Kirchliche Loyalitätspflichten und die Europäische Menschenrechtskonvention. Matthias Lodemann
fragwürdig, aber inhaltlich wohl zutreffend – in eine „Disziplinargemeinschaft“, indem ihr Loyalitätsobliegenheiten innewohnen.50
B. Die rechtliche Position der Kirchen in Deutschland
Bevor jedoch in concreto auf die spezifischen Loyalitätsobliegenheiten eingegangen werden kann, muss gleichsam als ihr rechtliches Fundament die grundsätzliche Rechtsposition der Kirchen in Deutschland beleuchtet werden.
I. Verfassungsrechtliche Grundlagen
Schon denklogisch genießen die Kirchen nach dem deutschen Grundrechtekatalog einen besonderen Schutz. Schließlich handelt es sich bei den Kirchen um nichts anderes als einen Zusammenschluss von Trägern der Religionsfreiheit. Diese wird in Deutschland durch Art. 4 GG geschützt, welcher lautet:
(1) Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich.
(2) Die ungestörte Religionsausübung wird gewährleistet.
Hierbei handelt es sich um einen weiten Schutzbereich, der seine Geltung im Übrigen oftmals auch gerade im Arbeitsrecht entfaltet.51 Art. 4 GG schützt im Grundsatz als individuelles Abwehrrecht zweierlei: das forum internum als Glaubens- und Gewissensfreiheit sowie das forum externum als Freiheit des Bekenntnisses. Der Glaube muss dabei – auf das Rudimentärste herabgebrochen – eine wie auch immer geartete Gottesoder vergleichbare metaphysische bzw. ethische Vorstellung beinhalten.52 Religion beruht – getragen vom Glauben – auf der Eingliederung des Menschen in das irdische und überirdische Gesamtgefüge, das mit menschlichen Maßstäben weder zu begreifen noch gar zu beurteilen ist.53 Eine Weltanschauung vermag demgegenüber bei der Bewertung des Weltgeschehens auf übersinnliche und -natürliche Zusammenhänge zu verzichten und bezieht demnach nur greifbare Vorgänge ein.54 Da Religion und Weltanschauung gleichwertig verwendet werden, kann auf eine tiefergehende Differenzierung verzichtet werden.55
Die rechtliche Aussage von Art. 4 GG geht aber über das individuelle Abwehrrecht hinaus. Art. 4 GG garantiert vielmehr ebenfalls die Religionsgemeinschaften und Kirchen als „Gemeinde der Gläubigen.“56 Insoweit nehmen die Kirchen eigene Rechte als „Repräsentanten“ ihrer Mitglieder wahr.57 Die Religionsfreiheit dient also, und auch dies ist nur folgerichtig, gerade nicht nur dem Einzelnen.58 Die freie Ausübung einer Religion ist eben oftmals schlichtweg deckungsgleich mit dem Begriff und Bestand der Kirche.
Ergänzt wird diese, ihren Ausgangspunkt im individuellen Recht findende, Freiheit zur Vereinigung durch die institutionsrechtliche Gewährleistung der Art. 140 GG i.V.m. Art. 136 ff. WRV, die Freiheit der Vereinigungen.59 Diese Artikel, bei denen insbesondere auf die Reichweite von Art. 137 III 1 WRV60 noch ausführlich einzugehen sein wird, regeln das Grundverhältnis zwischen Kirche und Staat, indem Letzterer anerkennt, dass den Kirchen eben die Organisationshoheit über ihre inneren Angelegenheiten im Rahmen der Selbstverantwortung zusteht.61 Zu Recht wird das Selbstbestimmungsrecht aus Art. 137 III 1 WRV neben der Religionsfreiheit des Art. 4 GG sowie dem Trennungsprinzip aus Art. 137 I WRV als „dritte Säule der staatskirchenrechtlichen Ordnung des GG“ bezeichnet.62
Aus dem bereits angedeuteten „verfassungssystematischen Zusammenhang […] mit dem Grundrecht der Religionsfreiheit“63 folgt schließlich, dass Beeinträchtigungen des kirchlichen Selbstverwaltungsrechts zugleich als mögliche Verletzungen des Art. 4 GG mit der Verfassungsbeschwerde gerügt werden können.64
II. Vom Verfassungsrecht zum Arbeitsrecht
Diese Selbstverwaltungsgarantie entfaltet ihre Wirkung eben auch gerade im Arbeitsrecht.65 Zwar findet, sofern sich die Kirchen zur Begründung von Rechtsverhältnissen der Privatautonomie bedienen, das staatliche Arbeitsrecht als „schlichte Folge einer Rechtswahl“66 Anwendung. Kaum jemals wird aber vertreten, dass dies ein schlichtes Entweder-Oder aus kirchenrechtlichem Statusverhältnis und gänzlich dem staatlichen, „normalen“ Arbeitsrecht unterworfenen Arbeitsvertrag zur Folge hat.67 Vielmehr hebt die Zuordnung zum staatlichen Arbeitsrecht die Einbeziehung kirchlicher Arbeitsverhältnisse in den Bereich der Selbstverwaltungsgarantie nicht auf.68 Diese Rechtskreise schließen einander also nicht aus, sondern modifizieren und ergänzen sich. Bezogen auf das kirchliche Arbeitsrecht bedeutet dies, dass – soweit man sich im Rahmen „der für alle geltenden Gesetze“69 bewegt – den Besonderheiten der Kirche bei der rechtlichen Würdigung von Arbeitsverhältnissen Rechnung zu tragen ist, was insbesondere Wirkungen im Kündigungs-, Streik- und Mitbestimmungsrecht mit sich bringt.70
C. Loyalitätsanforderungen der Kirchen im Vergleich
Auf dieser rechtlichen Grundlage haben die Kirchen die bereits erwähnte Stufung der Arbeitnehmer vor dem Hintergrund der kirchlichen Dienstgemeinschaft nach ihrer Nähe zum Verkündigungsauftrag zur Grundlage ihrer Loyalitätsanforderungen gemacht. Dass Ausformulierung der Loyalitätsanforderungen sowie ihre Stufung nach der Tätigkeit des Arbeitnehmers und seiner Nähe zum Verkündigungsauftrag den Kirchen selbst im Rahmen ihres Selbstverwaltungsrechts zustehen, hat das BVerfG in der oftmals zitierten Grundsatzentscheidung im 70. Band ausdrücklich festgehalten und die richterliche Kontrolle auf grobe Verstöße gegen die Rechtsordnung beschränkt.71 Es handelt sich hierbei nicht um eine „Klerikalisierung“ des Arbeitnehmers, die den Arbeitsvertrag gleichsam in ein kirchliches Statusverhältnis umwandelte.72 Nur Inhalt und Umfang der durch Vertrag begründeten Loyalitätsobliegenheiten können nach den von der verfassten Kirche anerkannten Maßstäben festgelegt werden.73
I. Die kirchliche Dienstgemeinschaft als Anlass für Loyalitätsobliegenheiten
Die grundsätzliche Anerkennung der kirchlichen Dienstgemeinschaft führt ohne weiteres zur Anerkennung von zunächst einmal größeren Loyalitätserwartungen als bei anderen Arbeitnehmern.74 Es ist das kirchliche Proprium, die Eigenart der Kirchen, die dies verlangt.75 Durch die kirchliche Dienstgemeinschaft lässt Gott geschehen, was er am Menschen geschehen lassen will.76 Um die Wahrung kirchlicher Aufgaben nicht zu erschweren oder gar unmöglich zu machen, steht daher die kirchliche Dienstgemeinschaft als Leitbild über dem Tätigwerden kirchlicher Arbeitnehmer.77 Die Loyalitätserwartungen werden so zu Loyalitätsobliegenheiten. Macht man sich die Kirchen als „organisierte Gemeinschaften von Christen“78, gleichsam als Volk Gottes, bewusst, so ist es überzeugend, dass ihre Bediensteten ein „Vorbild für die Gläubigen im Wort, im Wandel, in der Liebe, im Glauben, in der Reinheit“ zu sein haben.79 Dies erfordert zur Wahrung der Glaubwürdigkeit der Kirche nach innen und außen die Auferlegung bestimmter Verhaltensobliegenheiten.80 Ein Beispiel: Niemand würde ernsthaft verlangen, dass als katholischer Geistlicher auch ein Moslem beschäftigt werden müsste, was aber geboten wäre, wären Diskriminierungen in keinem Fall erlaubt.81 Germann/de Wall formulieren hierzu pointiert und zutreffend: „Verkündiger können die Verkündigung stören.“82 Da sowohl dienstliches als auch außerdienstliches Handeln sich gleichsam vor die „Predigt von Gesetz und Evangelium schieben“ kann,83 muss beides Gegenstand von Loyalitätsobliegenheiten sein können – gleichwohl natürlich nicht grenzenlos.
II. Rechtsnatur von Loyalitätsobliegenheiten
Differenziert werden muss in diesem Bereich zwischen den allgemeinen arbeitsvertraglichen Pflichten, der fehlerfreien Erbringung der Arbeitskraft, die als Primärpflicht aus § 611 BGB i.V.m. aus dem Arbeitsvertrag erwächst, sowie den hier relevanten Obliegenheiten, die zur Loyalität gegenüber der Kirche aufrufen. Jedem allgemeinen