Handbuch des Strafrechts. Dennis Bock
Diebes, der diesen mit Nötigungsmitteln behalten will, gerade nicht vergleichbar.[156] Der Täter handelt vielfach aus Selbstbegünstigungsmotiven, die an anderer Stelle, z.B. §§ 157, 257 Abs. 3, 258 Abs. 5 StGB, zu Gunsten des Täters in Ansatz gebracht werden.[157] Letztlich können die kriminalpsychologischen Gleichstellungslösungen nicht erklären, warum § 252 StGB – anders als § 249 StGB – als kupiertes Erfolgsdelikt ausgestaltet ist, das keine erfolgreiche Nötigung (sondern nur einen beendeten Nötigungsversuch) voraussetzt.[158]
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Andere Modelle begründen die Gleichsetzung des räuberischen Diebstahls mit dem Raub nicht anhand des Unrechtsgehalts, sondern anhand von besonderen Präventionserwägungen: Zunächst wird die Gleichsetzung von § 249 StGB und § 252 StGB damit erklärt, dass die Notrechte (Notwehr/-hilfe gemäß § 32 StGB, Besitzkehr gemäß § 859 Abs. 2 BGB, Festnahmerecht gemäß § 127 Abs. 1 StPO) des Bestohlenen oder in seinem Interesse handelnder Dritter vereitelt würden.[159] Im Vordergrund steht nach dieser Ansicht nicht der Eigentumsschutz, sondern der Schutz der Notrechte durch § 252 StGB als flankierende strafrechtliche Schutzmaßnahme. Demgegenüber wird eingewandt, dass die Wahrnehmung von Notrechten als solche kein Strafgut sei.[160] Auch sei die Ausübung der Notrechte zumindest teilweise (z.B. bei § 229 BGB) nicht an das Betroffensein auf frischer Tat gebunden.[161]
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Die „Gefährlichkeitslösung“[162] setzt nicht beim Unrechtsgehalt, sondern bei der psychischen Bedrängungssituation des ertappten Diebes an, der aufgrund der verstärkten eskalationsträchtigen Nachtatsituation in erhöhtem Maße und wie ein Räuber gefährlich sei. Dem werde durch die erhöhte Strafdrohung präventiv entgegen gewirkt.[163] Diese in erster Linie am Abschreckungsgedanken orientierte Ansicht lässt sich schwer in Einklang bringen mit der derzeitigen Fassung des § 252 StGB, denn dann wäre nicht zu erklären, warum nur die Vortat eines Diebstahls bzw. Raubes (und z.B. nicht einer Erpressung bzw. räuberischen Erpressung) tatbestandsmäßig und warum eine Besitzerhaltungsabsicht erforderlich ist.[164] Zudem passt das der Abschreckungsdoktrin zugrundeliegende Modell des rational kalkulierenden homo oeconomicus gerade nicht auf den ertappten Dieb.[165]
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Die Lehre verfolgt indes verschiedene Ansätze zur Unrechtsgewichtung.[166] Von einem Teil der Lehre wird behauptet, dass sich in dem räuberischen Diebstahl ein geringerer Unrechtsgehalt manifestiere: Das „Behalten-Wollen“ zeige eine geringere kriminelle Energie als das „Haben-Wollen“.[167] Die Nötigungshandlung eines auf frischer Tat betroffenen Diebes könne als an anderen Stellen des StGB (§§ 20, 21 ff., 213 StGB) als schuldmindernd angesehene „normal-psychologische Affektreaktion“[168] oder als schuldmindernde Selbstbegünstigung verstanden werden.[169] Die h.L. belässt es dennoch bei der gesetzlichen Parallelwertung (Gleichlauf des Unrechtsgehaltes zwischen § 249 StGB und § 252 StGB) und begründet diese – in Abweichung von der Rspr. – durch die mit „Blick auf Tatausführung, Täterpsyche und Opferschutz“ fließende Grenze zwischen beiden Delikten.[170] Zum Teil wird auch darauf verwiesen, dass es oft nur von Zufälligkeiten abhänge, ob die Wegnahme bereits vollendet sei.[171] Wann der Täter Gewalt einsetze (schon bei Beuteerlangung oder erst bei der Beutesicherung), sei bezüglich der Schutzbedürftigkeit des Opfers zufällig. Kindhäuser[172] ergänzt, dass der Unrechtsgehalt des räuberischen Diebstahls dem des § 211 StGB in der Variante des Handelns mit Verdeckungsabsicht entspreche: In beiden manifestiere sich eine besondere Geringschätzung der persönlichen Rechtsgüter des Opfers, sodass sich die Selbstbegünstigungstendenz nicht strafmindernd, sondern strafschärfend auswirke.[173]
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Insgesamt ist festzuhalten, dass eine Gleichstellung von Raub und räuberischem Diebstahl kriminalpolitisch nicht überzeugt, aber de lege lata wohl hinzunehmen ist.[174] Hieraus folgt jedoch zumindest das Gebot einer restriktiven Auslegung des § 252 StGB in strittigen Fragen („Betroffensein auf frischer Tat“, „Besitzerhaltungsabsicht“), die eine Vergleichbarkeit mit dem Raubunrecht vor Augen hat.[175]
b) Systematik und Struktur
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Anders als der Raub, der die Vollendung der Wegnahme voraussetzt, erfordert § 252 StGB keinen Erfolg. Die Erhaltung des Besitzes (also die Beutesicherung) ist – ebenso wie die Zueignung im Rahmen von § 249 StGB – nur überschießende Innentendenz. Auch ein Nötigungserfolg ist nicht erforderlich. Dementsprechend wird der räuberische Diebstahl strukturell als Tätigkeitsdelikt in Form eines „erfolgskupierten Gefährdungsdelikts“ eingeordnet.[176]
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Fraglich ist, ob es sich bei § 252 StGB um ein ein- oder zweiaktiges Delikt handelt. Eine Ansicht argumentiert, dass es sich um ein zweiaktiges Delikt handele, da es sich tatbestandlich aus zwei gleichwertigen Handlungsakten, die zeitlich nacheinander erfolgen, zusammensetze, dem Diebstahl (Wegnahme in Zueignungsabsicht) und dem Einsatz von raubspezifischen Nötigungsmitteln zum Zwecke der Beutesicherung.[177] Nach a.A.[178] handelt es sich um ein einaktiges Delikt. § 252 StGB diene der Verteidigung der Beute aus der Vortat eines Diebstahls mit Raubmitteln. Insofern wird es auch als Delikt mit Anschlusscharakter bezeichnet.[179] Maßgeblich ist jedoch nicht diese vielleicht tatsächlich irreführende Bezeichnung,[180] sondern, ob die Formulierung „bei einem Diebstahl auf frischer Tat betroffen“ nur die Tatsituation beschreibt oder auch eine neben dem Einsatz der Nötigungsmittel zweite Tathandlung (mit Konsequenzen u.a. für Täterschaft und Anstiftung). Hier ist Mitsch zuzustimmen, dass die Vortat ein „statisches Element des objektiven Tatbestandes“ ist, das „nicht zu dem dynamischen Tatvollzug“ gehört, „mit dem der räuberische Diebstahl Wirklichkeit wird“, im objektiven Tatbestand hat das „Element ‚Vortat‘ die Funktion, die Ausgangslage zu beschreiben, aus der heraus sich die Tat, ‚räuberischer Diebstahl‘ entwickelt“.[181] Somit handelt es sich um ein einaktiges Delikt.
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Wer einen räuberischen Diebstahl begeht, wird „gleich einem Räuber“ und damit gemäß § 249 StGB „mit Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr“ bestraft. Folglich handelt es sich um ein Verbrechen i.S.d. § 12 Abs. 1 StGB und ist auch der Versuch strafbar (§ 23 Abs. 1 Alt. 1 StGB). Aus dieser Rechtsfolgenverweisung ergibt sich außerdem, dass auch die Qualifikationen des Raubes (§ 250 Abs. 1, Abs. 2 StGB) sowie die Erfolgsqualifikation (§ 251 StGB) im Rahmen von § 252 StGB Anwendung finden.[182] Zudem sind auf § 252 StGB die Strafzumessungsregeln der §§ 249 Abs. 2, 250 Abs. 3 StGB anwendbar. Nicht anwendbar sind hingegen die besonderen Antragsvoraussetzungen der §§ 247, 248a StGB, die nur für den Diebstahl (§ 242 StGB) und seine Qualifikationen gelten.[183]
3. Geschützte Rechtsgüter
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Wie auch § 249 StGB schützt § 252 StGB nach h.M. das Eigentum und die Freiheit der Willensentschließung und -betätigung.[184] Hinsichtlich des Eigentums ist zu beachten, dass hier die Eigentumsverletzung bereits durch die Vortat (den Diebstahl) eingetreten ist und durch den Einsatz der Raubmittel (nur) vertieft (perpetuiert) wird (bzw. werden soll).[185] Es handelt sich also um kein Eigentumsverletzungsdelikt. § 252 StGB als Tätigkeitsdelikt ist aber auch kein Freiheitsverletzungsdelikt, weil er tatbestandlich nicht voraussetzt, dass ein Nötigungserfolg (in Form eines Handelns, Duldens oder Unterlassens des Nötigungsopfers) eintritt.[186]
a) Überblick
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Der räuberische Diebstahl setzt objektiv neben dem Vorliegen einer tauglichen Vortat voraus, dass der Täter auf frischer Tat betroffen Gewalt gegen eine Person verübt oder Drohungen mit einer Gefahr für Leib oder Leben anwendet (qualifiziertes Nötigungsmittel). Auf subjektiver Ebene bedarf es zur Vollendung eines räuberischen Diebstahls des Vorsatzes hinsichtlich