BGB-Erbrecht. Lutz Michalski
Bei der Auslegung von Erbverträgen ist zwischen vertragsmäßigen (→ Rn. 272) und einseitigen (→ Rn. 273) Verfügungen zu differenzieren.
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Für die Auslegung vertragsmäßiger Verfügungen gelten die allgemeinen Regeln über die Auslegung von Verträgen; maßgeblich ist der erklärte übereinstimmende Wille der Vertragsparteien (§§ 133, 157).[118] Selbst bei einseitigen Erbverträgen kommt es aufgrund des Vertragscharakters nicht allein auf den Willen des Erblassers an, sondern auf den objektiven Empfängerhorizont.[119] Gem. § 2279 Abs. 1 gelten jedoch auch die gesetzlichen Auslegungsregeln für Testamente entsprechend. § 2280 ergänzt zudem eine spezielle Auslegungsregel für Erbverträge, in denen sich Ehegatten oder Lebenspartner gegenseitig als Erben einsetzen; hier gilt § 2269 (→ Rn. 238) entsprechend.
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Für einseitige Verfügungen gelten hingegen ausschließlich die Grundsätze und Regeln für die Auslegung von Testamenten, inkl. der gesetzlichen Auslegungsregeln (vgl. § 2299 Abs. 2 S. 1).[120]
2. Gemeinschaftliche Testamente
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Ähnlich ist bei der Auslegung gemeinschaftlicher Testamente zwischen wechselbezüglichen (→ Rn. 239 ff.) und nicht wechselbezüglichen Verfügungen zu differenzieren.
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Wechselbezügliche Verfügungen haben zwar keinen Vertragscharakter, aber aufgrund der gegenseitigen Abhängigkeit und der Bindungswirkung nach dem Tod des ersten Ehegatten ist die Interessenlage hier derjenigen beim Erbvertrag vergleichbar; daher gelten insoweit die Regeln für die Auslegung von vertragsmäßigen Verfügungen in Erbverträgen (→ Rn. 375) entsprechend.[121]
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Für nicht wechselbezügliche Verfügungen gelten hingegen die gleichen Rechtsgrundsätze und gesetzlichen Auslegungsregeln wie für Einzeltestamente.[122]
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Besondere praktische Bedeutung hat die Frage, ob Verfügungen von Ehegatten, die diese für den Fall ihres gleichzeitigen Versterbens oder mit vergleichbaren Formulierungen getroffen haben, so auszulegen sind, dass sie auch für den Fall des echten Nacheinanderversterbens (also nicht der Tod durch dasselbe Ereignis oder innerhalb einer sehr kurzen Zeitspanne) gelten. Entscheidend ist, ob die Eheleute durch die von ihnen verwendete Formulierung eine vollständige und abschließende Regelung der erbrechtlichen Nachfolge in ihr Vermögen auch für den Tod des Längerlebenden treffen wollten oder ob diese Regelung offen bleiben sollte.[123] Nach der neueren Rechtsprechung werden Formulierungen wie „bei gleichzeitigem Ableben“ oder „im Falle gleichzeitigen Versterbens“ so ausgelegt, dass sie auch noch Fallgestaltungen betreffen, in denen von einem „gleichzeitigen Tod“ nur im weiteren Sinne die Rede sein kann, in denen aber im Hinblick auf den Sinn einer derartigen Regelung praktisch kein Unterschied zum gleichzeitigen Tod der Ehegatten im engeren Sinne besteht; sie gelten aber grundsätzlich nicht für den Fall, dass die Ehegatten nacheinander in erheblichem zeitlichem Abstand versterben.[124] Allerdings kann sich im Rahmen der Auslegung im Einzelfall ausnahmsweise auch ein anderer Wille der Ehegatten ergeben.[125]
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Lösung der Ausgangsfälle
Fall 22 (→ Rn. 323):
Der Erblasserwille ist nur dann formgültig erklärt, wenn er im Wortlaut des Testaments irgendwie, wenn auch nur versteckt oder andeutungsweise, zum Ausdruck kommt (sog. Andeutungstheorie, → Rn. 327). Dem Testament müsste daher der Wille, den M zum Alleinerben einzusetzen, wenigstens andeutungsweise zu entnehmen sein. Eine testamentarische Erbeinsetzung setzt voraus, dass eine Erklärung vorliegt, dass eine bestimmte Person Erbe sein soll (§ 1937). Wird die Person nicht ausdrücklich als Erbe bezeichnet, so findet der entsprechende Wille seinen Niederschlag in aller Regel darin, dass dem Berufenen der Nachlass ganz oder teilweise zugewandt wird. M wird nicht ausdrücklich als Erbe bezeichnet. Die Erwähnung, dass die E „keine großen Summen Geld zu vererben habe“, genügt nicht als Anhalt für eine Alleinerbeneinsetzung. Ebenso ist die Anordnung, dass M die meisten Bilder „behalten“ solle, bei einer Wertung eher als Teilungsanordnung (→ Rn. 1023 ff.) oder Vorausvermächtnis (→ Rn. 911), denn als Erbeinsetzung anzusehen.[126]
Fall 23[127] (→ Rn. 323):
Die Erbeinsetzung des M zum Alleinerben müsste im Testament wenigstens angedeutet sein (sog. Andeutungstheorie, → Rn. 327). Hierfür genügt die einleitende Bezeichnung „Unser Testament“ nicht, da eine solche Bezeichnung nicht nur für das Berliner Testament, sondern für alle gemeinschaftlichen Testamente naheliegend ist. Die Tatsache, dass es sich um ein gemeinschaftliches Testament handelt und sich in einem solchen üblicherweise auch die Eheleute gegenseitig selbst bedenken, genügt ebenfalls nicht als Anhaltspunkt. Mithin ist M nicht Alleinerbe.
Fall 24[128] (→ Rn. 323):
T ist im Testament der E nicht ausdrücklich als Ersatzerbin eingesetzt. Die Auslegungsregel des § 2069 (wonach im Falle des Wegfalls eines Abkömmlings im Zweifel dessen Abkömmlinge bedacht sind, → Rn. 351 ff.) kann hier nicht angewendet werden, weil kein Abkömmling, sondern eine Cousine als Alleinerbin eingesetzt war. Eine analoge Anwendung des § 2069 auf andere nahestehende Personen als Abkömmlinge wird allgemein abgelehnt (→ Rn. 352).
Allerdings könnte sich hier im Wege der ergänzenden Auslegung des Testaments ergeben, dass T Ersatzerbin sein sollte. Voraussetzung für die ergänzende Testamentsauslegung ist zunächst eine planwidrige Lücke (→ Rn. 337). Hier hatte E in ihrem Testament keine Anordnung für den Fall getroffen, dass C vor ihr versterben sollte; da C im Zeitpunkt der Errichtung des Testaments nur 41 Jahre alt und zudem neun Jahre jünger als E war, ist es auch nicht fernliegend anzunehmen, dass E nicht in Erwägung gezogen hatte, dass C vor ihr sterben könnte. Es liegt somit eine planwidrige Lücke vor. Zu prüfen ist daher, was E gewollt hätte, wenn sie bei Errichtung des Testaments das Vorversterben ihrer Cousine C bedacht hätte. Hier hatte E jede ihrer drei Cousinen mütterlicherseits jeweils mit 1/3 ihres Vermögens bedacht (wenn auch die C als Erbin, die anderen beiden als Vermächtnisnehmerinnen), die väterliche Seite hatte sie hingegen gar nicht bedacht. Wenn die Verwandten wie bei der gesetzlichen Erbfolge gleichmäßig bedacht werden, so ist dies ein starkes Indiz dafür, dass weniger die Personen als solche als die jeweiligen Stämme bedacht werden sollen.[129] Es ist daher anzunehmen, dass E die T als Ersatzerbin benannt haben würde, wenn sie den Umstand eines möglichen Vorversterbens der C bedacht hätte.
T ist somit ein Erbschein als Alleinerbin zu erteilen.