der Untersuchung – diese selbst nicht unbedingt von einer Offenbarungspflicht auszugehen scheint. Im Gegenteil: Art. 3 V GrO normiert ja gerade eine Prüfungspflicht bezüglich der Erfüllung von Loyalitätsobliegenheiten und scheint so geradezu ausdrücklich festzulegen, dass eine Offenbarungspflicht nicht besteht, da ansonsten die Prüfungspflicht obsolet wäre. Dies überzeugt jedoch nur auf den ersten Blick: Art. 3 V GrO verweist ausdrücklich nur auf die Loyalitätsobliegenheiten nach Art. 4 GrO. Im Umkehrschluss steht die Systematik der GrO, die die Kirchenzugehörigkeit bzw. die Rechtsfolgen des Kirchenaustritts bereits in Art. 3 GrO regelt, der Annahme einer Offenbarungspflicht nicht entgegen; das Gegenteil ist der Fall.
Für die im Zentrum dieser Arbeit stehende Problematik der kündigungsrechtlichen Fragestellung könnten diese Fragen jedoch möglicherweise dahingestellt bleiben. Unterlässt der kirchliche Dienstgeber die nach Art. 3 V GrO vorgesehene Befragung, so stellt sich die Frage, ob er sich damit auch seiner Möglichkeit zur Kündigung begibt. Dütz sieht hier insbesondere den kirchlichen Arbeitgeber in der Pflicht und konstatiert: „Was hier versäumt wird, kann später nicht durch Abmahnung und Kündigung korrigierend nachgeholt werden.“149 Dagegen steht Thüsing: Loyalitätsverstöße nach Art. 4 GrO können auch ohne vorherige Befragung und Belehrung des Bewerbers mit einer späteren Kündigung geahndet werden.150
Die letztgenannte Ansicht überzeugt. So urteilte auch das BAG, dass eine unterbliebene Nachfrage nicht zur Unwirksamkeit der Kündigung führen könne.151 Dies ergibt sich aus mehreren Argumenten. Zunächst ist Art. 3 V GrO nicht als Schutznorm für den Arbeitnehmer konzipiert.152 Vielmehr bezweckt er gerade im Gegenteil den Schutz der Glaubwürdigkeit und den Sendungsauftrag der Kirche.153 Nach Systematik und Telos kann ihm demzufolge keinesfalls eine Funktion des Arbeitnehmerschutzes entnommen werden. Der Arbeitnehmer soll nicht vor einer Kündigung geschützt werden, er soll vielmehr gar nicht erst eingestellt werden. A maiore ad minus muss also zumindest die Kündigung möglich bleiben. Das verfassungsrechtlich garantierte kirchliche Selbstverwaltungsrecht kann nicht durch eine Nachlässigkeit des Einstellenden ausgehebelt werden. Treuwidrig ist dagegen eine Kündigung aufgrund eines Kirchenaustritts