Handbuch des Strafrechts. Dennis Bock
unterschieden und unterschiedlich sanktioniert.[21] Der bei der Tat erfasste Dieb konnte sofort ergriffen und getötet werden, unabhängig davon, ob ein großer oder kleiner Diebstahl vorlag,[22] wobei dies an eine Reihe von Voraussetzungen gekoppelt war, die mit dem sog. Handhaftverfahren umschrieben wurden.[23] Das uneingeschränkte Tötungsrecht wurde im Laufe der Zeit auf ein Festnahmerecht reduziert.[24] Die privatrechtlich verübte Tötung blieb schließlich nur noch in bestimmten Fällen zulässig, in denen der Diebstahl zur Nachtzeit erfolgte, der Täter sich gegen seine Ergreifung zur Wehr setzte oder mit Waffengewalt verteidigte.[25] Der Sinn und Zweck des Handhaftverfahrens lag „in einer ersten Formalisierung und damit Steuerung der Privatrache“.[26] In prozessualer Hinsicht bedeutete es eine Einschränkung der Verteidigungsmöglichkeiten des Beklagten, dieser konnte sich nicht mehr durch Reinigungsschwur entlasten, sondern galt vor Gericht als überführt.[27] Ähnlich dem römischen Recht knüpften damit im germanischen Recht an heute von § 252 StGB erfasste Lebenssachverhalte besondere Befugnisse des Opfers.
3. Das gemeine Recht
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Mit der Constitutio Criminalis Carolina (CCC)[28] wurde eine erste reichseinheitliche Kodifikation im Straf- und Strafprozessrecht geschaffen. Dies markierte einen bedeutenden Schritt auf dem Weg zur reichsweiten Rechtsvereinheitlichung.[29] Auch wenn sich in der CCC keine dem Tatbestand des räuberischen Diebstahls vergleichbare Regelung fand, findet sich auch dort die bereits bekannte Unterscheidung zwischen handhaftem und nicht handhaftem Diebstahl. Da sich mit der CCC in prozessualer Hinsicht das Inquisitionsverfahren immer stärker gegenüber dem im germanischen Recht noch vorherrschenden Akkusationsverfahren durchsetzte,[30] spielte auch das bisher bekannte Handhaftverfahren eine immer geringere Rolle,[31] sodass die Unterscheidung zwischen heimlichem und offenbaren Diebstahl[32] in der CCC keine prozessrechtliche Relevanz hatte und sie sich primär auf die Strafhöhe auswirkte.
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Für die weitere – auch strafrechtswissenschaftliche – Entwicklung bedeutsam ist Art. 159 CCC, der den Diebstahl mit Waffen als gefährlichen Diebstahl qualifizierte. Ein solcher wurde von einem Dieb verwirklicht, der bei der Tatbegehung eine Waffe bei sich trug, „damit er jemandt der jm widerstandt thun wolt, verletzten möcht“. Die Abgrenzung zum Raub (Art. 126 CCC) erwies sich als unscharf, zumal dieser in der CCC ohne tatbestandliche Merkmale kodifiziert war (→ BT Bd. 5: Wittig, § 30 Rn. 16). In der Praxis wurde der Problematik wenig Beachtung geschenkt. Da es sich bei beiden Delikten um Kapitalverbrechen handelte, hatte die fehlende Abgrenzung keine starken Abweichungen im Strafmaß zur Folge. Letztendlich wurde je nach Einzelfall und unter Anwendung wechselnder Kriterien entschieden, ob ein Raub oder gefährlicher Diebstahl vorlag.[33] Erst Feuerbach gelang eine klare Trennung der beiden Delikte. Feuerbach stellte dabei auf den Zeitpunkt der Gewaltanwendung ab und führte zur Bestimmung des Raubes gegenüber dem gefährlichen Diebstahl aus: „Der Akt der Entwendung selbst musste erst durch Gewalt bewirkt und möglich geworden sein. Der wirklichen Entwendung muss also die Verletzung des Rechts der Persönlichkeit vorhergehen. Hat nach vollendeter Entwendung der Verbrecher seine Person oder die gestohlene Sache verteidigt, so ist ein bewaffneter Diebstahl vorhanden, wenn der Verbrecher während der Entwendung selbst schon die Waffe führte.“[34] Die von Feuerbach vorgenommene Differenzierung bildete einen wichtigen gedanklichen Ausgangspunkt für die spätere Entwicklung des räuberischen Diebstahls zu einem eigenständigen Delikt. Maßgeblich hierfür war nach Kohlheyer die Feststellung, dass „eine nach vollendetem Diebstahl begangene Gewalthandlung den Diebstahl nicht mehr zu einem Raub machen kann“.[35] Klien verwies daran anknüpfend auf die Lücken im Rahmen der geltenden Ausgestaltung des gefährlichen Diebstahls, der solche Fälle nicht erfasste, in denen der Täter sich nicht im Vorfeld bewaffnet hatte oder es im Zuge der Beutesicherung zur Gewaltanwendung ohne Waffen kam.[36] Aus diesem Grund forderte er vom Gesetzgeber „die Entscheidung und nähere Bestimmung der Grenzen über die nach vollendetem Akt der Entwendung zugefügte Gewalt“.[37] Die dargestellten Vorüberlegungen Feuerbachs und Kliens, die ihren Ausgang bei Art. 159 CCC nahmen, schufen die theoretische Basis für die Konzeption eines eigenständigen Delikts[38] und bildeten damit den eigentlichen Anfangspunkt der historischen Entwicklung des räuberischen Diebstahls.
a) Vorbemerkungen
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Die Constitutio Criminalis Carolina blieb in weiten Teilen Deutschlands bis ins 18. Jahrhundert hinein die wesentliche Rechtsquelle für das Strafrecht und den Strafprozess.[39] Geprägt vom Rationalismus der Aufklärung (→ BT Bd. 5: Wittig, § 30 Rn. 18), verfestigte sich in der Rechtslehre allmählich die Forderung nach einer Neugestaltung der Strafgesetze.[40] Gesetzliche Tatbestände sollten durch eine klare Umschreibung der strafwürdigen Handlungen eindeutig bestimmt werden. Auf dieser Grundlage entwickelten sich im Zuge der deutschen Partikulargesetzgebung des 19. Jahrhunderts zahlreiche Gesetzgebungswerke.[41] In diesen Vorschriften finden sich erste Vorläufer des räuberischen Diebstahls. Das Bayerische Strafgesetzbuch von 1813 sowie das Preußische Strafgesetzbuch von 1851 gehörten zu den richtungsweisenden Gesetzeskodifikationen im Strafrecht und können daher exemplarisch für eine Betrachtung der Entwicklung herangezogen werden.
b) Bayerisches Strafgesetzbuch 1813
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Die Entstehung und inhaltliche Ausgestaltung des Bayerischen Strafgesetzbuches beruhte maßgeblich auf der Arbeit Feuerbachs.[42] Sein 1807 fertiggestellter und nach kommissarischer Prüfung 1810 veröffentlichter Entwurf sah in Art. 244 die Einführung eines Tatbestandes des räuberischen Diebstahls vor, der wie folgt lauten sollte: „Wer absichtlich mit Waffen versehen auf einen bloßen Diebstahl ausgegangen ist (Art. 231 Nr. 5) und nachdem er ertappt worden, sich dieser Waffen zur Schreckung oder Misshandlung wirklich bedient hat, ist als Räuber zu strafen. Dasselbe gilt von jenem Anderen, welcher bei einem Diebstahl ertappt, um das entwendete Gut in Sicherheit zu bringen, an eine Person tätliche Hand angelegt hat. Wenn aber ein auf der Tat ertappter Dieb, welcher vorher mit Waffen absichtlich nicht versehen war, sich bloß zur Sicherung seiner Person verteidigt, so hat dieses auf die Bestrafung nur insoweit Einfluss, als die Gesetze wider Körperverletzung oder Tötung dabei in Anwendung kommen.“ Diese Fassung wurde wortwörtlich unter Art. 235 des sodann 1813 in Kraft getretenen Bayerischen Strafgesetzbuches übernommen und stellt den ersten konzeptionellen Vorgänger der heutigen Vorschrift dar.[43] Bemerkenswert ist Feuerbachs exakte Abgrenzung zwischen Raub- und Diebstahlshandlung sowie seine Differenzierung der möglichen Fallkonstellationen. In den amtlichen Anmerkungen zum Gesetz wurden diese Unterscheidungen insofern verwässert, als zur Begründung der Vorschrift primär auf die Wesensgleichheit des Tatbestandes zum Raub verwiesen wurde.[44] Bereits wenige Jahre nach Krafttreten des Gesetzes wurde seine Revision vorgenommen. Es folgten eine Reihe von Reformentwürfen,[45] die schließlich mit der Ratifizierung des Strafgesetzbuches vom 10. November 1861 ihren Abschluss fanden. Der Tatbestand des räuberischen Diebstahls wurde nunmehr in Art. 274 Nr. 4 mit der Formulierung „[…] wenn der auf frischer Tat ergriffene oder auf der Flucht verfolgte Dieb eine Person vergewaltigt oder an Leib und Leben bedroht hat, um mit dem gestohlenen Gute oder einem Teile desselben zu entkommen […]“ als qualifizierter Diebstahl erfasst. Erstmals wurde hier neben der Gewalt auch die Drohung als Mittel zur Erhaltung der Beute berücksichtigt. Interessant erscheint zudem die Behandlung des Delikts als Qualifikation zum Diebstahl, was wiederum auf eine Rückkehr zur dogmatischen Abgrenzung zum Raub schließen lässt. Im Kommentar zu den Gesetzesmotiven wurde diesbezüglich auf die Abweichungen im Zeitmoment der Tathandlung und Zweck der Gewaltanwendung verwiesen.[46]
c) Preußisches Strafgesetzbuch 1851
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