Handbuch Betreuungsrecht. Sybille M. Meier
Gutachtens zu überlassen. Das Gutachten eines Assistenzarztes einer psychiatrischen Klinik reicht in der Regel nicht aus. Ein Assistenzarzt befindet sich noch in Ausbildung und verfügt gerade nicht über die erforderliche Facharztqualifikation.[6] Zu den Begutachtungsstandards zählt es, die psychische Krankheit, körperliche, geistige oder seelische Behinderung des Betroffenen konkret fachpsychiatrisch zu bezeichnen. Ferner sind sachverständigenseits die Auswirkungen der Erkrankung auf die kognitiven und voluntativen Fähigkeiten des Betroffenen darzulegen.[7] Wie es im Medizin- und Arzthaftungsrecht dem State of the Art entspricht, müssen auch im Betreuungsrecht die Gutachten dem Facharztstandard entsprechen.
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Die anwaltliche Überprüfung der Betreuungsanordnung auf Verfahrensfehler hat stets die Sachkunde des Sachverständigen einzubeziehen. Man sollte sich also nicht scheuen, danach zu fragen, welche Ausbildung und Berufserfahrung der Sachverständige hat.
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Hinblicklich der Qualifikation eines Sachverständigen in Betreuungs- und Unterbringungssachen lassen sich folgende Grundsätze aufstellen: Bei psychischen Krankheiten und geistigen/seelischen Behinderungen ist grundsätzlich ein Facharzt für Psychiatrie oder ein Facharzt für Neurologie (bis 2003 gab es noch den Facharzt für Neurologie und Psychiatrie) zu beauftragen. Das Gutachten eines Assistenzarztes in einer psychiatrischen Klinik reicht in der Regel nicht aus, wenn nicht festgestellt wird, dass er aufgrund eines fortgeschrittenen Ausbildungsstandes die im Einzelfall erforderliche Sachkunde besitzt. Etwas anderes gilt, wenn der stellvertretende Abteilungsarzt des Krankenhauses das Gutachten abzeichnet.[8] Zumindest muss der Sachverständige ein in der Psychiatrie erfahrener Arzt sein. Wird ein Gutachter beauftragt, dessen Sachkunde sich nicht ohne weiteres aus seiner Berufsbezeichnung oder aus der Art seiner Berufstätigkeit ergibt, ist seine Sachkunde – wie oben ausgeführt – in der Entscheidung nachvollziehbar darzulegen.[9]
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Eine gerichtliche Entscheidung ist daraufhin zu überprüfen, ob Ausführungen zur Sachkunde des begutachtenden Arztes, der nicht Facharzt für Neurologie und Psychiatrie ist, getätigt wurden. Ergibt sich die Sachkunde des Gutachters nicht bereits aus der Facharztbezeichnung, so hat das Gericht die erforderliche Qualifikation des Sachverständigen in seiner Entscheidung näher zu begründen.[10]Fehlen hierzu Ausführungen in dem Beschluss, darf das Gutachten in dem Verfahren nicht verwertet werden. Es hat als nicht vorhanden zu gelten.[11]
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Diese muss das Gericht vornehmen, wenn der Sachverständige beispielsweise die Berufsbezeichnung „praktischer Arzt“ führt oder die Funktion eines Assistenzarztes im Krankenhaus hat. Insbesondere im letzteren Fall ist zu überprüfen, ob ein Abteilungsarzt das Gutachten abzeichnete. Im Falle einer Gegenzeichnung ist davon auszugehen, dass der Abteilungsarzt beurteilen kann, ob ein Assistenzarzt die nötige Sachkunde zur Erstellung des Gutachtens besaß. Ansonsten muss sich aus der gerichtlichen Entscheidung ergeben, warum der beauftragte Sachverständige auf dem Fachgebiet der Psychiatrie über die erforderliche Erfahrung verfügt.
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Bei gerichtsbekannten, irreversiblen Krankheiten kann es sinnvoll sein, einen Psychologen, Pädagogen oder Pflegesachverständigen mit der Untersuchung des Ausprägungsgrades der Krankheit zu beauftragen und deren Auswirkung auf die Fähigkeit des Betroffenen zur eigenständigen Wahrnehmung seiner Angelegenheiten.[12]
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Ein Problem der gerichtlichen Gutachteneinholung ist der Zeit- und Kostendruck[13] sowie die Beauftragung so genannter „Hofgutachter“. Bestimmte Sachverständige werden immer und immer wieder mit Gutachten betraut. Die Gutachten werden teilweise mit Hilfe von Textbausteinen aufgeplustert und in Serie erstellt. Im Rahmen einer anwaltlichen Vertretung eines Betroffenen sollte über die Ärztekammer ein Sachverständiger erfragt und zur Begutachtung dem Betreuungsgericht vorgeschlagen werden. Im Zivilprozess handelt es sich hierbei um ein gängiges Verfahren. Die Parteien werden vielfach, beispielsweise im Arzthaftungsprozess vor gerichtlicher Beauftragung eines Sachverständigen gebeten, diesbezüglich Vorschläge zu unterbreiten. Hiervon sollte durch den beauftragten Anwalt zwingend Gebrauch gemacht werden in Ansehung der Relevanz des Sachverständigengutachtens für den Ausgang des Betreuungsverfahrens.
Anmerkungen
BGH FamRZ 2011, 637 Rn. 17; FamRZ 2010, 1726 Rn. 13 m.w.N.; BtPrax 2012, 160 = FamRZ 2012, 1207 m. Anm. Fröschle S. 1209.
BayObLG FamRZ 1997, 1565 ff.
BayObLG FamRZ 1997, 1565, 1566.
BGH BtPrax 2010, 291 (Ls) = FamRZ 2010, 1726 = FGPrax 2010, 317 (Ls).
OLG Zweibrücken FamRZ 2005, 1196.
BayObLG BtPrax 1993, 30.
BayObLG BtPrax 2002, 37 („Altersstarrsinn“).
BayObLG, BtPrax 1993, 30.
BayObLG FamRZ 1997, 901.
BGH FamRZ 2011, 637; FamRZ 2012, 1207; FamRZ 2013, 1800; FamRZ 2015, 44, 45.
BGH FamRZ 2010, 1726; Bienwald Wer ist sachverständig im Sinne des § 280 FamFG?, FamRZ 2015, 723 ff.
BT-Drs. 11/4528, 174.
Cording/Nedopil Psychiatrische Begutachtung im Zivilrecht, 2014.
B. Das gerichtliche Verfahren bis zur Bestellung eines Betreuers › VII. Das Sachverständigengutachten › 3. Bekanntgabe der Person des Sachverständigen/Prüfung der Befangenheit
3. Bekanntgabe der Person des Sachverständigen/Prüfung der Befangenheit
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Auf Grund des Umstandes, dass eine Betreuungsanordnung einen tiefgreifenden Einschnitt in die Freiheitsrechte des Betroffenen darstellen kann, ordnet § 280 Abs. 1 i.V.m. § 30 FamFG eine förmliche Beweiserhebung an und erklärt die Vorschriften der Zivilprozessordnung für entsprechend anwendbar. (auch in anderen Verfahrensordnungen anzuwenden: § 82 FGO, § 118 SGG, § 98 VwGO).
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Dies hat u.a. die