Handbuch des Strafrechts. Dennis Bock
href="#u4e52a711-8e2b-5942-bf19-50e6f635e5c6">§ 31 Raubähnliche Delikte › C. Kriminologische Bedeutung der Erscheinungsformen der raubähnlichen Delikte
C. Kriminologische Bedeutung der Erscheinungsformen der raubähnlichen Delikte
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In der PKS werden die raubähnlichen Delikte zusammen mit dem Raub und der räuberischen Erpressung als „Raubdelikte“ erfasst, sodass weitgehend auf die Ausführungen zu § 249 StGB verwiesen werden kann (→ BT Bd. 5: Wittig, § 30 Rn. 31 ff.). Die PKS erfasste für das Jahr 2018 insgesamt 8306 Fälle des § 252 StGB, die 22,6 % aller erfassten Raubdelikte (36 756) ausmachten.[115] Die Aufklärungsquote lag dabei bei 76,8 %.[116] Im Vergleich zu 2017 lässt sich sowohl ein Rückgang der erfassten Fälle (im Jahr 2017: 8609) als auch der Aufklärungsquote (im Jahr 2017: 76,9 %) feststellen.[117] Lediglich 9,3 % der Fälle eines räuberischen Diebstahls führten zu einem Schaden größer/gleich 500 Euro.[118] Auch blieb nur ein geringer Anteil der Fälle (ca. 10,1 %) im Versuchsstadium stecken.[119] Außerdem war von den 7251 Tatverdächtigen ein beachtlicher Teil männlich (86,1 %) und nichtdeutsch (47,0 %).[120]
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Im Hinblick auf § 316a StGB erfasste die PKS für das Jahr 2018 insgesamt 181 Fälle, die 0,49 % aller erfassten Raubdelikte (36 756) ausmachten.[121] Im Vergleich zum Jahr 2017, in dem 212 Fälle des § 316a StGB erfasst wurden, lässt sich ein deutlicher Rückgang feststellen.[122] Die Aufklärungsquote lag 2018 allerdings bei 50,8 % und fiel im Vergleich zum Vorjahr (54,7 %) niedriger aus.[123] Ein Schaden ab 500 Euro lag in 23,8 % der Fälle vor.[124] 27,6 % aller Fälle gelangten nicht über das Versuchsstadium hinaus.[125] Außerdem bildeten mit 65 Fällen Taxifahrer erneut eine große Opfergruppe.[126]
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Die Zahl der tatsächlich erfolgten Verurteilungen wegen räuberischen Diebstahls lag 2018 bei 1253,[127] 2017 bei 1283,[128] 2016 bei 1332[129] und 2015 bei 1230,[130] sodass nach einem leichten Anstieg nun ein leichter Rückgang zu verzeichnen ist. Im Jahr 2018 betrafen 134 davon Jugendliche und 145 Heranwachsende, wobei lediglich in 5 Fällen eine Verurteilung nach allgemeinem Strafrecht erfolgte.[131] Von den 979 Verurteilungen nach allgemeinem Strafrecht wurde die einjährige Mindestfreiheitsstrafe nur in 628 Fällen überschritten.[132] Die praktische Bedeutung des § 252 StGB – insbesondere im Vergleich zu § 249 StGB (2018: 1493 Verurteilungen)[133] – ist folglich nicht zu unterschätzen; andererseits spricht die auch hier vorherrschende Zurückhaltung der Gerichte bei der Verhängung hoher Strafen dafür, dass es sich in einer Vielzahl der Fälle nicht um den hochkriminellen, sich den Fluchtweg frei schießenden Einbrecher geht, sondern um einfache körperliche Gewalt, wie etwa den Ladendieb, der den Ladendetektiv niederstößt, in denen die Angemessenheit der Raubstrafe fragwürdig scheint.[134] Auch deshalb ist § 252 StGB in der Lehre umstritten (Rn. 25 ff.).
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Wegen räuberischen Angriffs auf Kraftfahrer wurden 2018 lediglich 64 Personen verurteilt;[135] 2017 waren es noch 63.[136] Von den 64 Verurteilten waren 40 Heranwachsende, die allesamt nach Jugendstrafrecht verurteilt wurden, und acht Jugendliche.[137] Nur drei der 16 nach allgemeinem Strafrecht Verurteilten erhielten eine höhere als die fünfjährige Mindeststrafe des § 316a StGB.[138] Dass sich die restriktive Handhabung der Raubdelikte durch die Gerichte gerade auch bei dem stark kritisierten § 316a StGB zeigt (Rn. 93 ff.), verwundert nicht.
8. Abschnitt: Schutz des Vermögens › § 31 Raubähnliche Delikte › D. Hauptteil
1. Einführung
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Die Kommentierung des § 252 StGB von Vogel beginnt mit der ernüchternden Feststellung: „§ 252 StGB ist eine theoretisch interessante, schwierige und umstrittene, in der Praxis kaum bedeutsame Strafvorschrift.“[139] Während man Vogel angesichts des doch großen Anteils an den Raubdelikten im Hinblick auf die praktische Bedeutung der Vorschrift jedenfalls heute nicht mehr zustimmen kann (Rn. 21), handelt es sich in theoretischer Hinsicht in der Tat um einen anspruchsvollen und schwierigen Straftatbestand. Insbesondere die gesetzgeberische Gleichsetzung des ertappten Diebes, der zur Besitzerhaltung Raubmittel einsetzt, mit einem Räuber wirft erhebliche dogmatische und kriminalpolitische Fragen auf. Während beim Raubtatbestand des § 249 StGB das qualifizierte Nötigungsmittel zur Erlangung des Gewahrsams an einer beweglichen Sache dient, wird es vom Täter bei § 252 StGB zur Erhaltung des bereits erlangten Gewahrsams an der weggenommenen Sache eingesetzt.[140] Der wesentliche Unterschied besteht daher in zeitlicher Hinsicht. Da der Einsatz von Raubmitteln (im Gegensatz zu § 249 StGB) der Wahrung des durch eine Vortat erlangten Besitzes dient, weist § 252 StGB Selbstbegünstigungscharakter auf.[141]
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Anders als es die Überschrift „räuberischer Diebstahl“ suggeriert, handelt es sich bei § 252 StGB nicht um eine Qualifikation des § 242 StGB, sondern um ein selbstständiges, raubähnliches Delikt (delictum sui generis).[142] Nicht zu folgen ist der zugespitzten Formulierung Schünemanns, wonach § 252 StGB ein „spiegelbildlich verkehrter Raub“ sei.[143] Denn die Vorschrift enthält zum einen Elemente, die bei § 249 StGB fehlen (Betroffensein auf frischer Tat, Besitzerhaltungsabsicht).[144] Zum anderen fehlen Elemente, die § 249 StGB enthält, da der Einsatz der qualifizierten Nötigungsmittel bei § 252 StGB objektiv nicht zum Erfolg (der bezweckten Besitzerhaltung) führen muss, während bei § 249 StGB die bezweckte Wegnahme gelingen muss.[145] Als „raubähnlich“ kann der Tatbestand aber bezeichnet werden, weil er sich wie der Raub (§ 249 StGB) aus zwei Elementen, nämlich aus einer (zumindest mit Gewahrsamsverschiebung verbundenen) Wegnahmehandlung (Diebstahlselement) und dem Einsatz von Gewalt gegen eine Person oder der Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib und Leben (Nötigungselement) zusammensetzt und somit dem Schutz derselben Rechtsgüter dient.[146]
a) Kriminalpolitische Rechtfertigung
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Als Rechtsfolge ordnet § 252 StGB die Gleichstellung des Täters mit einem Räuber an. Die hierin zum Ausdruck kommende Gleichsetzung des spezifischen Unrechts- und Schuldgehalts des § 252 StGB mit dem des § 249 StGB wird kontrovers diskutiert.[147] Diese Frage hat auch Auswirkungen auf die Auslegung des § 252 StGB, insbesondere auf das Merkmal des Betroffenseins auf frischer Tat. Hierbei lassen sich verschiedene Erklärungsmodelle für die kriminalpolitische Rechtfertigung unterscheiden.[148] Die eigentlichen (kriminalpsychologischen) Gleichstellungslösungen, denen die Rspr. folgt, gehen davon aus, dass Täter des Raubs und des räuberischen Diebstahls psychologisch und normativ vergleichbar handeln.[149] Dieser (auch historischen) Auslegung[150] liegt der Gedanke zugrunde, dass derjenige, der die Nötigung zur Beutesicherung einsetzt, sie auch zur Erlangung des Gewahrsams eingesetzt hätte.[151] Der verbrecherische Wille sei damit in beiden Fällen als gleich stark zu bewerten.[152] Dagegen wird in der Literatur mit Recht eingewandt, dass dieser Lösungsansatz täterstrafrechtliche Elemente aufweist und den Einwand einer Verdachtsstrafe provoziert.[153] Zudem wird bei § 249 StGB die Eigentumsverletzung herbeigeführt, bei § 252 StGB nur vertieft (perpetuiert) bzw. dies wird vom Täter beabsichtigt.[154] Der Täter befindet sich in einer spezifischen (von ihm nicht geplanten) Bedrängnissituation und tritt (sich selbst begünstigend)